Sie arbeiten alle am Klinikum Main-Spessart, allerdings an ganz unterschiedlichen Stellen. Zum Gespräch über das Thema "Frauen in der Medizin" trafen sich Natalie Preiß, Chefärztin der Geriatrischen Rehabilitation in Marktheidenfeld, die Krankenhaushygienikerin Sabine Weißschädel sowie die ärztliche Leiterin der Notaufnahme und derzeitige Pandemiebeauftragte Dr. Susann Walz in der Zentralverwaltung in Lohr.
Natalie Preiß: Ich hab extra noch einmal nachgelesen: Deutschlandweit sind 13 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt. 87 Prozent dementsprechend nicht. Und das, obwohl zwei Drittel der Medizinstudenten heute Frauen sind. Und dann kommt niemand in einer Führungsposition an? Das hat schon damit zu tun, dass das alles sehr männlich hierarchisch geprägt ist.
Susann Walz: Das hat ja alles einen Oberbegriff: strukturelle Diskriminierung. Auch wenn unsere männlichen Kollegen nicht davon ausgehen: Aber von Gleichbehandlung sind wir ganz weit entfernt.
Preiß: Der beste Beweis dafür ist ja, dass wir hier und jetzt einen Artikel schreiben zu "Frauen in der Medizin". Obwohl sich viel mehr Frauen für die Medizin interessieren und wahrscheinlich auch bessere "communications skills" haben.
Sabine Weißschädel: Ich habe auch den Eindruck: Frauen müssen sich einfach immer noch öfter beweisen und sich ihre Position mit viel Leistung, Kollegialität, Nettigkeit und Anpassungsfähigkeit erarbeiten.
Walz: Für alle. Es ist notwendig, immer wieder auf die gesamte strukturelle Diskriminierung hinzuweisen. Ich bekomme öfter gesagt: "Das ist ja genau dein Thema." Es sollte aber nicht MEIN Thema sein, sondern ein Thema einer jeden Führungskraft. Es gibt so viele Dinge in der Medizin, die weit entfernt von Gleichbehandlung sind. Seien es dumme Sprüche in Prüfungssituationen wie: "Ach, Sie machen ja die deutlich schwerere Prüfung heute, die Fach-Ärztinnen-Prüfung und nicht die Fach-Arzt-Prüfung." Das soll dann witzig sein. Ist es aber überhaupt nicht.
Preiß: Manches überhör' ich auch. Aber es ist in unserem Berufsalltag ständig vorhanden.
Walz: Es ist auch das Bild, das von uns gezeichnet wird. Wenn ein Mann in Führungsposition seinen Willen durchsetzt, dann heißt es: Er ist durchsetzungsstark. Bei einer Frau heißt es: Oh, Vorsicht, die hat Haare auf den Zähnen.
Walz: Weil die Themen nicht gerne gehört werden: Ausbleiben der Beförderung nach Wiedereinstieg. Teilzeitmodelle. Und weil es in der Medizin noch ein sehr altes, verkrustetes Denken gibt, das auf sehr konservative Strukturen ausgerichtet ist.
Preiß: Wie weit wir sind, zeigt ja auch die Anfrage der AfD aus dem Jahr 2019, die befürchtet hat, dass der hohe Frauenanteil im Medizinstudium die medizinische Versorgungssituation verschlechtern könne. Deshalb hätten die gerne eine Männerquote eingeführt im Medizinstudium.
Walz: (lacht) Das ist genau das, was wir brauchen.
Weißschädel: Ich habe nicht explizit darauf hingearbeitet. Mir war immer am wichtigsten, dass ich die Patienten gut betreue und dass sie aus der Klinik können, ohne ein Handicap zu haben.
Walz: Ich hab schon darauf hingearbeitet. Nicht, weil ich das Prestige der Leitungsposition wollte, sondern weil ich Verantwortung übernehmen wollte. Auch um zu zeigen, dass das geht. Dass auch neue Führungsstile gehen. Ich wollte mich nicht mein gesamtes Berufsleben unterordnen.
