Etwa 350 Zuhörer lauschten dem zweiten klassischen Klavierkonzert von Nikolai Tokarev am Samstagabend in der Stadthalle. Für eine Veranstaltung dieser Art eine beachtliches Interesse, findet Stadthallenmanager Thomas Funck. Schon das erste Konzert des aus Moskau stammenden Pianisten vor zwei Jahren sei gut in Lohr angekommen. Deshalb freue er sich, den Musiker erneut gewonnen zu haben. Für Tokarev ist es der dritte Auftritt in der Stadthalle.
Im ersten Teil des Programms spielte der russische Klaviervirtuose »Die Jahreszeiten« von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky. Wie Funck erklärte, werden diese in Konzertsälen eher selten gespielt. Beim Stichwort Jahreszeiten denke man eher an Antonio Vivaldi oder an das Oratorium von Joseph Haydn. Für Klavier gibt es diese Interpretation des russischen Komponisten. In den zwölf Charakterstücken, die nach den Monaten der Veröffentlichung benannt sind, werden Stimmungen und Szenarien der jeweiligen Monate musikalisch illustriert. Tokarev selbst versinkt in der kreierten Stimmung, wiegt seinen Oberkörper und schließt kurzzeitig die Augen. Es wirkt, als tauche er tief ein in seine Musik. Nach den einzelnen Stücken macht er eine andächtige Pause. Es entsteht der Eindruck, als ruhe er kurz in sich und legt dann mit neuer Kraft wieder los.
Sein Spiel ist fesselnd, er legt fließende Bewegungen in seine Darbietung und beugt sich teilweise tief über den Flügel. Das Instrument wurde, wie bei seinem letzten Konzert in der Stadthalle, vom Steinway-Haus Frankfurt ausgeliehen. Nach dem letzten Stück »Dezember« erntet der Künstler großen Applaus. Er verbeugt sich und geht von der Bühne, kommt aber noch zweimal zurück und verbeugt sich erneut, da der Applaus nicht endet.
Nach der Pause geht es mit einer Chaconne in G-Dur von Georg Friedrich Händel und drei Mazurken von Frédéric Chopin weiter. Spätestens bei »Der Contrabandista« von Robert Schumann, transkribiert von Carl Tausig, beweist der Pianist endgültig die Virtuosität seines Spiels. Seine Finger fliegen über die Tasten und treffen präzise jeden vorbeijagenden Ton, jeden Hauch und jede Nuance. Er kitzelt die hohen Töne aus dem Flügel und spielt teilweise mit überkreuzten Händen. Die Stimmung im Publikum ist ehrfürchtig ruhig und der Applaus scheint sich nach jedem Werk zu steigern.
Es folgen »Singe nicht vor mir, du Schönheit!«, das Präludium in cis-Moll und das Präludium in gis-Moll von Sergei Rachmaninow. Den Abschluss bildet ein Werk zum Ballett »Dornröschen« von Tschaikowsky. Das Publikum klatscht begeistert, es gibt stehende Ovationen und Thomas Funck überreicht dem Musiker einen großen Blumenstrauß. Nikolai Tokarev kehrt für zwei Zugaben auf die Bühne zurück, »La Campanella« von Franz Liszt und und das Bach-Siloti-Präludium in B-Moll.
»Es war ein Traum«, resümieren Reinhilde und Claus Becher im Anschluss das Konzert. Die beiden loben auch die gute Akustik in der Stadthalle. Der Pianist lasse mit Musik gemalte Bilder entstehen. Das Ehepaar hat schon die letzten beiden Konzerte von und mit Nikolai Tokarev in der Stadthalle besucht. Auch der Lohrer Altbürgermeister Sigfried Selinger findet, dass die Veranstaltung ein Highlight für eine kleine Stadt wie Lohr darstellt.