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MARKTHEIDENFELD
War Watteaus Pierrot ein Alpfler Laabfrosch?
Aus der Commedia dell' Artel: Julius Goldmann weist auf Watteaus Motiv des „Zufriedenen Pierrots“ hin, das eine Wand im Festsaal des Marktheidenfelder Franck-Hauses ziert.
Foto: Martin Harth | Aus der Commedia dell' Artel: Julius Goldmann weist auf Watteaus Motiv des „Zufriedenen Pierrots“ hin, das eine Wand im Festsaal des Marktheidenfelder Franck-Hauses ziert.
Martin Harth
Martin Harth
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:55 Uhr

Gewebe ist keineswegs nur ein textiler Begriff. Dies machte Marktheidenfelds Kulturreferentin Inge Albert am Freitagabend im Festsaal des städtischen Kulturzentrums Franck-Haus deutlich. Gewebe, das könne auch für Verknüpfung und Vernetzung in der europäischen Gedankenwelt stehen.

Rund 15 Zuhörer waren auf Einladung der Volkshochschule zum Vortrag „Die Commedia dell'Arte: ein Mode-Stoff im europäischen Kulturnetzwerk des 16. und 17. Jahrhunderts“ des Würzburger Kunsthistorikers Julius Goldmann im Rahmen des bayerischen Kulturfestivals „Gewebe.Textile.Projekte“ gekommen. Der Referent stellte die Commedia dell'Arte als eine Form ursprünglich volkstümlichen Stegreiftheaters vor, das im 16. Jahrhundert im südlichen Italien entstand. Bald verbreitete es sich wegen seiner großen Unterhaltsamkeit in ganz Europa.

Der italienische Komödiendichter Carlo Goldoni hat den Begriff dafür erst im 18. Jahrhundert geprägt. Die von Ort zu Ort reisenden Darstellertruppen fanden ihre Stoffe in der Antike. In einem Bühnenbild agierten die Schauspieler frei nach grob vereinbarten Abläufen mit festen, sich stets widerholenden Rollentypen. Dazu trug man zunächst typische Masken; später beschränkte man sich auf bestimmte Kostüme oder einen vorgegebenen Gestus. Wesentliche Charaktere ein alter Adliger in Hosen (Pantalone), ein alter Diener (Zanni), der Spaßvogel (Arlecchino), der für die hochnäsige, moralische Belehrung zuständige Dottore und Pulcinella mit großem Bauch als genussvolle Fresserin.

Hinzu kamen weitere Damen adligen und niederen Stands mit mannigfachen erotischen Reizen sowie weitere Nebenrollen, je nachdem wie viele Schauspieler zur Verfügung standen. So konnten im Stegreifspiel die Ränke und Verwechslungen auf der Bühne beginnen, stets zum Amüsement des Publikums. Es ging eher derb zu und oft betont sexuell. Die Commedia dell'Arte wandelte sich mit den Zeiten, behielt aber ihren Einfluss auf die Theaterwelt – man denke nur an das Werk Molieres.

Die Commedia schlug sich bald in der Bildenden Kunst nieder. Goldmann verwies darauf, dass sich ein frühes Beispiel ausgerechnet im bayerischen Landshut befindet. Auf der Narrentreppe der Burg Trausnitz findet man die früheste Darstellung entsprechender Figuren nördlich der Alpen. Friedrich Sustris entwarf 1575 die Wandmalereien. Auch der Würzburger Fürstbischof ließ seine Prachtzimmer in der Residenz mit Gobelins schmücken, die Figuren der Commedia dell'Arte zeigen.

Goldmann forderte seine Zuhörer im Festsaal des Franck-Hauses auf, sich umzusehen und in den dortigen Gobelinmalereien nach Hinweisen auf die Commedia dell'Arte zu suchen. Zunächst zeigen sich die Darstellungen, die von einem unbekannten Künstler nach Vorlagen des damaligen Modemalers Antoine Watteau gefertigt worden waren, rein als galante, höfische Rokoko-Landpartien.

Eine Figur sticht jedoch hervor. Der „Zufriedene Pierrot“ sitzt offenbar glücklich mit seidenen Schuhen und typischer Kopfbedeckung zwischen zwei Damen. Er trägt statt Watteaus weißem Hemd als einziger einen leuchtend grünen Kittel. Das hat ihm vor Ort schon den Spott eingebracht, ein „Alpfler Laabfrosch“ aus der Grafschaft zu sein. Dort trug man grüne Kittel als Tracht.

Seitenverkehrt gemalt

Eine der Damen singt Pierrot ein Lied. Ein Konkurrent blickt die Gitarrenspielerin verliebt an. Zu der anderen Dame, die sich auch dem Pierrot zuzuwenden scheint, schmiegt sich ein Nebenbuhler an deren Beine. Im Gebüsch hinter der Gruppe macht sich der Eifersüchtige bereits bemerkbar, während Pierrot noch ganz zufrieden seine Hände auf seinen Oberschenkeln ruhen lässt.

Es handelt sich in diesem Fall um die Wiedergabe einer ganz typischen Spielszene, wie sie sich die Commedia dell'Arte zu eigen machte. Dass Watteaus Vorbild seitenverkehrt wiedergegeben wurde, findet seine Ursache wohl darin, dass dessen Bildmotive in Europa häufig durch Kupferstiche Verbreitung fanden.

Watteaus frühes Gemälde „Der zufrieden Pierrot“ hat in der Komposition eine deutliche Ähnlichkeit zu einem Tapetenbild im Festsaal des Franck-Hauses.
Foto: Martin HArth | Watteaus frühes Gemälde „Der zufrieden Pierrot“ hat in der Komposition eine deutliche Ähnlichkeit zu einem Tapetenbild im Festsaal des Franck-Hauses.
 
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