Preiß: Ich komme aus einer Familie mit starken Frauen. Ich wurde immer sehr gefördert und habe mich nie minderwertig gegenüber Jungs oder Männern gefühlt. Im Berufsleben lief es auch immer gut. Ich war eigentlich schon immer am Klinikum Main-Spessart, bis auf ein Jahr BKH. Dann kam die Idee, Geriatrie zu machen, dann die Oberärztinnen-Position. Als dann die Chefärztin-Position vakant war, habe ich erstmal abgelehnt.
Preiß: Ich habe überlegt, wenn du dich mehr einbringen willst, noch mehr verändern willst, dann mach's doch. Ich habe auch einen sehr unterstützenden Mann, der hat gleich gesagt: Klar machst du das. Dann bin ich doch sehr selbstbewusst rangegangen. Und doch kommen immer noch Sachen, die auch ich lernen muss.
Preiß: Die Vereinbarung von Familie und Beruf ist immer schwierig. Auch wenn man keine Kinder hat, gibt es genug Verpflichtungen. Es ist ein anstrengender Beruf, in dem man körperlich und seelisch gefordert ist und es gut ist, wenn da ein Partner ist, der das mitträgt.
Weißschädel: Der Background von daheim ist schon wichtig. Mein Mann ist Bäcker. Er hat also einen grundverschiedenen Beruf. Trotzdem oder auch gerade deshalb gibt er mir immer wieder guten Input, der meine Arbeit relativiert.
Preiß: Man kommt vielleicht nicht so leicht an Positionen, wenn man drei, vier Kinder hat. Wobei es die Frauen auch gibt. Aber das liegt auch an der Schwangerschaft, dass die Frauen dann mehrere Monate nicht da sind. Da gibt es oft einen Karriereknick. Aber mittlerweile nehmen ja auch viele Männer Elternzeit.
Walz: Das wird ja immer noch oft belächelt. Dabei, finde ich, macht das neue, moderne Personalführung auch aus. Indem man die Mitarbeiter viel transparenter mit einbezieht. Das ist aber keine Geschlechterfrage, sondern eine Generationenfrage.
Preiß: In der Geriatrie haben wir auch Arztanstellungen in Teilzeit. Das ist in der Reha natürlich gut möglich.
Walz: Das ist überall möglich! Es gibt sogar viele Felder in der Medizin, in denen man Teilzeitmodelle perfekt einarbeiten kann. Aber die Leute wollen es nicht. Weil es erst einmal für Reibung sorgt. Aber man muss aus dem gewohnten Schema ausbrechen. Geriatrie könnte ja auch ein Vorzeigemodell sein.
Weißschädel: Arbeiten in Teilzeit macht die Leute teilweise ja auch zufriedener. Wenn sie ihre Zeit einteilen können und den Tag noch mit anderen Dingen verbringen.
Preiß: Um als Frau in der Medizin einigermaßen erfolgreich zu sein, musst du tough sein. Du darfst dich nicht so schnell entmutigen lassen und nicht von Rückschlägen aus der Bahn werfen lassen. Da muss man auch vom Charakter her mit klarkommen. Auch der netteste Partner kann dir nicht alles abnehmen und tragen. Von daher ist es wichtig, nicht immer alles zu emotional zu betrachten, auch wenn das manchmal schwierig ist.
Walz: Emotional zu sein – das finde ich gar nicht so schlimm. Es weinen alle mal. Ich finde, es macht auch Sinn, manchmal mehr Gefühl zu zeigen und über Fehler und Schwächen zu sprechen. Das ist auf dem Vormarsch und mit der alten Garde schwierig. Vor allem aber braucht man jemanden als Vorbild. Das können auch mehrere Personen sein.
Weißschädel: Ich finde, eine der wichtigsten Eigenschaften ist die Selbstreflektion. Vor allem, wer eine verantwortungsvolle Position übernimmt, sollte diese Fähigkeit haben. Um davon beruflich und persönlich zu profitieren, braucht es aber einen langen Lernprozess.
Die Ärztinnen und ihr Lebenslauf
humanitäre Einsätze in Malawi, Namibia und Botswana. Ärztin im Missio in Würzburg, dann zehn Jahre lang selbstständig, seit August 2020 Leitung und Aufbau der Stabsstelle KH-Hygiene am Klinikum Main-Spessart.