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Main-Spessart
Was Main-Spessarter im Ersten Weltkrieg alles aßen
Aus der Geschichte Main-Spessarts (110):  Das Essen wurde im Ersten Weltkrieg rationiert. Die Main-Spessarter aßen alles, was sie konnten. Hühner und Hasen waren Gold wert – und wurden deshalb auch gestohlen.
Steckrüben, auch Erdkohlrabi genannt, waren im Kriegswinter 1916/17 für viele Städter fast das einzige, was noch an Nahrung zu bekommen war.
Foto: Holger Hollemann/dpa | Steckrüben, auch Erdkohlrabi genannt, waren im Kriegswinter 1916/17 für viele Städter fast das einzige, was noch an Nahrung zu bekommen war.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:27 Uhr

Die Not war groß im Ersten Weltkrieg. Zum Symbol für das Hungern der Kriegsjahre wurde der berühmte "Steckrübenwinter" 1916/17. Essen wurde während des Krieges rationiert, für alles Mögliche gab es Lebensmittelmarken. Angesichts einer katastrophalen Versorgungslage wurden die Nahrungsmittelrationen im Winter 1916/17 weiter gekürzt. Steckrüben oder Kohlrüben waren hingegen noch verfügbar und ernährten weite Bevölkerungskreise vor allem in städtischen Suppenküchen mehr schlecht als recht. Viele Menschen schwächte die Kälte und die mangelhafte Ernährung derart, dass sie an Lungenentzündung, Tuberkulose oder ab 1918 an der "Spanischen Grippe" starben."

Der Winter 1916/17 war streng und traf die unter Entbehrungen leidende Bevölkerung hart. Das landwirtschaftliche geprägte Main-Spessart kam aber besser davon als die großen Städte. Die Selbstversorgung mit Gemüse, Fleisch und Brot trug wesentlich dazu bei. Der Lehrer Leonhard Vogt notierte in seinem im Auftrag der damaligen Marktgemeinde Marktheidenfeld verfassten "Kriegs-Tagebuch für die Gemeinde Marktheidenfeld a.M.": "Die Anfang vorigen Monats (Januar 1917) einsetzende Kälte dauerte bis Mitte Februar und sank bis minus 25 Grad Celsius. Dazu die Holz- und Kohlennot." Der Bäckermeister Kaspar Greser ergänzte in seiner "Chronik speciell für Marktheidenfeld": "Am 5. März 1917 hatte es hier 5 Grad Kälte. Vom 8. auf 9. März fiel bis 15 Zentimeter Schnee. Vom 21. bis 25. März hier 4 Grad kalt. Der März durchwegs kalt."

Seit Februar 1915 hatte man alle Mehl- und Getreidevorräte beschlagnahmt und im März damit begonnen, dem Mischbrot 20 Prozent Kartoffelmehl beizufügen, steht in der Karlstadter Chronik von Werner Zapotetzky. Kurz danach wurden Brotkarten eingeführt, wonach dem Normalverbraucher am Tag 18 Gramm Kuchenmehl, 180 Gramm Brotmehl und 250 Gramm Brot zustanden. Zwischen März und Juli 1916 folgten die Fleischkarte (800 Gramm pro Woche, Kinder unter sechs die Hälfte) sowie die Zucker- und Eierkarte (ein Kilo Zucker pro Monat, zwei Eier pro Woche). Die auf der Fleischkarte angegebenen Lebensmittelmengen waren jedoch vom Kommunalverband für die Kriegsbewirtschaftung bald nicht mehr zu beschaffen.

"Durch Schnee und Regen vielfach behindert, wurden von ihnen 4,5 Hektoliter Bucheln eingebracht."
Gemündener Anzeiger über das Sammeln von Bucheckern

Frauen und Kinder sammelten Waldfrüchte und Kräuter, um die Lebensmittelrationen etwas zu vergrößern. Allerlei Verordnungen sollten im Ersten Weltkrieg die Produktion von Lebensmitteln erhöhen und zugleich den Verbrauch einschränken. Der Gemündener Anzeiger gab dazu mitunter recht kreative Tipps, die den Menschen in ihrer Not helfen sollten, etwa "Züchtet Ziegen!", "Sammelt Erdbeerblätter als Kriegstee!" oder "Pflanzt Nußbäume!".

