Sie heißen Scotch Bonnet oder Lemon Drop, Bolivian Rainbow oder Jamaica Hot Chocolate. Nur vier Namen von tausenden Chilisorten, die es gibt. Rund 300 davon baut Thomas Schneider in Schönarts bei Karlstadt an. Anbau? Das klingt nach Feldern und großen Ernten. Doch ist es nur ein mittelgroßes Gewächshaus, das Schneider für seinen Chili-Anbau nutzt, denn dort gibt es je Sorte nur einen einzigen Stock. Nicht etwa, um Schoten zu produzieren, sondern nur „zur Kontrolle“, wie Schneider sagt. „Ich muss schließlich wissen, was ich meinen Kunden verkauft habe.“
„Das Interesse wird immer größer“
Seine Kunden, das sind Chili-Freaks aus ganz Deutschland, die ihr Glück darin finden, ein Chilipflänzchen im Garten oder auf dem Balkon gedeihen zu sehen und im Herbst viele Schoten zu ernten. Thomas Schneider, im Hauptberuf Gärtnermeister an der Landesanstalt in Veitshöchheim, handelt mit diesen Pflänzchen. Und um belegen zu können, welche Sorte er tatsächlich verkauft hat, stehen nun im Herbst in seinem Gewächshaus rund 300 verschiedene „Belegexemplare“ für sein Zuchtergebnis. Vor ein paar Jahren waren es noch hundert Sorten weniger in „Toms Treibhaus“, wie der 47-Jährige seinen Zuchtbetrieb nennt. „Aber das Interesse“, sagt Schneider, „wird immer größer.“
Chili hat eine Erfolgsgeschichte geschrieben, die ihresgleichen sucht. Dabei basiert der Erfolg der scharfen Schote auf einem Irrtum des Herrn Kolumbus. Auf einer Karibikinsel wurde dem Kapitän einst ein scharfes Essen serviert. „Pfeffer“, dachte er und sah sich als reichen Mann, schließlich war Pfeffer um 1600 seltenes Handelsgut und wertvoll wie Gold. Doch reich wurde nicht der italienische Seefahrer in kastilischen Diensten, sondern andere. Zum Beispiel die Familie McIlhenny, die 1868 Tabasco erfand. Bis dies allerdings so weit war, musste die Chilischote noch eine lange Geschichte durchlaufen, beginnend weit jenseits von Kolumbus. Ursprünglich stammen alle Chiliarten – auch die verwandte Paprika – von einer erbsengroßen Wildform ab, die die Botaniker eingedenk des Kolumbus?schen Irrtums „Bird-Pepper“ nennen, und die ihren Ursprung in Südamerika hat.
Nahrungsmittel und Währung
Schon rund 7000 vor Christus haben die Bewohner in der Gegend um das heutige Mexico City wilde Chilis gesammelt und damit ihren Speiseplan vervollständigt. Saatfunde belegen dies. Um 3400 vor Christus wurde in Lateinamerika damit begonnen, Chilis zu kultivieren. Natürlich in erster Linie als Nahrungsmittel. In Peru wurden die Chilis aber auch als Währung akzeptiert.
Mit dem Kultivieren kamen Neuzüchtungen, die Schoten wurden bunt, größer und immer schärfer. Scharf war früher schon „in“, weshalb die Chilis nach des Entdeckers Europa-Import von dort aus eine steile Karriere machten. Über die ganze Welt wurden Pflänzchen und Samen verteilt, vor allem die südlichen und asiatischen Kulturen verfielen der Chilischote.
Heute ist Indien der größte Chiliproduzent und -konsument der Welt. Ein Mekka für Chilifans ist die südindische Stadt Guntur, auf deren Gemüsemarkt fast nur Chilischoten aller Art angeboten werden. Und Speisen, die manchen Touristen zur Behauptung „ungenießbar“ verleitet. Zuerst dominiert zwar ein gewisses Brennen, aber wenige Momente danach stellt sich im Mund eine erheblich größere Sensibilität für andere Aromen ein.
Münchner HNO-Ärzte haben sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt und kommen zu dem Schluss: Bei Schärfe wird die Schleimhaut besser durchblutet, der Geschmack differenzierter wahrgenommen.
Schweißtreibende Wirkung
Deshalb werden die Menschen im heißen Süden aber kaum zu Chili greifen. Eher, weil man die schweißtreibende Wirkung scharfen Essens zur Abkühlung nutzen will. Was paradox klingt, ist wahr, denn Schweiß verdunstet und Verdunstung erzeugt Verdunstungskälte. Araber benutzen bewusst diesen Effekt, um zwischen Haut und Kaftan eine kühle „Klimazone“ zu schaffen. Weniger bewusst ist ihnen aber wohl der gesundheitliche Aspekt von Chili, das einen rund doppelt so hohen Vitamin C-Gehalt aufweist wie eine Zitrone, die als „Vitamin C-Bombe“ schlechthin gilt. Selbst Kleinkinder werden in Indien mit Chili gefüttert, was ihnen dieses wichtige Schutzvitamin beschert, aber auch reichlich Carotinoide wie Betacarotin – kein Gemüse hat mehr davon! Chili versorgt den menschlichen Organismus auch mit Magnesium, Kalium und Kalzium. Durch diese Mischung aus hochwirksamen Mineralien und Vitaminen trägt Chili zum Schutz vor grauem Star bei, kann vor Herzerkrankungen, Rheuma, Arthritis, Arteriosklerose und vielleicht sogar vor Krebs schützen.
