Als Michael Henning vor mehr als 25 Jahren mit Patienten des psychiatrischen Krankenhauses am Sommerberg einen alten Schuppen renovierte, ahnte er kaum, dass sich daraus einmal eine professionelle Kunsttherapie entwickeln würde.
Der gelernte Bildhauer erzählt beim Pressegespräch mit unserem Medienhaus schmunzelnd von den frühen 90er-Jahren, als er aus der Lagerhalle auf dem Gelände des Lohrer Bezirkskrankenhauses (BKH) innerhalb von einigen Jahren eine Kunstwerkstatt schuf. Deren Räume werden bis heute genutzt. "Die meisten Materialien, die wir vorfanden, haben wir gleich für unsere Kunstwerke verwendet. Es war eine tolle Atmosphäre für kreatives Arbeiten", berichtet Henning.
Wenn er erzählt, kann man sich sein Improvisationstalent gut vorstellen, das ihn bis heute täglich bei seiner Arbeit als Kunsttherapeut begleitet. Kaum konnte er mit seinen Patienten den neuen Kunsthof beziehen, stand schon das erste Großprojekt an: Gemeinsam mit der Lohrer Künstlergruppe SpessArt wurden zwölf, teils große, Modelle aus Holz in Dreiecksform erstellt. Der Kunsthof wurde 1996 eingeweiht. Henning denkt auch gerne an das Großprojekt "Freiraum" zurück. Mit den Lohrer Künstlern Wolfgang Dehm und Richard Kuhn entstand gemeinsam mit 14 Patienten ein Skulpturenpark auf den Wöhrde-Wiesen.
20 Patienten in der Werkstatt
Eine Ausbildung als Kunsttherapeut absolvierte Henning berufsbegleitend. "Da war ein echter Boom in der Kunsttherapie zu dieser Zeit", sagt der 60-Jährige. Auch die Ausbildung zur Betreuung psychisch kranker Menschen wurde weiter professionalisiert, ergänzt Tina Gast. Sie leitet die komplementären Therapien. Aus den etwa einem Dutzend Therapeuten in den Neunzigern sind heute mehr als doppelt so viele Mitarbeiter geworden. Alleine in der Werkstatt von Henning arbeiten jeden Tag bis zu 20 Patienten an ihren Kunstwerken.
Die Forensische Klinik hat ihre eigene Kunsttherapie. Den künstlerischen Freiraum lässt Henning seinen Patienten auch heute noch: "Es bringt ja nichts, wenn ich sage, machen Sie dies oder jenes", führt der 60-Jährige aus. Jeder müsse für sich selber sein Mittel finden, betont er. Dies kann ein Gemälde, plastische Kunst oder eine Reliefarbeit sein. Bei großen Projekten steht Henning immer noch an erster Stelle: "Eine Kettensäge gebe ich keinem Patienten in die Hand."
"Auch Kunst ist Arbeit"
Es sei noch kein Meister vom Himmel gefallen, antwortet Henning auf die Frage, ob er schon außergewöhnliche Begabungen seiner Patienten erlebt habe. Der Umgang mit den Materialien müsse erlernt sein, dem einen falle das leichter, dem anderen schwerer, so der Kunsttherapeut. "Auch Kunst ist Arbeit", sagt Henning. Die oftmals zu Beginn auftretende Aufregung bei den Patienten lege sich schnell. "Die Arbeit ist unkompliziert und jeder bekommt auch etwas zustande", sagt der 60-Jährige. Besonders bei akuten psychiatrischen Erkrankungen sei die Kunsttherapie mittlerweile eine anerkannte Behandlungsform. Kreativer Freiraum könne Ängste abbauen und ermögliche die Konzentration auf das Wesentliche.
Über den Beginn der Kunsttherapie am BKH hat Henning ein Büchlein mit Texten und vielen Bildern erstellt. Dies sollte bereits im vorigen Jahr zum 25-jährigen Jubiläum erscheinen. Vor Kurzem wurde die Jubiläumsschrift in einer kleinen Auflage fertiggestellt und kann im Foyer von Haus 21 besichtigt werden. "Ich war einfach zu beschäftigt, um rechtzeitig damit fertig zu werden", erklärt Henning. Kunst ist eben tatsächlich auch Arbeit.