Für die Truppen wurden in der Bevölkerung Sammlungen organisiert. Im April 1915 schrieb der Gemündener Anzeiger: "Zur Zeit sind besonders nötig Zwetschgenschnaps, Briefpapier mit Umschlägen, Bleistifte, Klosettpapier, geschnitten aus Zeitungen, und Eier für besonders der Stärkung bedürftige verwundete und kranke Soldaten in den Lazaretten."

Maikäfer für die Hühner

Der Anzeiger rief "unsere Schuljugend" dazu auf, "sich durch eifriges Sammeln von Maikäfern in vaterländischem Sinne verdient" zu machen. Dadurch sollte Hühnerfutter eingespart werden. Alternatives Hühnerfutter seien, getrocknet auch noch im Winter, die Früchte von Eberesche, Weißdorn und Schneeball. Die Eierknappheit war bald so groß, dass der Gemündener Anzeiger am 29. Juli 1916 schrieb, dass Eier und Eierspeisen nur noch zwischen 11 und 2 und 18 und 21 Uhr verkauft werden dürfen.

Fleischkarten in Kitzingen.
Foto: Stadtarchiv Kitzingen | Fleischkarten in Kitzingen.

Im Juni 1915 hieß es, dass Kränze aus Erdbeerblüten vermieden werden sollen – Erdbeeren waren dazu zu wichtig. Im gleichen Monat wurde angeregt, mehr Pilze zu essen. "Nur sieben Arten sind giftig", behauptete der Anzeiger. Und auch der Kürbis "hat noch lange nicht die Anzahl Freunde, die ihm gebührt".

Bucheckern wurden damals zum Gewinnen von Speiseöl gesammelt. Das daraus gewonnene Öl zeichne sich durch einen "äußerst feinen Geschmack" aus, so der Gemündener Anzeiger. Im Januar 1917 vermeldete die Zeitung, dass vom 11. bis 21. Dezember 1916 25 Soldaten einer Genesungskompanie zur Bucheckernlese in Massenbuch einquartiert waren. "Durch Schnee und Regen vielfach behindert, wurden von ihnen 4,5 Hektoliter Bucheln eingebracht", so der Anzeiger. Das war allerdings recht wenig im Vergleich zur Ausbeute von zumeist Schulkindern aus Wernfeld, Harrbach, Massenbuch und Halsbach, die im November 48,3 Hektoliter gesammelt hatten. Für den Liter erhielten sie anfangs 20, später 30 Pfennige.

Aber nicht nur Bucheckern eigneten sich zur Herstellung von Speiseöl. "Eine landwirtschaftliche Zeitung rät, die Obstkerne aller Art zu sammeln", schrieb der Gemündener Anzeiger. "Nach dem Entfernen der Blausäurespuren könnten deren Kerne ebenfalls zur Herstellung von Öl verwendet, die eiweißhaltigen Rückstände zu Viehfutter verwendet werden." Schüler sollten außerdem Sonnenblumen pflanzen.

Wernfelder Kinder sammelten 150 Pfund Heidelbeeren

Schulkinder bekamen immer wieder frei zu Ernte- und Sammeltätigkeiten, etwa zur Obst- und Waldbeerenernte. In Wernfeld ernteten Schüler im Juli 1916 rund 150 Pfund Heidelbeeren fürs Rote Kreuz. Ein Zentner davon ging an die Kreissammelstelle Würzburg, der Rest an die Lazarette in Gemünden.

Ein Kriegskochbuch aus dem Ersten Weltkrieg.
Foto: Regina Frisch | Ein Kriegskochbuch aus dem Ersten Weltkrieg.

Alles wurde damals gebraucht: Am 26. Oktober 1916 wurde im Gemündener Anzeiger bekannt gemacht, dass Knochen, Rinderfüße und Hornschläuche im Bezirk Gemünden nicht mehr weggeworfen werden dürfen, sondern gesammelt werden müssen. Kurz darauf erging der Aufruf, dass Rohrkolben gesammelt werden sollen. "Dieselben dienen als Rohstoffersatz, gelangen in Lazaretten, für die Krankenpflege und für die Industrie zur Verwendung." Aus Brennnesseln, diesen "Schmarotzerzöglingen", lasse sich ein leckerer Kriegsspinat herstellen, Waldmeister kann zum Strecken von Tabak verwendet werden, erfrorene Kartoffeln könne man noch gut essen und Einkochen gehe auch ohne Zucker, teilte der Anzeiger mit.

