Wäre das beschauliche 420-Einwohner-Dorf Seifriedsburg heute von Fabrikanlagen, Lagerhallen und Schornsteinen umgeben? Wie sähen Karsbach und Gössenheim unter der Homburg aus? Welche Folgen fürs Sinntal hätte ein längs verlaufender bis zu 15 Meter hoher Damm gehabt? Solche Überlegungen stellen sich zwangsläufig ein, wenn man sich einer Führung zu den Resten die nie fertiggestellten Autobahn „Strecke 46“ anschließt.
Einer der zurzeit 20 Führer ist Gemündens Bürgermeister Jürgen Lippert; am Dienstagabend unternahm er mit einigen Stadträten und Kulturamtsleiterin Jasna Blaic einen kurzen Ausflug zu den Autobahnresten und in die Geschichte. Denn die „Inwertsetzung“, die touristische Vermarktung von Bayerns längstem Denkmal läuft an. Betrieben vom Regionalmanagement am Landratsamt Main-Spessart hat sich nach den Kommunen Burgsinn, Gräfendorf, Zeitlofs auch Gemünden beteiligt, dazu Grundeigentümer, das Regionalmanagement des Landkreises Bad Kissingen und die Arbeitsgemeinschaft Autobahngeschichte. Ausgaben, zum Beispiel für Informationstafeln und Faltblätter (Fremdenverkehrsbüros bzw. Rathäuser), bezuschusst das Bayerische Heimatministerium mit 90 Prozent.
Abenteuer im Wald
Als Seifriedsburger kennt Lippert den seltsamen, fast mannshohen Wasserdurchlass im Wald nahe dem Dorf seit Kindheitstagen. Ein rund 50 Meter langes, betoniertes Rohr mit akkurat gemauertem Abschluss aus Sandsteinen liegt da scheinbar sinnfrei im Wald, bemoost und ziemlich eingewachsen zwischen vielleicht 30 Jahre alten Bäumen – ein richtiger Abenteuerspielplatz. Heute weiß Lippert: Es handelt sich um eines von 47 Relikten des zwei Jahre währenden und dann eingestellten Autobahnbaus vor 80 Jahren.
Die Strecke 46 sollte von Bad Hersfeld nach Würzburg führen und dabei den „Autowanderern“ unter anderem beste Sicht auf die bedeutende Homburg-Ruine bieten. Während auf nördlichen Streckenabschnitten 1939 bei Einstellung der Bauarbeiten nur noch die Fahrbahndecke fehlte, blieb es zwischen Zeitlofs-Eckarts und Seifriedsburg bei vorbereitenden Einzelmaßnahmen: Baugruben, Fundamente, Wasserdurchlässe, Brückenstücke, Unterführungen und – hierorts am bekanntesten – der freistehende Brückenpfeiler bei Schonderfeld.
Erklären und auffindbar machen
Jürgen Lippert unterstützt das Tourismusprojekt nicht nur als Bürgermeister, sondern auch wie sein Zeitlofser Amtskollege Wilhelm Friedrich als einer von 20 speziell geschulten sogenannten Gästeführern, von denen es insgesamt vier in Seifriedsburg gibt. An markanten Punkten der Strecke, deren Verlauf aus der Luft bis heute am unterschiedlichen Bewuchs deutlich zu sehen ist, sind Informationstafeln aufgestellt worden. Weitere Schritte wären die Ausweisung von (Rund-)Wanderwegen und, was Lippert besonders am Herzen liegt, die Ausweisung einer Mountainbike-Strecke entlang der 69 Kilometer langen Trasse. Die angrenzenden Orte sollen jeweils ins touristische Konzept einbezogen werden.
Einen schönen Rastplatz mit Blick auf Seifriedsburg hat der Obst- und Gartenbauverein an der Informationstafel am sogenannten Bombenloch angelegt. Der Name sei irreführend, klärt Lippert auf. Wenn Seifriedsburg auch schwer kriegszerstört gewesen sei, so rühre doch der Tümpel nicht von einem Einschlag her – es handelt sich vielmehr um eine Baugrube des Autobahnbaus, von Hand ausgehoben für eine Feldweg-Unterführung. An der Seifriedsburger Baustelle kam es auch zu einem Todesfall, als ein Gerüst einstürzte und zwei Arbeiter aus dem Dorf herabfielen. Es habe sich um Sabotage gehandelt, besagt ein Gerücht, erzählt Lippert.
Sportplatz für Barackenlager
Und er hat noch einige überraschende Details mehr aus der Ortsgeschichte zu erzählen. So sollte auf dem alten Sportplatz eines der genormten Lager für 216 Arbeiter entstehen. Die Fundamente der (nicht mehr errichteten) Baracken sind noch vorhanden und nur knapp mit Erde überdeckt. Einen genaueren Blick wert sind dort auch die Pfosten der Umzäunung: Es handelt sich um die Gleise für die Lorenbahn, mit der die Baumaterialien transport wurden. Diese Loren, von Männern geschoben oder Pferden gezogen, waren das wichtigste Transportmittel auf den Autobahn-Großbaustellen. So eine Bahn als Ausstellungsstück in Seifriedsburg zu zeigen, wäre noch ein Wunsch des Bürgermeisters.
Autobahn-Denkmal „Strecke 46“
Bayerns längstes Denkmal, die nie fertiggestellte Autobahn „Strecke 46“ zwischen Bad Hersfeld und Würzburg ist der Vorläufer der heutigen Rhönautobahn A 7. Von 1937 bis 1939 wurde an der Großbaustelle gearbeitet, bis der Zweite Weltkrieg begann. Während der Bund danach im Norden (Hattenbacher Dreieck, Fulda) Streckenteile für die neuen Autobahnen verwendete, wurde die nordbayerische Trasse Zeitlofs–Würzburg/Kist über Gemünden verworfen. Die A 7 entstand etwa 20 Kilometer weiter östlich.
Gut erhalten stehen heute von Zeitlofs bis Seifriedsburg 47 Autobahn-Bauwerke, die nie miteinander verbunden wurden, in der Landschaft herum. Am bekanntesten dürfte der Brückenpfeiler bei Schonderfeld sein. Die Aufarbeitung der Geschichte der „vergessenen Autobahn“ ist zuvorderst Dieter Stockmann zu danken. Der Mitarbeiter des Landratsamts Main-Spessart widmet sich seit 1998 dem nie vollendeten Bau, brachte im Jahr 2000 das Buch („Strecke 46“, 208 Seiten, ISBN: 978-3-9811192-0-6) heraus, betrieb erfolgreich die Unterschutzstellung 2003 als Technikdenkmal und ist Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft Autobahngeschichte e. V.
Kreuzungsfreie, dem Kraftfahrzeugverkehr vorbehaltene Straßen – die Autobahnen – sind eine deutsche Erfindung (Avus Berlin 1921), aber nicht der Nationalsozialisten. Die übernahmen und förderten das Autobahnnetz ab 1933. Die Strecke 46 von Bad Hersfeld nach Würzburg sollte eine von drei Nord-Süd-Verbindungen in Deutschland werden. Im Gegensatz zu später waren Autobahnen nicht dazu gedacht, Wirtschafts- und Siedlungszentren zu verbinden, sondern sie sollten dem „Autowanderer“ landschaftliche Schönheiten erschließen. Das industriell bedeutende Schweinfurt beispielsweise hätte demnach nur eine Zubringerstraße nach Würzburg erhalten. LIES