
Man schrieb das Jahr 1876. Der deutsch-französische Krieg war fünf Jahre nach dem Frieden von Frankfurt noch nicht vergessen, das deutsche Kaiserreich gerade fünf Jahre jung, seit einem Jahr ersetzte die Mainbrücke die Fähre zwischen Lohr und Sendelbach. Vor nunmehr 143 Jahren also wurde 80 Meter südlich der Sendelbacher Brückenauffahrt auf einem Buckel des Flurstücks "Inwendige Bahn" ein Haus gebaut, das bis heute die Blicke geradezu magisch anzieht: die Villa Bock, wie sie nach dem letzten Eigentümer genannt wird, dem Tierarzt Volkmar Bock (1927-2016).
Elf Zimmer und ein Gewölbekeller
Drei Jahre nach dessen Tod haben sich die Erben nunmehr zum Verkauf der Immobilie entschlossen: Seit dieser Woche wird es von dem Lohrer Maklerbüro Klemmer angeboten als "Unternehmersvilla im italienischen Baustil". Elf Zimmer mit 270 Quadratmetern Wohnfläche mit Gewölbekeller und einem Zahnarzt als Mieter im Erdgeschoss.

Als er ihn 1876 erbauen ließ, benannte der Holzhändler Gerhard Albert Wyers seinen neuen Wohnsitz mit der Hausnummer 75 nach dem Vornamen seiner Frau "Villa Sofia". Den Bau und sich selbst als Bauherrn wollte Wyers offenbar möglichst lange geheim halten. Denn am 12. Juni 1875 war im Lohrer Anzeiger folgende Anzeige erschienen: „Jenem ,Freunde‘, welcher unberufen die Nachricht von der Erbauung meiner Villa colportirt hat, sage hiemit meinen verbindlichsten Dank. Wyers." Dieser Dank sei "sicher ironisch gemeint" gewesen, meint Heimathistoriker Karl Anderlohr.
Wie es nur zwei Jahre nach dem Bau zur Zwangsversteigerung kam
Ein Jahr nach Fertigstellung der Villa ergänzte Wyers das Anwesen noch um ein Nebengebäude mit Waschküche, Schweine- und Pferdestall sowie einer Wagenremise. Doch das Glück währte nicht lange: Wiederum ein Jahr später nämlich, 1878, erlitt Wyers "durch unglückliche Handelsspekulationen und durch die Konkurse zweier Kreditinstitute in Lohr finanzielle Verluste", schreibt Hans-Joachim Wirthmann in seinem Buch "Alt-Sendelbach", erschienen 2018 in der Schriftenreihe des Geschichts- und Museumsvereins. "Er musste die ,Gant', also Konkurs, anmelden."
Wyers musste sein Holzhandelsgewerbe im Dezember 1878 abmelden, die Villa wurde fünf Monate später versteigert. Wirthmann zitiert aus dem Lohrer Anzeiger: "Bei der heute Nachmittags stattgehabten Versteigerung der ,Villa Sophia' aus der Gantmasse des Herrn Holzhändlers Wyers wurde dieselbe von Herrn Gustav Kohl aus Rechtenbach um 16 695 Mark ersteigert."
Was man damals in etwa verdient hat
Das war damals eine stattliche Summe. Historischen Quellen ist zu entnehmen, etwa dass die Jahresmiete einer Drei-Zimmer-Wohnung mit Küche, Kammer und fließend Wasser im Jahr 1880 etwa 360 Mark kostete. 20 Jahre später verdiente ein Hafenarbeiter in Hamburg oder ein Lehrling bei den Farbwerken Hoechst rund 60 Mark im Monat, ein Chemiearbeiter das Doppelte. Wie Wirthmann herausgefunden hat, war die Brandversicherungssumme für die Villa noch im Jahr 1901 mit 27 950 Mark die höchste aller Privathäuser in Sendelbach.

