
Wodurch sich Deutschland von Nepal unterscheidet? "In Deutschland hat jeder Rentner mehr Werkzeuge als eine Firma in Nepal", sagt Roshan Baniya. Das jedenfalls ist einer der Eindrücke, die der 20-Jährige in den vergangenen Wochen hier gesammelt hat. Seit Ende August wohnt Baniya in Steinbach. Bei der dortigen Firma Elektro Werner absolviert er eine Ausbildung zum Elektriker für Energie- und Gebäudetechnik. Hintergrund ist ein Projekt, bei dem in Nepal und Deutschland etliche Akteure Hand in Hand agieren, um einen Nutzen für möglichst viele zu schaffen.
Hinter dem Projekt steht eine deutsch-nepalesische Berufsbildungsinitiative, initiiert und koordiniert vom "Nepal Secretariat of Skills and Training", kurz NSST. Dessen Ziel ist es seit der Gründung im Jahr 2021, junge Menschen aus dem Land im Himalaya-Gebirge nach umfangreicher Vorbereitung in Ausbildungsbetriebe nach Deutschland zu vermitteln.
Mehrerlei Nutzen
Profitieren sollen dadurch nicht nur die jungen Menschen selbst, indem sie mit einer dualen Ausbildung den Grundstein für ihre Berufskarriere legen. Das Projekt will daneben deutschen Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, die hierzulande oft händeringend gesuchten Auszubildenden zu gewinnen. Und schließlich sollen Teilnehmer des Programms, die sich für die Rückkehr in ihre Heimat entscheiden, dort ihr Fachwissen weitergeben und beim Aufbau eines Systems der dualen Ausbildung mithelfen.
Gedanken über die Rückkehr nach Nepal macht sich Roshan Baniya aktuell freilich noch keine. Er ist ja auch gerade erst hier angekommen. Und das noch dazu sehr kurzfristig. Denn eigentlich wollte Firmeninhaber Felix Werner heuer gar keinen Auszubildenden einstellen. Denn eigentlich, so sagt der 35-Jährige, könnte er stattdessen fertige Gesellen gebrauchen. Doch dann erfuhr Werner eher durch Zufall von dem nepalesischen Programm zur Berufsbildung.
Werner selbst bezeichnet sich als reiselustig, hat gar schon ein Jahr als Elektriker in Neuseeland gearbeitet. Der interkulturelle Austausch liege ihm am Herzen, so der 35-Jährige. Daher habe er im Sommer die Fühler Richtung NSST ausgestreckt, eigentlich vorerst nur, um sich zu informieren, sagt Werner. Doch dann sei ihm gesagt worden, dass es noch für dieses Jahr Bedarf an Ausbildungsstellen für Teilnehmer des Programms gebe. Felix Werner sagte kurzentschlossen zu.
Kennenlernen per Videoschalte
Wenig später trafen sich Roshan Baniya und Werner zum Bewerbungsgespräch, aufgrund der räumlichen Distanz freilich nur digital per Videoschalte. Die Verständigung war kein Problem. Sämtliche junge Nepalesen, die an dem NSST-Projekt teilnehmen, haben ein Auswahlverfahren sowie ein intensives einjähriges Training durchlaufen. Es beinhaltet Sprachunterricht bis zum geprüften B2-Sprachniveau. So ist sichergestellt, dass sich die jungen Nepalesen in Deutschland nahezu problemlos verständigen können.
Das Gespräch mit Baniya ist Beleg dafür. In flüssigen Sätzen und meist begleitet von einem Lächeln schildert er seine Vorbereitung auf das Abenteuer in der Ferne und die ersten Erfahrungen in Deutschland. Baniya stammt aus einer Bergregion im Osten Nepals. Nach dem Abitur habe er eigentlich Informationstechnologie studieren wollen. Doch dann erfuhr Baniya vom NSST-Programm und der Vielfalt der dabei zur Auswahl stehenden Ausbildungsberufe.
In einem Gespräch seien seine Interesse und Fähigkeiten abgeklopft worden, erzählt Baniya. Es folgte das mehrmonatige Training, bei dem es nicht nur um Sprachfertigkeiten ging, sondern auch um das Vorbereiten auf den Alltag in Deutschland sowie kulturelle Unterschiede – aber auch kulinarische und klimatische. Dass hierzulande "ganz dunkel und ganz kalt" sein kann, hat Baniya mittlerweile hautnah erlebt, schließlich ist der Sommer, in dem er ankam, vorbei.
