Der jüngste Stadtrat aller großen ehemaligen Kreisstädte ist 35 Jahre alt. Und eine Frau. Sie heißt Isabel Frohnapfel und sitzt für die CSU im Karlstadter Stadtrat. Sie sollte jedoch nicht die einzige sein, schaut man sich den Aufwand an, mit den nicht nur die CSU, sondern alle Parteien seit Jahren versuchen, gezielt Frauen und junge Menschen zu gewinnen. Gebildet, heimatverbunden, politisch engagiert, jung und weiblich: Das ist der Prototyp.
Xena Hospes ist genau dieser Prototyp. Die 23-jährige Martkheidenfelderin will es Isabel Frohnapfel gleichtun und bei den Wahlen im März in den Stadtrat einziehen. Unter 660 Stadt- und Gemeinderäten im Landkreis Main-Spessart sind nur 102 Frauen, unter 60 Kreisräten gibt es nur 13 Frauen und unter 35 Jahren ist nur Frohnapfel. Diese Zahlen des Bayerischen Landesamtes für Statistik zeigen: Oft werden Frauen – und vor allem junge Frauen – nicht gewählt. Aber warum eigentlich?
Sexismus und Vorurteile: Vor allem im Internet ein Problem
Ein Grund lässt sich jeden Tag auf Facebook lesen: Sexismus – vor drei Wochen auch auf der Seite dieser Redaktion. "Grüne mit Frauenpower, aber ohne Bürgermeisterkandidatin" lautete die Überschrift eines Artikels, den die Main-Post postete. Auf dem Bild steht Xena Hospes zwischen ihren politischen Mitstreitern. Ein Mann kommentiert unter den Beitrag: "Geht man von der Berliner Politik aus, wäre es besser gewesen, manche Damen hätten Kinder erzogen anstelle hunderte Millionen Euro Steuergeld für Berater verbrannt." Fünf Männer bekunden per Daumen hoch ihre Zustimmung.
Die Kandidatin: Wer ist Xena Hospes?
"Vorurteile, wie das auf Facebook, hat mir zumindest noch niemand ins Gesicht gesagt. Aber natürlich gibt es diese Menschen", sagt Xena Hospes. Sie sitzt in der Redaktion, für den Besuch hat sie sich extra etwas Grünes angezogen. "Das passt doch", sagt sie und lacht.
Der Grund für ihre Kandidatur ist eigentlich schnell erzählt: Ihr ganzes Leben schon wohnt sie in Marktheidenfeld. Gerade macht sie ihr Referendariat in der Grundschule Elsenfeld (Landkreis Miltenberg). Zuvor ist sie vier Jahre lang zwischen Marktheidenfeld und ihrem Studienort Würzburg gependelt. "Meine Familie ist hier, mein Freund ist hier und unser Wirtshaus", erklärt sie.
Das sei es dann aber schon gewesen mit den Gründen für Marktheidenfeld. Die meisten ihrer Freunde seien bereits weggezogen. "Das Lichtspielhaus ist jetzt auch weg." Und nach einer bezahlbaren Wohnung hat sie "eine Ewigkeit" suchen müssen. "Für mich ist hier eigentlich nichts geboten", sagt Hospes. "Das soll sich ändern. Deswegen will ich in den Stadtrat."
Das Grundproblem: Junge Menschen und Frauen werden weniger ernst genommen
Mit Platz sieben steht Hospes relativ weit oben auf er Liste. Die Aussichten auf einen der 24 Stadtratsposten sind nicht überragend gut, aber auch nicht schlecht. Hospes muss darauf hoffen, dass genug Marktheidenfelder ihr Kreuzchen bei ihr machen. "Frauen und junge Menschen haben eins gemeinsam", sagt Regina Renner. Sie forscht an der Universität Würzburg zum Thema Jugend und Kommunalpolitik. "Sie werden gezielt nicht gewählt, weil man ihnen das Amt nicht zutraut."
