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STEINBACH/STUTTGART
Warum Chinesen in Deutschland asiatische Kunst kaufen
Philipp von Hutten aus Steinbach ist Auktionator und Geschäftsführer des Stuttgarter Auktionshauses Nagel.
Foto: Nagel Auktionen | Philipp von Hutten aus Steinbach ist Auktionator und Geschäftsführer des Stuttgarter Auktionshauses Nagel.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:16 Uhr

Er ist der wohl größte Auktionator Deutschlands: Philipp von Hutten misst 2,07 Meter. „Morgens“, scherzt er. Seit gut einem Jahr leitet der 41-Jährige aus Steinbach bei Lohr (Lkr. Main-Spessart) das Auktionshaus Nagel in Stuttgart, eines der fünf größten in Deutschland. Seit ein paar Jahren ist das Hauptgeschäft des Hauses asiatische Kunst – die Chinesen kaufen zurück, was Sammler in den vergangenen Jahrhunderten nach Europa gebracht haben.

Eine Geschichte, die Hutten von einer chinesischen Vase erzählt, zeigt, wie lohnend dieser Markt zur Zeit ist. Andere führende Auktionshäuser sahen sie als „Fälschung“ an, besser gesagt, als eine später im Yongle-Stil gefertigte, aber nicht originale Vase. Sie lehnten ab. Nagel nahm sie, ausgewiesen als „nicht original“, mit einem Startpreis von 2000 Euro ins Angebot.

Wie eine vermeintliche Fälschung durch die Decke ging

Normalerweise steige das Gebot pro Handzeichen um zehn Prozent, sagt Philipp von Hutten. Doch nach ein paar Geboten stand Anfang Dezember in der Salzburger Filiale der nach Angaben Huttens wichtigste Händler für derlei Vasen, ein Chinese, auf und sagte: „700 000“. „Da war allen anderen klar: Die Vase muss echt sein.“ Letztlich stiegen die Gebote für das vielleicht aus dem 15. Jahrhundert stammende Gefäß auf 1,8 Millionen Euro. „Den Job“, sagt Hutten, „hab ich wegen dieser Momente gewählt und weil ich mich täglich mit wechselnden schönen Dingen umgeben kann.“

Asiatika sind zwar das größte Standbein des Kunstauktionshauses Nagel. Aber es bietet auch Antiquitäten, moderne und zeitgenössische Kunst und Sammlerteppiche an. Damit sei das Haus mit einem Jahresumsatz von 23 Millionen Euro breit aufgestellt, aber ein Standbein schwächele massiv, sagt Hutten: „Antiquitäten sind nicht mehr in.“

Antiquitätenpreise sind im Keller

Heute stehe Großvaters Sekretär inmitten von Ikea. Junge Leute richten sich kein ganzes Biedermeierzimmer mehr ein. Die Antiquitätenpreise seien daher im Keller, sagt der Auktionator. Ein Stück, für das vor 20 Jahren noch 80 000 Mark bezahlt wurden, bringe heute vielleicht noch 8000 Euro.

„Massiv“ beeinträchtigt sei das Geschäft durch das Kulturgutschutzgesetz von 2016. Es verunsichere die Kunden und habe Käufer und Verkäufer zurückhaltender werden lassen. So sei etwa, erzählt Hutten, ein Einfuhrzettel nötig, wann ein Stück nach Deutschland gekommen sei. Aber für Stücke, die schon im 18. Jahrhundert hierher gebracht wurden, gebe es solche Zettel nicht. Und das Verbot von Elfenbeinhandel treffe auch historische Stücke.

Wie Hutten Auktionator wurde

Philipp von Hutten wälzte schon als Kind mit der Taschenlampe unter der Bettdecke die Auktionskataloge, die seine Mutter im familieneigenen Schloss in Steinbach herumliegen hatte. Ab der 6. Klasse war er im Internat in Schondorf am Ammersee, nach dem Abitur studierte er Architektur. Als er sich fragte, was ihm wirklich Freude bereitet, kam er wieder auf Auktionen.

Also machte er nach dem Studium ein Praktikum bei einem Kölner Auktionshaus und bewarb sich danach als Auktionator beim traditionsreichen Wiener Dorotheum, dem nach eigenen Worten führenden Auktionshaus Mitteleuropas – und wurde genommen.

Sein adeliger Name sei in dem feudalen Haus gut angekommen, sagt er. In Wien moderierte von Hutten auch Galas für die Ronald-McDonald-Häuser in Österreich. Den Asiaten hingegen sei sein Name egal, bei denen machten eher seine Körpergröße und seine blonden Haare Eindruck. Ihm gefällt, dass man als Auktionator Kunstgeschichte aus erster Hand erfahren könne. Vor einer Auktion könne man Kunstgegenstände auch mal ohne Handschuhe in die Hand nehmen.