Und die Arbeit beziehungsweise die Ausbildung? Die erste Woche sei schon schwierig gewesen, blickt Baniya zurück und nennt als Beispiel alleine schon die vielen Bezeichnungen für die Maschinen und Werkzeuge, die er erst habe lernen müssen. Auch in der Berufsschule, wo er der einzige Ausländer in seiner Klasse sei, habe er am Anfang Schwierigkeiten beim Verstehen gehabt: "Manche Lehrer sprechen Dialekt", sagt Baniya und lacht. In den ersten paar Tagen habe er jedenfalls "nur die Hälfte verstanden". Doch mittlerweile klappe es.
Auch auf den Baustellen hat Baniya schon viele Einblicke gewonnen. Das liegt daran, dass sein Ausbildungsbetrieb eine breite Palette abdeckt, von Einsätzen in Großbetrieben ebenso wie bei der klassischen Hausinstallation bis hin zu PV-Anlagen auf dem Dach. "Es macht viel Spaß", sagt Baniya und erzählt nicht ohne stolz vom Verkabeln seiner ersten Abzweigdose.
Auch Felix Werner ist zufrieden mit seiner Entscheidung. Auf die Frage, welche Unterschiede er mit Blick auf den Ausbildungsablauf zwischen seinem dem jungen Mann aus Nepal und hiesigen Gleichaltrigen erkennen könnte, sagt er: "Keine." Ein ähnliches Bild hat Klaus Werner, Vater des Firmeninhabers. Bei ihm und seiner Frau wohnte Baniya zuletzt. Aufgefallen seien ihm dabei nicht nur die sehr guten Sprachkenntnisse des jungen Nepalesen. "Er weiß auch unwahrscheinlich viel über Deutschland, zum Teil mehr als manch Gleichaltriger hier."
Wie geht es weiter?
Baniyas Ausbildung dauert insgesamt dreieinhalb Jahre. Ob er danach hierbleibt, das ist noch offen. Erst mal wolle er die Ausbildung abschließen, sagt Baniya. Danach könne eine Weiterbildung ein Ziel sein. In Nepal gebe es auch Berufsausbildungen, "aber nicht so wie hier", sagt Baniya. Die Unterschiede gelten auch für die Bezahlung. Während er hier als Auszubildender knapp 1000 Euro verdiene, müsse man in Nepal mitunter noch Geld zahlen, um eine Ausbildung machen zu können. Die Lebenshaltungskosten seien in Deutschland allerdings deutlich höher als in Nepal. Dort, so erzählt Baniya, komme man mit 100 Euro im Monat aus, darunter "50 Euro für die Miete und 20 Euro fürs Essen".
Apropos Essen. Auch hier sind die Unterschiede groß. "Bei uns ist alles scharf", beschreibt Baniya. Doch mittlerweile finde er auch das deutsche Essen gut. Baniyas kulinarische Vorliebe zeigt sich jedoch allein schon daran, dass er Reis in 25-Kilo-Säcken kauft,
Kontakt in die Heimat
Von Heimweh geplagt sei er zum Glück nicht, erzählt der junge Nepalese. Er habe schon in Nepal mehrere Jahre in der Hauptstadt Kathmandu und somit weg von seiner Familie gewohnt. Den Kontakt zu dieser hält er trotz der räumlichen Distanz mit wöchentlichen Videoanrufen. Und außerdem gibt es auch in Deutschland ein Netzwerk, unter anderem das zu anderen Teilnehmern am NSST-Programm.
Firmeninhaber Felix Werner ist nach eigenen Worten offen, in seinem 2016 gegründeten Elektro-Betrieb mit derzeit fünf festangestellten Mitarbeitern nach Baniya einem weiteren Teilnehmer des Programms eine Ausbildungsmöglichkeit zu bieten. Er bilde aber auch sehr gerne Menschen anderer Nationalitäten aus. Denn der Bedarf an qualifiziertem Personal sei groß. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für Nepal.