Mit Jagdpächter Hubert Helfrich sitze ich im Hochstand in der Waldabteilung Ochsenrain am Mühlberg. Es ist nicht so kalt, wie man es für Anfang Dezember erwarten könnte. Die Sonne steht tief, und ihre Strahlen verleihen dem Eichenwald um uns herum etwas Mystisches. Doch wir sind nicht wegen der Romantik hier. „Wenn ich schieße, halte die Ohren zu“, rät mir Helfrich, der sein Gewehr in Anschlag bringt.
Es ist an diesem Samstag Treibjagd in allen elf Jagdrevieren zwischen Wiesenfeld, Massenbuch und Hofstetten. Helfrich ist Pächter vom Jagdrevier „Bogen zwei“ in Wiesenfeld und für dieses hat er die Treibjagd organisiert. Treffpunkt ist an seiner Jagdhütte nördlich von Wiesenfeld. Circa 40 Jäger sind gekommen, die meisten sind aus dem Umkreis, manche kommen aus dem Taunus. Sogar drei Jäger aus Österreich sind dabei.
Normalerweise sind die Jäger in unauffälligen Farben gekleidet. Diesmal nicht. Rote Warnwesten, Jacken und orangefarbene Mützen fallen ins Auge. Denn heute geht es nicht um das behutsame Anpirschen an das Wild, heute ist sozusagen Großkampftag. Jeder Jäger hat seinen festen Platz im Jagdrevier, und die Treiber werden mit Hunden laut rufend versuchen, das Wild zu beunruhigen, wie es im Jägerdeutsch heißt. Es soll dazu bewegt werden, seine Verstecke zu verlassen, sodass es den Jägern vor die Büchse kommt.
Hubert Helfrich erklärt die Regeln, die die meisten schon kennen. Kein Rehwild darf geschossen werden, denn auf einer Treibjagd ist dies nicht erlaubt, sagt er. Außerdem ist die Abschussquote für das Rehwild schon per Ansitz bereits gut erfüllt. Es geht nur auf Wildschwein, Fuchs und Marder, wobei vor allem die Schwarzkittel dezimiert werden sollen. Diese sind nämlich die Gewinner des Klimawandels und haben sich stark vermehrt.
Früher, als es noch strenge Winter mit Frostperioden über zwei bis drei Wochen gab, haben das die zu kleinen Frischlinge meist nicht überlebt. Die großen Wildschweine überstanden die Kälte aufgrund ihrer Fettschicht, die sie sich angefressen hatten. Sie bewegen sich nicht, um den Energieverbrauch zu minimieren. Die schwächeren Frischlinge verhungern dagegen oder werden gefressen.
Zudem profitieren die Schwarzkittel vom veränderten Anbau der Feldfrüchte. In den Raps- und Maisfelder können sie sich gut verstecken, und sie bieten Nahrung. „Sie haben keine natürlichen Feinde“, stellt Helfrich fest. Den Wolf gibt es hier nicht. Deshalb müsse der Jäger regulierend eingreifen. Dies dient auch der Verhinderung von Krankheiten wie der Schweinepest, die ausbrechen kann, wenn es zu viele Wildschweine gibt.
Helfrich teilt einen Trupp von Jägern ein. Auf dem Weg zu unserem Hochstand bleibt im Abstand von etwa 200 Metern jeweils ein Jäger an einem Ansitz zurück. „Waidmannsheil“ wünscht man sich für die Treibjagd. Dass die Wildschweine da sind, zeigt der umgepflügte Boden, den wir auf dem Weg zu unserem Hochstand kreuzen. Er wurde auf der Suche nach Fressbarem von den Schwarzkitteln kräftig umgewühlt. Unser Standort gilt als gut. „Bei der letzten Treibjagd wurden von hier drei Wildschweine geschossen“, sagt Helfrich.
Diesmal allerdings nicht, um dies gleich vorwegzunehmen. Kein Schwarzkittel lässt sich den ganzen Vormittag über sehen, obwohl wir mit dem Fernglas intensiv den Wald beobachten. Auch um uns herum ist es ungewöhnlich ruhig. Ab und zu hört man einen Schuss, aber kein Vergleich zu früheren Treibjagden, sagt Helfrich. Nördlich schließt sich das Revier Schönrain an, in dem bekanntermaßen sehr viele Wildschweine sind. „Da hört man in der ersten halben Stunde meist 50 Schuss“, sagt Helfrich. Heute nicht.
Am Ende der Treibjagd, die von 10 bis 13 Uhr dauerte, sind es gerade einmal drei Wildschweine und ein Fuchs, die die 40 Jäger im Revier Wiesenfeld geschossen haben. Im vergangenen Jahr waren es mehr als doppelt so viele. Helfrich telefoniert mit den anderen Jagdpächtern in benachbarten Revieren. Auch diese melden eine geringe Strecke.
Was ist der Grund? Gibt es doch nicht so viele Schwarzkittel wie vermutet? Helfrich glaubt nicht; die Spuren im Wald deuten nicht darauf hin. Er meint, dass die Wildschweine sich auf eine Treibjagd einstellen können. Sie bleiben im Versteck und sitzen sie einfach aus. Die Tiere sind schlau, sagt er mit Respekt in der Stimme. Erfahrene Leittiere wissen, wann und wo es für die Rotte lebensgefährlich wird. Sie wissen, was Schüsse bedeuten. Und sie unterscheiden Jäger von Spaziergängern.
Das deckt sich mit Erfahrungen, die Jäger in ganz Bayern machen. Nicht selten verlaufen große, revierübergreifende Drück- und Treibjagden für die Teilnehmer frustrierend. Möglich, dass die Strategie, die Schwarzkittel mit Treibern auf die Läufe zu bringen, geändert werden muss. „Das müssen wir auf einer Jägersitzung in den Hegegemeinschaften analysieren“, sagt Helfrich.
Trotzdem ist die Stimmung nicht schlecht, als sich die Jäger in der Mittagszeit wieder an der Jagdhütte treffen. Schließlich freut man sich, gemeinsam seiner der Passion frönen zu können. Dort gibt es heißen Kaffee, der gerne getrunken wird, um sich zu wärmen. „Wie war es bei Dir?“, ist die meistgestellte Frage. Daraufhin meist Kopfschütteln. Nichts! Nur einige Rehe sind an den Jägern vorbeigesprungen.
Vor unserem Hochsitz hoppelte mal ein Feldhase unbekümmert entlang, den aber Helfrich am Leben ließ, denn es gebe sowieso nicht mehr viele. Früher sei das noch anders gewesen. Da gab es massenhaft Hasen. Sind die Wildschweine die Gewinner des Klimawandels, so sind die Hasen die Verlierer. Auch die Flurbereinigung und der damit verbundene Verlust der kleinzelligen Landwirtschaft hat ihnen den Lebensraum genommen.
Die Treibjagd endet traditionell mit dem Jagdhornblasen, denn das Brauchtum wird gepflegt, auch wenn die Strecke gering ist. Hinter den erlegten Wildschweinen und dem Fuchs stellen sich die Jagdhornbläser auf. „Sau tot“ ertönt es aus den Jagdhörnern. Helfrich verteilt nach alter Waidmannssitte den Schützenbruch an die Schützen, die ein Tier erlegt haben. Dies ist ein Zweig, mit dem Schweiß (Blut) des erlegten Tieres benetzt wird. Er wird an der rechten Seite des Jägerhutes befestigt und zeigt anderen an, dass Beute gemacht wurde. Dann rufen die Jagdhörner „zum Essen“.