Junge Menschen würden oft als unerfahren, frech oder verwöhnt abgestempelt. Ähnliches gelte für Frauen. "In vielen Orten haben zumindest Grüne und SPD schon eine quotierte Liste" sagt Renner, also abwechselnd Männer und Frauen. Trotzdem würden auch dort nur wenige Frauen im Stadtrat sitzen. "Noch immer schreiben Wähler und Wählerinnen politische Kompetenz eher Männern zu", sagt Renner.
Isabel Frohnapfel kennt dieses Problem nur allzu gut. Die 35-jährige Karlstadterin ist das jüngste Stadtratsmitglied im Landkreis. Weil sie eine Frau sei, habe sie immer besser sein müssen, sei immer kritischer beäugt worden als ihre Kollegen, sagt sie. "Definitiv werden Männer und Frauen anders wahrgenommen." Sie selbst sei oft von Männern als hysterisch bezeichnet worden, auch als sie im Stadtrat einfach für ihre Meinung eingestanden sei. Etwas, das Männer in ähnlich emotionaler Weise tun würden.
Es gebe jedoch, so Frohnapfel, auch einen anderen Grund, warum Frauen seltener gewählt werden. "Wir Frauen stehen uns da selbst im Weg." Frauen würden es oft nicht mögen, wenn andere Frauen nicht der Norm entsprechen. "Viele Frauen leben zwar sehr modern, bei Erziehung und Arbeit sind sie aber dann doch konservativ." Wenn eine Frau wie sie – jung, berufstätig, trotzdem Mutter – sich politisch engagiere, passe sie automatisch nicht mehr in diese konservative Norm, obwohl sich ja eigentlich ihr Mann um das Kind kümmere, während sie im Stadtrat sitzt. Isabel Frohnapfel sagt: "Ich bin auch Wahlhelferin. Ich habe noch nie eine Liste gesehen, auf der nur Frauen angekreuzt waren; dafür aber sehr viele, auf denen nur Männer angekreuzt waren."
Junge sind in der Unterzahl: Menschen und Wähler werden immer älter
Dazu kommt, dass es immer weniger junge Menschen gibt, die sie überhaupt wählen könnten. Jedes Jahr verliert der Landkreis 280 Menschen zwischen 18 und 30 Jahren wie eine Sozialraumanalyse für den Landkreis Main-Spessart im Jahr 2018 ergab. Waren im Jahr 1987 20,2 Prozent der Landkreisbevölkerung zwischen 18 und 30 Jahre alt, so waren es am 31. Dezember 2017 nur noch 14 Prozent.
Außerdem: Da die Kommunalwahl, "mehr als alles andere eine Persönlichkeitswahl" ist, wie Regina Renner sagt, ist die Bekanntheit eines Kandidaten ein entscheidender Punkt. Die Leute wählen, wen sie kennen. Und wer schon 30 Jahre lang im Vorstand eines Sportvereins aktiv ist, den kennen mehr Menschen als eine 23-jährige Studentin.
Wie geht Xena Hospes mit dem Problem um?
Xena Hospes bleibt trotzdem optimistisch. "Viele ältere Menschen aus allen Parteien, die ich getroffen habe, fanden meine Kandidatur super." Nachfrage bei Isabel Frohnapfel: Wie kann sie ihre erfolgreiche Kandidatur erklären? Es schade nie, sagt sie, aus einer lokal verwurzelten Familie zu kommen. Um Werbung für sich zu machen seien soziale Medien wichtig. Sie betont jedoch, dass junge Kandidaten auch ältere Menschen erreichen und überzeugen müssten. Das sind gute Neuigkeiten für Xena Hospes, denn sie möchte genau das: eine attraktive Stadt für jüngere und ältere Menschen. "Ich hoffe aber, dass mich gerade junge Menschen ansprechen, wenn sie jemanden brauchen."
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