
Neun kleine Nasen schweben dicht über dem Boden. Aus Erwachsenenperspektive kaum zu erkennen: eine Raupe. Die Nasen gehören zu den Kindern der "Waldhüpfer" in Karlburg. Sie sind auf dem Weg zu ihrem Kindergartengelände, um dort den Vormittag mit ihren beiden Erzieherinnen zu verbringen.
Seit September gibt es die Waldgruppe. Im Wechsel betreuen Barbara Schäfer-Jokisch, Michaela Greser-Seitz und Doris Gierlich, die sich seit Jahren für die Entstehung der Waldgruppe eingesetzt hat, paarweise die Kinder. Am Waldsaum, dem "Stoffelsloch", schmiegt sich die neu gebaute Holzhütte an den Hang. Daneben ein Klohäuschen – Herzchen in der Tür, Komposttoilette. Vor der Hütte ein großes Dach, Hackschnitzel auf dem Boden, ein Kreis aus Baumscheiben zum Sitzen, eine Feuerstelle und eine Hobelbank.
Gedanken über die Erziehung der Kinder
Die Eltern bringen jeden Morgen die Kinder zum Treffpunkt an der Verbindungsstraße nach Wiesenfeld. Typische Ökos? "Nicht unbedingt", sagt die Erzieherin Barbara Schäfer-Jokisch (31). "Das sind Eltern, die sich sehr viele Gedanken machen, welche pädagogische Betreuung sie für ihr Kind möchten."

"Wir brauchen die Natur, sie uns nicht", so Schäfer-Jokisch. Der Waldkindergarten sei eine Möglichkeit, Kinder wieder Kontakt zur Natur haben zu lassen. "Kinder verlernen in unserer Gesellschaft das Urspiel", den fantasievollen Umgang mit natürlichen Gegenständen: Blätter, Erde, Stöcke. "Ein Stock kann alles sein: Trompete, Kochlöffel, Besen oder eine Angel." Einige Kinder haben an der Hütte ein Holzbrett gefunden und es über eine Kuhle im Boden gelegt. Das ist nun ihr Boot.
Die Kinder toben im schwarzen Matsch
In der Kuhle: schwarzer Matsch. Die Erzieherin zuckt die Schultern: "Eigentlich kommt da die Asche von unserem Lagerfeuer rein." Jetzt toben die Kinder darin herum. Die Matschklamotten hier verdienen ihren Namen.

Ein anderes Kind hat auf der Wiese einen Pilz entdeckt. "Micha, komm, ein Pilz!" Michaela Greser-Seitz (53) ist die zweite Erzieherin der Gruppe an diesem Tag. Weitere Kinder folgen neugierig. Von Pilz zu Pilz über die Wiese, dann in den Wald. Ziel: die Wildschweindecke.
Diese hatte ein Jäger der Gruppe geschenkt. "Wir haben die Stücke an den Rand unseres Geländes gelegt." Jeden Tag wollen die Kinder sehen, ob des nachts Füchse, Mäuse oder andere Tiere dort genagt haben. "Ich habe noch was gesehen", sagt ein Kind stolz, "die Füße und den Schwanz." Naturnähe, kaum zu überbieten.
In die Hütte geht's nur selten
Ein anderes Kind kommt heran. "Ich will malen." Die 53-Jährige holt Holzstaffelei und Wasserfarben aus der Hütte. "Die Hütte nutzen wir nur, wenn es richtig kalt ist und die Kleidung der Kinder nass ist. Dann können sie sich drin im Warmen umziehen." Beheizt werden kann die Hütte mit einer Gasheizung.
Auf ein Förderprogramm verzichten die Erzieherinnen der Waldhüpfer. "Wir wollten keine fixen Vorgaben, sondern integrieren das in unseren Alltag mit Liedern und Reimen", so Schäfer-Jokisch. Im Morgenkreis zählt ein Kind die Anwesenden oder entdeckt auch schon mal einen Stock, der aussieht wie eine Eins.

Sie erklärt: "Wir bieten den Kindern hier einen sicheren Rahmen, in dem sie natürlich spielen und frei entdecken können." Es gibt Regeln und Rituale. Diese schaffen erst die Sicherheit, die ein Kind braucht, um sich frei zu bewegen. Innerhalb dieses Rahmens haben die Kinder viel Raum, um eigene Entscheidungen zu treffen. Die Kinder dürfen in den Wald, müssen aber vorher Bescheid sagen. Es gibt keinen Zaun, stattdessen ist die Grenze des Geländes mit Stoffstreifen markiert. Ertönt ein Gong, heißt das: Alle zur Hütte.
Frühstück am Lagerfeuer
Der Tag beginnt nach dem Weg zur Hütte mit Händewaschen. Dann Morgenkreis und den Tag planen. Regelmäßig gibt es Projekte. Derzeit steht das Basteln von Martinslaternen an. "Wir basteln hier mit Naturmaterialien. Blätter, Früchte und Äste sind unsere Arbeitsmaterialien."
Dann freies Spielen. Danach: Händewaschen und Frühstück – wenn es kalt ist, mit Lagerfeuer. Dann wieder spielen, Abschlusskreis und zurücklaufen zum Abholpunkt.
Die Erzieherin Michaela Greser-Seitz hat 34 Jahre Berufserfahrung. Dies ist ihre erste Waldgruppe. Auf die Frage, wie sie das hier bewertet, auf einer Skala von eins bis zehn, strahlt sie. "Das ist der Himmel hier." Hier habe sie endlich genug Zeit für die Kinder, könne auf Einzelne eingehen – wie auf einen Bub, der heute keinen guten Tag hat. Er schreit, weint, wirft sich auf den Boden.
Respektvoller Umgang
In einem Hauskindergarten wird da schnell eingriffen. Viel zu laut in geschlossenen Räumen. Greser-Seitz geht zu dem Jungen, setzt sich daneben. "Ich merke, dass es dir heute nicht gut geht. Was brauchst du? Kann ich etwas für dich tun?" Der Umgangston der Erzieherinnen mit den Kindern – und dadurch auch der Kinder untereinander – ist ruhig und respektvoll. Eher Augenhöhe statt Machtgefälle.
Doch auch im Waldidyll mit Blick auf den sonnenbeschienenen Saupurzel und die leuchtenden Weinberge gibt es Streit. Auf dem Boot sitzt nun nur noch eine Anglerin und will nicht runter. Eine Gruppe Jungs steht um die Kuhle. Das Boot soll jetzt ein Steg sein und muss da raus. Die Anglerin runter, Gerangel, dann Tränen.
Zurück ins normale Leben
Barbara Schäfer-Jokisch macht, was man in Konfliktsituationen – auch unter Erwachsenen – machen sollte. Sie solidarisiert sich mit dem Opfer, kniet neben der Anglerin, nimmt sie in den Arm. "Aber da weint doch jemand. Da muss man mal nachfragen was los ist." Betroffene Blicke in der Runde der Buben, ein Funken Einsicht.
Bei der Abschlussrunde vertragen sich alle wieder. Ein Stoff-Igel verabschiedet die Kinder. Nochmal was trinken? Toilette? Rucksäcke auf und zurück ins normale Leben. Dass es heute fast fünf Stunden am Stück geregnet hat bei 12 Grad Celsius, hat irgendwie niemand gemerkt. Kaum zu glauben, dass man bei diesem Wetter normalerweise drin sitzt, um sich Videos vom Draußen-Sein anzuschauen.