Neue Zufahrt macht steile Treppe überflüssig
Als neuer Eigentümer wurde Gustav Kohl im Handumdrehen aktiv: Er wollte eine Holzhalle bauen und ließ sich eine Zufahrt schräg hoch zu seinem Haus genehmigen. Die steile Treppe, die ursprünglich von der Sendelbacher Straße zum kleinen Vorbau auf der Nordseite führte, erachtete er wohl als nicht zeitgemäß. Die neue Zufahrt machte sie überflüssig. Die schmiedeeiserne Gartentür mit der Jahreszahl 1876 versetzte er ein Stück in Richtung Sendelbach Ortsmitte, in den Türpfosten ließ er seinen Namen einmeißeln.

Die Tür im Windfang der Villa wurde durch ein Fenster ersetzt. 1881 beantragte er ein Dach über dem nördlichen Aufbau. Bis dahin hatte das Flachdach den Charakter eine Terrasse mit einer umlaufenden Balustrade gehabt.

Alle Bürger mussten über Grundstückskauf abstimmen
Bevor er die Gartentür versetzte, hat Kohl noch einige der schmalen Grundstücksstreifen im Süden des Anwesens erworben. Weil diese der Gemeinde gehörten, mussten damals noch alle 68 Bürger namentlich über Kohls Antrag abstimmen. Laut Wirthmann geht aus dem Protokoll von damals hervor, dass 14 Bürger den Antrag ablehnten, 41 aber zustimmten. Die restlichen 13 hätten entweder nicht an der Abstimmung teilgenommen oder sich enthalten, so Wirthmann.
Im Laufe der Jahre wurde aus der ehemaligen Villa Sofia dann doch die Villa Kohl. 1931 ging sie von Gustav Kohl ins Eigentum an seinen Sohn über. Dieser hieß wie sein Vater ebenfalls Gustav Kohl. In den Nachkriegsjahren von 1946 bis 1949 gehörte das Anwesen der Erbengemeinschaft Kohl. 1959 erwarb es der Tierarzt Volkmar Bock, womit das Anwesen über die Jahrzehnte hinweg den Namen "Villa Bock" annahm.
Zuletzt saniert wurde sie in den 1960ern. Modernisierung und erneute Sanierung seien daher "auf jeden Fall erforderlich", schreibt der Makler. Die Villa sei zwar "teils repräsentativ", jedoch fehle "der aktuelle Komfort."

Der Birnbaum: Über 150 Jahre alt
Eines ist im Laufe der 143 Jahre gleich geblieben: Der Standort des Birnbaums nördlich der Villa. Schon auf dem ersten Foto des Neubaus steht er als stattliches Exemplar auf dem Hügel. Bis heute rahmt er als eines der 14 Naturdenkmäler der Stadt die Villa ein, zusammen mit der mächtigen Eiche, die auf den historischen Fotos nicht zu sehen ist.

Derselbe Architekt?
Im übrigen gibt es am Rande der Altstadt ein Haus, das Ähnlichkeit hat mit der Villa Bock in Sendelbach: das deutlich kleinere Anwesen in der Anlagestraße 15. Die Eigentümer haben das Gründerzeithaus 2003 liebevoll saniert und 2009 dafür sogar einen Preis bekommen. Die Wetterfahne auf dem Dach zeugt bis heute davon, dass es 1877 gebaut wurde – also nur ein Jahr jünger ist als die Villa Bock. Nicht auszuschließen also, dass es derselbe Architekt entworfen hat.
Hecke in der Wöhrde westlich der BayWa (1939)
Hohlweg „Klapper“ im Bereich Valentinusberg (1997)
Zwei Linden mit Bildstock am Radweg Höhe Schützenhaus in Sendelbach (1938)
Stationseiche am Kreuzweg (1938)
Birnbaum neben der „Villa Bock“ (1938)
Zwei Linden am Ostende der Ostlandstraße (1977)
Eiche am Nordende der Brunnenrainstraße (1991)
Alteiche am Waldrand des Wiesenfelder Berges in Steinbach (1938)
Linde am ehemaligen Bahnhof Rodenbach (1981)
Von den einst zwei Speierlingen am Hoftrieb in Halsbach steht nur noch einer (1992)
Birnbäume an den Röderschlägen (1992) und am alten Sportplatz (1992)
Josefseiche in Ruppertshütten (1938)