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KARLSTADT
Von der Falle ins Labor
Auswertung: Ein Mitarbeiter fotografiert ein Insekt, das in eine Falle gegangen ist. Im nächsten Schritt entfernt er ein Bein, aus dem anschließend die DNA extrahiert wird.
Foto: Jerome Moriniere | Auswertung: Ein Mitarbeiter fotografiert ein Insekt, das in eine Falle gegangen ist. Im nächsten Schritt entfernt er ein Bein, aus dem anschließend die DNA extrahiert wird.
Karl-Heinz Haase
Karlheinz Haase
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:28 Uhr

Nanu, ein Zelt auf dem Saupurzel? Wer sich diesem nähert, wird über eine daran befestigte Tafel schnell informiert: Es handelt sich um eine Insektenfalle der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM). Der graue Stoff ist eine feine Gaze, die den Wind gut hindurchlässt, für Insekten aber ein Hindernis darstellt. Sie prallen dagegen und wollen Richtung Licht flüchten, also nach oben. Am höchsten Punkt des Zelts ist eine Flasche mit einer Flüssigkeit montiert, in die die Insekten hineinplumpsen.

Ihre DNA, also die Erbgutinformation, wird später im Labor extrahiert. Unter anderem mit solchen Insektenfallen ist es gelungen, den Barcode von bisher rund 15 000 unterschiedlichen Tierarten zu gewinnen, die in Bayern vorkommen. Vermutet werden allerdings wesentlich mehr Arten: Man schätzt etwa 35 000. Insekten machen dabei den größten Anteil aus.

Gut erfasst sind bisher die Säugetiere, Vögel, Fische und Bienen. Letztere spielen als Bestäuber eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft. Große Unwissenheit herrscht dagegen bei den Fliegen und Mücken, aber auch bei Schnecken.

Acht Fallen

Etwa alle zwei Wochen leert die Life-Gebietsbetreuerin Christine Brand von der Höheren Naturschutzbehörde an der Regierung von Unterfranken den Inhalt der Insektenfalle. Acht solche Fallen sind im Gebiet zwischen Veitshöchheim und der Homburg bei Gössenheim aufgestellt. Die Muschelkalkhänge sind für die Zoologischen Staatssammlung München interessant, weil hier besonders viele Arten vorkommen. „Eine solche Vielfalt haben wir in Südbayern nicht“, sagt der Münchener Fliegenexperte Dieter Doczkal.

Alleine mit zwei Fallen in der Nähe von Karlstadt wurden zehn Insektenarten gefangen, von denen man bisher gar nicht wusste, dass sie in Deutschland vorkommen. Diese Arten leben manchmal wie auf kleinen Inseln in einem eng begrenzten Gebiet. So kann es vorkommen, dass sie auf dem Saupurzel existieren, aber nicht auf der Homburg.

Die Barcodes der Tierarten werden in einer Datenbank gesammelt. Damit lassen sich Tierarten schnell und eindeutig bestimmen. Das dient nicht nur der Wissenschaft im Elfenbeinturm. Denn mithilfe des Barcodes können beispielsweise Schädlinge schon im Larvenstadium erkannt werden.

Mit diesen genetischen Methoden hat Doczkal 2011 erstmals in Deutschland die Kirschessigfliege nachgewiesen. Sie stammt ursprünglich aus Ostasien und wurde vermutlich durch befallene Früchte im Handel verschleppt. Doczkal: „Sie ruiniert alles saftige und dünnschalige Obst – Steinobst, Beeren und Weintrauben. Im Gegensatz zu anderen Obstfliegen, die auf angegammelte Früchte stehen, legt sie ihre Eier in intakte Früchte kurz vor der Reife und versieht diese mit einem Schuss Essigsäurebakterien. Drei Tage später sind die Früchte verfault.“ Sie sorgte schon für totale Ernteausfälle bei Kirschen oder Zwetschgen. Durch ihre Identifikation ist es möglich, frühzeitig Bekämpfungsmaßnahmen einzuleiten.

Mithilfe der DNA-Analyse lassen sich auch Teile von Tieren eindeutig zuordnen, etwa Federn. So war es strittig, ob ein in Nordrhein-Westfalen bei einer Auffangstation aufgetauchter, zutraulicher Uhu wieder ausgewildert werden kann oder ob er eine asiatische Schwesternart des hier heimischen Uhus ist. Er erwies sich als heimisch und wurde freigelassen.

Weitere Anwendungsgebiete sind unter anderem die Erforschung potenziell gefährlicher Krankheitsüberträger, die sich durch den Klimawandel bis nach Deutschland ausbreiten, Artbestimmungen beim Zoll, Wassergütekontrolle, die Analyse von Wirt-Parasit-Beziehungen oder die Darminhaltsanalyse bei Insektenlarven zur Klärung von Futterpflanzenbeziehungen.

Weltweiter Verbund

Das bayerische Projekt ist seit 2009 Teil des Verbundprojekts „International Barcode of Life“ (iBOL), das genetische Barcodes aller Tierarten weltweit erfasst. Mit dieser Gendatenbank können Wissenschaftler künftig unbekannte Arten kostengünstig, schnell und über das Internet identifizieren. Momentan liegen die Kosten für eine Sequenzierung des DNA–Bardcodes noch bei 20 bis 25 Euro pro Tier. Doczkal geht jedoch von künftig stark fallenden Preisen aus.

Die Zeltfalle auf dem Saupurzel und die an anderen Standorten hat hat Doczkal am Freitag abgebaut. Stattdessen hat er an anderen Stellen in der Region neue Fallen aufgestellt. Deren Standorte will er nicht unnötig publik machen. Sollte jemand eine solche Falle entdecken, bittet ihn ein Schild, die Finger davon zu lassen.

ONLINE-TIPP

Mehr Informationen unter www.zsm.mwn.de oder www.faunabavarica.de

Dieter Doczial bei der Arbeit: Das Fallenzelt auf dem Saupurzel hat er jetzt abgebaut und neue Standorte gesucht. In der Gaze verfangen sich Insekten, die nach oben krabbeln und in der Flasche landen.
Foto: K. Haase | Dieter Doczial bei der Arbeit: Das Fallenzelt auf dem Saupurzel hat er jetzt abgebaut und neue Standorte gesucht. In der Gaze verfangen sich Insekten, die nach oben krabbeln und in der Flasche landen.
 
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