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GEMÜNDEN
Vor 30 Jahren wurde die ICE-Brücke bei Gemünden fertiggestellt
Schnellbahnbrücke: Der Widerstand gegen den Bau der ICE-Strecke war groß. Die Bürger befürchteten Lärmbelästigungen, die Stadt Nachteile bei der Entwicklung. Eine Bilanz nach 30 Jahren.
Vor 30 Jahren fertiggestellt: Die Schnellbahnbrücke zwischen Hofstetten und Langenprozelten.
Foto: Heilgenthal | Vor 30 Jahren fertiggestellt: Die Schnellbahnbrücke zwischen Hofstetten und Langenprozelten.
Von unserem Mitarbeiter Ferdinand Heilgenthal
 |  aktualisiert: 05.09.2013 15:26 Uhr

Die Maintalbrücke der Schnellbahntrasse Würzburg – Hannover in Gemünden wurde vor 30 Jahren, im Oktober 1983, fertiggestellt. Das endgültig im Mai 1988 in Betrieb genommene Bauwerk war, wie das gesamte Bauvorhaben, äußerst umstritten. Heute scheint sie akzeptiert zu sein, nicht zuletzt, weil die befürchteten Lärmbelästigungen dank Schallschutz und moderner Technik nicht eingetroffen sind.

Wie heftig sich der Protest äußerte, und wie schwer die Überzeugungsarbeit war, daran erinnert sich Karl Weißkopf heute noch gut. Der 83-jährige Vollblut-Eisenbahner war damals als SPD-Stadtratsmitglied ein ausgesprochener Verfechter des neuen Schnellbahnsystems. Im Gespräch blickt er auf die Zeit zurück: Im Planungszeitraum in den 1970er Jahren fanden umfangreiche Abstimmungsgespräche statt, was die Streckenführung und die Bauart betraf.

Mehrere Varianten wurden diskutiert. Die ursprünglich aus Gründen des Landschaftsschutzes vorgesehene 1165 Meter lange Stahlfachwerkbrücke über den Fluss mit einer Spannweite von 135 Metern und 28 Metern Höhe, ähnlich der später errichteten Konstruktion der Nantenbacher Kurve, wurde im Planfeststellungsverfahren nach Einwendungen der Stadt Gemünden verworfen. Als Hauptargument gegen die Stahlbrücke wurde die zu erwartende höhere Lärmbelastung angeführt.

Vielmehr entschieden sich die Verantwortlichen für eine auf V-Pfeilern errichtete Brücke aus Beton mit insgesamt 299 Meter Länge, davon 130 Meter freitragend über den Main, was es bis dahin bei Eisenbahnbrücken weltweit nicht gab.

Am 11. Februar 1977 demonstrierten 300 Bürger vor dem Gemündener Rathaus gegen die Strecke. Vor allem Bundesbahndezernent Helmut Maak, der zu Gesprächen in die Stadt gekommen war, stand im Mittelpunkt der Kritik. Wie im Internet nachzulesen ist, sammelte eine Bürgerinitiative, die die Hofstettener Ortssprecherin Anni Haas stark unterstützte, 7000 Unterschriften gegen den Bau. Außerdem weigerte sich die Stadt Gemünden, der Deutschen Bundesbahn das erforderliche Gelände zur Verfügung zu stellen.

Zu den Hauptargumenten der Stadtverwaltung, der Mehrheit des Stadtrats und des Bürgermeisters Kurt Völker und später seines Nachfolgers Hans Michelbach gegen die Schnellbahn zählte unter anderem die befürchtete Verzögerung des Zusammenwachsens der Ortsteile Langenprozelten und Gemünden. Deshalb mussten in Gemünden noch einige Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, bis der Bau beginnen konnte.

Weißkopf erinnert sich, dass man ihm bei der Demonstration vor dem Rathaus nicht das Mikrofon geben wollte, damit er nicht seine Argumente pro Schnellbahn darlegen konnte. Dann gab es eine Podiumsdiskussion im voll besetzten Kolpinghaus im Mai 1977 mit den Experten der Bahn und Vertretern der Stadt. Kurz bevor diese beginnen sollte, sagte man Karl Weißkopf: „Da gehst Du nicht mit nauf“. Mit gewissem Stolz sagt der pensionierte Eisenbahner, der sich heute noch in der Stiftung Bahnsozialwerk engagiert und Freundschaften zu den ehemaligen Kollegen pflegt: „Aber der Karl ist mit nauf gegange.“

Mit zeitlichem Abstand zu den Geschehnissen fällt die Bewertung der Schnellbahnstrecke heute anders aus. Karl Weißkopf präsentiert verschiedene Bildbände und Hefte, die das Projekt als „bahnbrechend“ für die heute weltweit selbstverständlichen Hochgeschwindigkeitsstrecken einordnen.

Sie seien in Deutschland auch die Voraussetzung dafür gewesen, die Fahrpläne im Regionalverkehr zu modernisieren: „In 28 Minuten fährt man heute von Gemünden nach Würzburg.“ Im 1987 erschienenen Werk „Wege in die Zukunft“, mit der Kommentierung der Neubau- und Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn, haben nicht weniger als 63 Autoren mitgewirkt. Darin sind Beiträge zu Organisation, Baurecht und Naturschutz zu finden. Vor allem enthält das Werk detaillierte technische Diagramme zu den Querschnitten der Tunnels, dem Aufbau der Brücken sowie wissenschaftliche Untersuchungen über Belastungen, Reaktionen an Fahrzeugen und baulichen Einrichtungen durch die erhöhte Geschwindigkeit und weitere physikalische Erkenntnisse.

Den ersten fahrplanmäßigen Fahrten mit dem ICE über die neuen Strecken gingen umfangreiche Testläufe voraus. Schließlich betrat die Bahn mit den Fahrzeugen der Baureihe 401, ausgestattet mit Drehstromtechnik, digitaler Antriebssteuerung, Hochgeschwindigkeitsstromabnehmern und einem neuen Bremssystem auf vielen Gebieten technisches Neuland.

Mit zwei Triebköpfen und zwölf Mittelwagen erreichte der Zug eine Höchstgeschwindigkeit von 280 Stundenkilometern. Am 1. Mai 1988 kam der ICE-Vorläuferzug (IntercityExperimental) auf der Brücke auf eine Geschwindigkeit von 405 Stundenkilometern, was damals Weltrekord für Schienenfahrzeuge bedeutete.

Unterm Strich kann man auch den Gegnern der Schnellbahnstrecke bescheinigen, dass sich ihr Einsatz gelohnt hat. Die Züge, die, vom Mühlbergtunnel auf der linksmainischen Seite aus, das Maintal überqueren, in Sekundenschnelle im Einmalbergtunnel verschwinden, oder umgekehrt, sind kaum zu hören. Ganz im Gegensatz zu den mitunter veralteten Güterzügen mit exotischen Diesellokomotiven aus dem Osten Europas, die durch Gemünden rattern.

Erinnerungen: Karl Weißkopf weiß noch genau, wie schwierig die Umsetzung des Projekts Schnellbahn in Gemünden war.
| Erinnerungen: Karl Weißkopf weiß noch genau, wie schwierig die Umsetzung des Projekts Schnellbahn in Gemünden war.
 
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