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Main-Spessart
Warum sich junge Main-Spessarter für die Grumbern begeistern
Der Kartoffelanbau ist eher eine Sache für die kleine Fläche. Eine neue Generation von (Hobby-)Landwirten hat ihre Leidenschaft für die Knolle entdeckt. Was treibt sie an?
Tobias Kastner aus Adelsberg: Fussball ist ein weiteres Hobby des jungen Kartoffelanbauers.
Foto: Jennifer Weidle | Tobias Kastner aus Adelsberg: Fussball ist ein weiteres Hobby des jungen Kartoffelanbauers.
Jennifer Weidle
Jennifer Weidle
 |  aktualisiert: 18.10.2020 02:15 Uhr

Martin Keller öffnet das Holztor, hinter dem eine Maschine rattert. Hier sortieren zwei seiner fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Kartoffeln auf dem Fließband. Der 48-Jährige führt den Familienbetrieb "Kartoffel Keller" außerhalb von Karlburg, wo sich sein Großvater 1963 angesiedelt hatte. Viel hat sich seither für ihn speziell und den Anbau von Grumbern im allgemeinen geändert.

Was die Familie damals nicht aß bekamen die Schweine. "Das war so üblich" . Der Großvater gab den Viehbetrieb 1991 auf. Verblieben ist der Ackerbau. 136 Hektar, davon sechs Hektar Weinberg und 15 Hektar Kartoffeln. "Wir vermarkten das meiste direkt über den Hofladen." Die große Überraschung erwartete sie im Frühjahr 2020: Corona und der Lock-Down. "Im März und April haben wir die dreifache Menge verkauft wie normalerweise. Da wollten die Leute plötzlich 25-Kilo-Säcke kaufen."

Die Preise seien trotz des hohen Bedarfs nicht gestiegen, doch "die gehen ohnehin rauf und runter," so Keller. Das liege daran, dass der Ertrag pro Fläche stark schwanke. Je nach Witterung. "Die Beregnung ist mittlerweile unsere Ertragssicherung. Ohne die geht im Sommer nichts mehr". Die Klimakrise macht sich bemerkbar.

Klimawandel wirkt sich auf Sorten unterschiedlich aus

Auch bei den Kartoffelsorten. Die beliebte Belana reagiert empfindlich auf Sonneneinstrahlung. Ihre Blätter verbrennen. Und "Quarta war die Sorte schlechthin bei uns, hat aber immer mehr Probleme." Keller probiert daher auf kleiner Fläche neue Sorten aus. Soraya oder Baltic Rose. Insgesamt baut er 16 verschiedene Sorten an.

Was die Kundschaft sich bei Kartoffeln heute wünscht? Guten Geschmack, gelbfleischig sollen sie sein, lagerfähig und formschön. Für Supermarkt-Kartoffeln sei gute Waschbarkeit ein weiteres Kriterium. "Der Anbau in den Hausgärten geht weiter zurück", so Kellers Eindruck. Mangelndes Interesse sei die Ursache.

Doch es gibt auch Menschen, die das Interesse für Lebensmittel wieder wecken wollen. So der Obst- und Gartenbauverein (OGV) Langenprozelten. Im Januar diesen Jahres kamen 30 Kinder, überwiegend im Vorschulalter, in der Kindergruppe des Vereins zusammen. Die erste Kindergruppe seit 15 Jahren. "Die Kinder kennen ja Kartoffeln nur noch als fertige Pommes," sagt Monika Krug, die Vorsitzende. Dieses Jahr haben sie selbst Kartoffeln angebaut. "Es ist wichtig, dass die Kinder wieder eine Beziehung zu den Lebensmitteln entwickeln."

Mehr Zeit für den Garten wegen Corona

Die Mitglieder des Vereins haben durch Corona wieder mehr gegartelt. Die Kartoffel eigne sich perfekt für den Hausgarten. "Man legt sie und muss dann eigentlich nur noch auf die Käfer aufpassen."

Luitgard Gerhard vom OGV Stetten hingegen hat den Eindruck, dass Hausgärten weniger würden. "Die Leute wollen eher einen Wohlfühlgarten. Mit Rasen für den Liegestuhl." Dabei können man gut beides miteinander verbinden. Kartoffeln seien zwar dann, wenn das Kraut abwelke, nicht mehr so schön, aber benötigen dafür keine Pflege.

Zum Legen kann man im Hausgarten übrig gebliebene Speisekartoffeln nehmen. Das geht im gewerblichen Anbau nicht. Keller erklärt: "Legekartoffeln kaufen wir in Baden-Württemberg. Sie sind speziell gezüchtet und auf Krankheiten untersucht."

Lorenz Höfler aus Höllrich baut seit 2017 mit Bruder Kilian Speisekartoffeln an.
Foto: Jennifer Weidle | Lorenz Höfler aus Höllrich baut seit 2017 mit Bruder Kilian Speisekartoffeln an.

Legekartoffeln, angebaut in Main-Spessart, das ist der Traum der Brüder Höfler. Kilian (20) und Lorenz Höfler (18) aus Höllrich bauen seit 2017 auf einen Hektar Speisekartoffeln an. Kilian, Elektriker, und Lorenz, der gerade sein Abitur gemacht hat, sind mit dem Kartoffelanbau aufgewachsen. "Mithelfen war für uns ganz selbstverständlich. " Nun werden sie von Vater und Großvater unterstützt.