Capsaicin und Handschuhe
Warum aber ist die Chilischote so scharf? Jedes Lebewesen will überleben. Dieser Wille hat im Laufe der Evolution dazu geführt, dass Pflanzen Schutzmechanismen entwickeln. Der Mensch reagiert auf Bedrohung mit Angst und kann weglaufen, die Rose kann das nicht. Aber sie hat Stacheln entwickelt. Chili ist raffinierter vorgegangen und hat für die Samen tragenden Schoten eine Substanz entwickelt, die Capsaicin genannt wird und die bei Fressfeinden das Brennen verursacht und vom Fressen abschreckt. Bei Vögeln wirkt Capsaicin nicht. Vögel spüren keinen Brennschmerz, was gut für die Chilipflanze ist, denn über die Ausscheidungen der Vögel werden die Samen im Sinne der gewünschten Fortpflanzung weit verstreut. Bei Säugetieren würde dies nicht funktionieren, da deren Magensäure das Erbgut in den Kernen zerstört.
Wenn Thomas Schneider die Samenkörner aus den getrockneten Schoten holt, tut er das vorsichtshalber mit Handschuhen. Es gibt Chili bei ihm, die sind 30 Mal schärfer als Cayennepfeffer. Die Sorte Carolina Reaper, die 2013 gezüchtet wurde, bringt es auf sagenhafte 2,2 Millionen Scoville'sche Einheiten. Cayennepfeffer hat 30.000 bis 50.000.
Schmerzen durch „Hitze“
Capsaicin ist farb-, geruch-, geschmacklos und robust, nur mit Alkohol oder Fett kann man ihm zu Leibe rücken, denn darin ist es löslich. Nicht jedoch in Wasser – was erklärt, warum es sinnlos ist, gegen das Brennen im Mund Wasser zu trinken. Im Gegenteil: Capsaicin wird durch Wasser noch besser im Mund verteilt und brennt noch heftiger.
Capsaicin-Schärfe wird entgegen landläufiger Meinung nicht durch die Geschmacksnerven übermittelt, sondern wirkt auf die Wärmerezeptoren in der Haut. Es wird quasi eine thermische Täuschung verursacht. Dem Hirn werden „Schmerzen durch Hitze“ gemeldet. Sofort werden Endorphine – körpereigene, morphiumähnliche Schmerzkiller – ausgeschüttet. Da aber kein Hitze-Schmerz vorhanden ist, kommt es zu einem Überschuss an Endorphinen, wodurch ein leichtes Glücksgefühl entsteht, von Experten als „Pepper-High“ bezeichnet.
Das Wirken auf die Wärmerezeptoren kennt auch die Medizin. Wenn Capsaicin auf die Haut gelangt, sorgt die entstehende Wärme für eine heilende, antirheumatische Wirkung. Das C im ABC-Pflaster steht nicht umsonst für Capsaicin. Die Wärme ist aber nur eine positive Folge des Capsaicins im Wärmepflaster. Ein weiterer Vorteil ist die schmerzstillende Wirkung. Capsaicin sorgt dafür, dass ein in jedem Säugetier (also auch bei Menschen) zu findender Schmerzbotenstoff namens „Substanz P“ in seiner Freisetzung gehemmt wird. Mehr noch: Substanz P wird abgebaut und somit werden Schmerzsignale nicht mehr übertragen.
„Dann ist mit mir die Sammelleidenschaft durchgegangen“
Züchter Thomas Schneider kam übrigens vor gut zehn Jahre zufällig auf die Chili, bei der Geburtstagsfeier eines Freundes. Früher auf Passionsblumen spezialisiert, begann er Chilis anzubauen – „und dann ist mit mir die Sammelleidenschaft durchgegangen“. Jetzt leuchtet sein Gewächshaus im Frühherbst in den tollsten Farben. Die kleinsten Chili-Schoten sind nur etwa einen Zentimeter groß. Manche sehen aus wie Hagebutten. Und die größten Schoten bringen es auf 500 Gramm.
Chili im Blumentopf
Capsicum frutescens bringt Feuer in den Kochtopf – und ist hübsch im Blumentopf. Damit die schön geformten, leuchtenden Früchte ihre Schärfe entwickeln können, ist viel Sonne und Wärme nötig. Ein Südfenster ist also der richtige Standort, künstliche Beleuchtung kein Fehler. Chilis brauchen viele Nährstoffe: Regelmäßig muss Dünger ran.
Tipps zu Anbau, Pflege und Verwendung – nicht nur von Chilis – gibt es im Buch „Indoor Gardening“ vom Garten Fräulein, erschienen 2016 in der Edition Michael Fischer. Autorin ist die Würzburger Bloggerin Silvia Appel.