In Wien lernte Hutten auch seine Frau Helena, eine geborene von Treuenfels, kennen. Sie bekamen bald ihr erstes von drei Kindern. Hutten hatte auf einmal eine Familie zu ernähren. Aber, sagt er: „Als Auktionator verdient man nahezu nichts.“

Wechsel zu Start-up nach Berlin

Hutten kündigte und ging als Auktionator und Experte für Antiquitäten zu Auctionata, einem Online-Start-up in Berlin. Was für ein Unterschied, erzählt er: War in Wien alles sehr förmlich, duzten sich dort alle. In Berlin stand er mit der Kamera „vor der Nase“ da und machte Online-Live-Auktionen für ein weltweites Publikum. Sie kauften sich im Berliner Umland ein Häuschen.

Irgendwann habe er gemerkt, dass das Unternehmen gegen die Wand fahren werde. Am liebsten hätten die Chefs dort jeden Tag eine Auktion gemacht. Aber, sagt Hutten: „Eine Auktion ist ein Event, darauf arbeitet man hin.“ Auctionata meldete Insolvenz an. Sein Glück sei gewesen, dass er, wie er es ausdrückt, von Nagel „abgefischt“ wurde. Nun pendelt er wöchentlich zwischen Berlin und Stuttgart.

Hand und Nagel statt Hammer

Dort ist er jetzt Chef von 35 Mitarbeitern – und macht etwa zwölf Auktionen im Jahr. Hutten hat dort übrigens keinen Hammer, sondern klopft mit der Hand auf den Tisch. Nur ab und an nimmt er dafür als kleinen Gag einen großen Nagel. Gebote kommen per Telefon, übers Internet oder klassisch vor Ort per Handzeichen.

Wie kommt das Auktionshaus zu seinen Stücken? Zum einen melden sich Verkäufer direkt bei Nagel oder werden von Experten dorthin vermittelt, zum anderen schaltet das Unternehmen Inserate und veranstaltet regionale „Expertentage“, bei denen dann Fachleute Hausbesuche machen und womöglich einen Vertrag mit Verkäufern schließen. Aber: „Wir kaufen nichts an, wir sind immer nur Kommissionäre.“ Der Verkäufer der Ware zahlt das Abgeld, eine Provision in Höhe von fünf bis 25 Prozent, der Käufer das Aufgeld, bei Nagel 33 Prozent, auf den Zuschlagspreis.

Keine Angst vor Ebay

Die Auktionsplattform Ebay sieht Hutten immer weniger als Konkurrenz. Beschreibungen dort unterlägen keiner Kontrolle, was aber für das Vertrauen wichtig sei. Es gebe allerdings Seiten, die die digitalen Angebote verschiedener Auktionshäuser bündeln. „Das finden viele Kunden angenehm.“ Die Seiten seien ein Stück weit Konkurrenz durch den Auftritt anderer Anbieter, brächten aber auch zusätzliche Bieter.

Nagel gelte unter Asiaten als die Adresse für asiatische Kunst. Chinesen vertrauten Stücken, die aus Europa kommen, mehr als solchen aus dem eigenen Land. Aber der vereidigte Versteigerer Hutten macht sich keine Illusionen: „In zehn Jahren ist Europa leergekauft.“

Das teuerste Stück bislang war eine Teekanne für 3,4 Millionen. Von solchen Preisen hänge es auch ab, wo Nagel am Ende des Jahres in der Rangliste der deutschen Auktionshäuser rangiere. Hutten: „Die besten drei Zuschläge entscheiden alles.“

„Eine Auktion ist ein Event, darauf arbeitet man hin.“
Auktionator Philipp von Hutten
Diese chinesische Vase wurde von Bietern überraschend als echt angesehen und bekam für 1,8 Millionen Euro den Zuschlag.
Foto: Nagel Auktionen | Diese chinesische Vase wurde von Bietern überraschend als echt angesehen und bekam für 1,8 Millionen Euro den Zuschlag.
Diese seltene kaiserliche „Doucai“-Teekanne wechselte für 3,73 Millionen Euro den Besitzer – deutscher Rekord für Kunsthandwerk.
Foto: Nagel Auktionen | Diese seltene kaiserliche „Doucai“-Teekanne wechselte für 3,73 Millionen Euro den Besitzer – deutscher Rekord für Kunsthandwerk.
 
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