Kartoffeln in Pfandkisten: eine Erfolgsidee

"Der Vater hat immer gute Ideen", sagt Lorenz Höfler. So zum Beispiel die, Kartoffeln in Pfandkisten auszuliefern. Skepsis dagegen beim Großvater. Doch das Pfandsystems ist ein Erfolg. Gerade die jungen Familien unter ihrer Kundschaft achten auf Nachhaltigkeit.

Das sind auch die, die von der Werbung der Höflers am besten erreicht werden: Postings auf Facebook. "Das ist für uns ein einfaches Mittel." Der Rest sei Mundpropaganda. 20 Tonnen haben sie dieses Jahr geerntet. Mit einem alten Vollernter. "Wir sitzen zu Viert hinten auf der Maschine und sortieren die Grumbern." Fünf Tonnen haben sie von der neuen Ernte bereits verkauft.

Hauptberuflich wollen Höflers das nicht machen. "Wir wären dann viel abhängiger und müssten  wirtschaftlicher werden." Das würde bedeuten: mehr Spritzen und Düngen. Stattdessen wurden "letztes Jahr die Kartoffelkäfer noch von Hand abgelesen". Im Vollerwerb auf großen Flächen undenkbar. "Wir leben da lieber mit weniger Ertrag, aber dafür mit gutem Gewissen."  

Martin Keller hat einen Betrieb außerhalb von Karlburg. Der Großvater hatte sich dort 1963 angesiedelt.
Foto: Jennifer Weidle | Martin Keller hat einen Betrieb außerhalb von Karlburg. Der Großvater hatte sich dort 1963 angesiedelt.

Laut Landwirt Martin Keller gehören Kartoffeln zu einer Kultur, die wenig gespritzt werden muss. Auf Mittel gegen Krautfäule könne man nicht verzichten, gegen Käfer aber nach Bedarf behandeln. Zu dem Glauben, dass manche Landwirte das Kartoffelkraut mit Glyphosat abspritzten, um die Kartoffeln zur Reife zu bringen sagt er: "Das stimmt nicht, das ist das vollkommen falsche Mittel dafür." Seit diesem Jahr sei auch das dafür geeignete Mittel Reclone verboten. Dafür hat Keller nun einen so genannten Krautschläger angeschafft. Denn erst, wenn das Kraut abgestorben ist, bilden die Knollen ihre feste Schale, die sie lagerfähig macht.

Die Schweine gingen, die Grumbern blieben

Der Großteil der Kartoffelbetriebe in Unterfranken wirtschaftet laut Bernhard Schwab vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Karlstadt auf etwa 0,3 Hektar. Tobias Kastner aus dem Gemündener Ortsteil Adelsberg ist einer von ihnen. Hauptberuf: Wirtschaftsingenieur. Auch er ist in die Kartoffeln reingewachsen. Die lagern heute neben dem ehemaligen Schweinestall des Großvaters. Die Schweine gingen, die Kartoffeln blieben.

Ebenso die alten Gerätschaften wie der Schüttelroder mit dem Kastner gerade die letzten Kartoffeln aus der Erde geholt hat. "Es ist sehr viel Handarbeit", sagt der 27-Jährige. Vor allem die Bamberger Hörnchen sind aufwändig im Anbau. Seine zwei Brüder, Vater und Opa helfen auf dem Acker mit. Gerade dem Großvater gefällt, dass seine Jungs Interesse an der Landwirtschaft zeigen.

"Vielleicht sind wir irgendwann nochmal froh, dass wir die Landwirtschaft noch haben," sagte sein Vater im Frühjahr als Corona das Land in eine Schockstarre versetzte. Dieses Jahr kamen zu den Kartoffeln noch Zwiebeln und Buschbohnen für die Selbstversorgung dazu. Man weiß ja nie.

Gemerkt, wie wichtig die Versorgung vor Ort ist

Der Kartoffelanbau ist für Tobias Kastner ein Hobby, aber es scheint doch mehr als das: "Wir haben heuer gemerkt, wie wichtig die Versorgung mit Lebensmitteln direkt im Ort sein kann. Ich will hier Verantwortung übernehmen und meinen Teil dazu beitragen."

Essen die Kartoffelanbauer überhaupt noch gerne Kartoffeln? Tun sie und zwar am liebsten klassisch. Keller: "Kleine Kartoffeln vom Ofenblech", Lorenz Höfler: "ganz einfach Salzkartoffeln", Kastner: "Kartoffelsalat nach Omas Rezept aus Bamberger Hörnchen". Zu denen weiß er noch eine lustige Anekdote. Vor einigen Jahren fragte ein Wanderer nach den Bamberger Hörnchen. Kastner lacht: "Der hatte gehört, dass es die in Adelsberg gibt und war auf der Suche nach der Bäckerei."

Kartoffelanbau in Unterfranken

In Unterfranken werden gewerblich von rund 1000 Betrieben auf 970 Hektar Kartoffeln angebaut. Zum Vergleich sind es bei Zuckerrüben 18 000 Hektar, bei Silomais 28 000 Hektar und bei Getreide 170 000 Hektar. Diese Kartoffeln werden überwiegend für die Direktvermarktung und die Vermarktung über den Lebensmitteleinzelhandel angebaut.
Nur zehn Prozent der Kartoffelanbauer bauen Kartoffeln auf mehr als einem Hektar an. Das sind dennoch zwei Drittel aller Kartoffeln, die auf den Markt kommen. Etwa 40 Prozent der in Unterfranken angebauten Kartoffeln werden in Ökobetrieben angebaut. Der Ökoflächenanteil in Unterfranken beträgt etwa 16 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche.
Quelle: AELF, Karlstadt
 
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