1917 wurde es verboten, grüne Walnüsse zu ernten, alle Walnüsse in Bayern sollten abgeliefert werden, sogar Eicheln und Rosskastanien wurden gesetzlich beschlagnahmt. Im Februar 1916 wurde eine Gemündener Bauersfrau angezeigt, die "Butter nach auswärts verbringen wollte".

"An den Kornkaffee hat man sich während des Krieges derart gewöhnt, daß es sehr fraglich ist, ob man später wieder Geschmack für Bohnenkaffee finden wird."
Unbekannter Autor im Gemündener Anzeiger

Für noch größeres Aufsehen sorgten Essensdiebstähle im sogenannten Steckrübenwinter 1916/17. Im März 1917 wurden Gemündens Bürgermeister Adalbert Holzemer nachts elf Hühner und ein Hahn sowie eine Anzahl Enten gestohlen. Zuletzt seien "wiederholt derartige Diebstähle vorgekommen". Auch in Lohr machten derartige Diebstähle Schlagzeilen. Tagelang ging dort ein Hühnerdieb um. Die abgehackten Köpfe der Tiere ließ er liegen, den Rest nahm er mit. "Auch eine Gans kam so um ihr Leben", schrieb die Lohrer Zeitung.

Im Monat darauf leerten vier "Ausflügler" während des Gottesdienstes am Ostersonntag sämtliche Hühnernester der Witwe Pfeuffer in Gemünden. Der Gemündener Anzeiger warnte: "Es ist daher Vorsicht vor Hamsterern und den unter der Flagge ,Wandervögel‘ und ,Touristen‘ segelnden Personen geboten." In Lohr vermeldete die Zeitung im April 1917, dass erneut Hasen gestohlen worden seien, diesmal in der Muschelgasse. Es sei geplant, "den Polizeihund kommen zu lassen", so die Lohrer Zeitung.

Fast 500.000 deutsche Zivilisten starben im Ersten Weltkrieg an Hunger und Mangelerscheinungen. Um die Engpässe bei der Öl- und Fettversorgung zu verringern, wurde Speiseöl aus gesammelten Obstkernen gewonnen.
Foto: Archiv Roland Flade | Fast 500.000 deutsche Zivilisten starben im Ersten Weltkrieg an Hunger und Mangelerscheinungen. Um die Engpässe bei der Öl- und Fettversorgung zu verringern, wurde Speiseöl aus gesammelten Obstkernen gewonnen.

Anfang März 1917 schrieb die Lohrer Zeitung vor dem Hintergrund, dass Kaninchenfleisch kriegsbedingt Volksnahrung werden soll: "Wer hätte wohl vor Jahren gedacht, daß das Kaninchen, das Spielzeug der Kinder, sich solche Beachtung erringen würde, wie es bereits der Fall ist". Ebenfalls im März 1917 teilte die Lohrer Zeitung mit, dass das Innenministerium "im Interesse einer gleichmäßigen Verteilung der (kriegsbedingt knappen) Lebensmittel" die Überwachung der verbotenen Einfuhr von Lebensmitteln vom Lande in die Stadt verschärfen wolle. Der Reichskanzler erließ eine Verordnung, wonach nur solche Kartoffeln zu Branntwein verarbeitet werden dürfen, die sich nicht als menschliche Nahrung eignen.

Kornkaffee während des Krieges

Ein Autors des Gemündener Anzeigers resümierte damals: "An den Kornkaffee hat man sich während des Krieges derart gewöhnt, daß es sehr fraglich ist, ob man später wieder Geschmack für Bohnenkaffee finden wird. Gesünder wäre der Kornkaffee auf jeden Fall."

Der Frühling setzte in der Gegend Mitte April 1917 ein. Einen Monat später vermeldete die Lohrer Zeitung, dass die Obstblüte in Lohr und Umgebung so prächtig wie seit Jahren nicht mehr sei. Dennoch rief das königliche Bezirksamt Lohr die Bevölkerung auf, die Gewinnung von Brombeer- und Himbeersprossen in grünem Zustand sofort einzustellen, weil dies zur Vernichtung der Beerenernte sowie einer langfristigen Schädigung der Stauden führe.

Literatur: Werner Zapotetzky: "Karlstadt. Geschichte einer Stadt in Franken"

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/

 
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