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Sendelbach
Villa Bock: Sendelbachs schönstes Haus steht zum Verkauf
Die meisten kennen es unter dem Namen Villa Bock. Doch das wohl schönste Haus des größten Lohrer Stadtteils hatte in seiner 143-jährigen Geschichte schon andere Namen.
Die Villa Bock bei Vollmond. Links der mehr als 150 Jahre alte Birnbaum, eines der 14 Naturdenkmäler der Stadt, rechts die dunkle, mächtige Eiche. 
Foto: Roland Pleier | Die Villa Bock bei Vollmond. Links der mehr als 150 Jahre alte Birnbaum, eines der 14 Naturdenkmäler der Stadt, rechts die dunkle, mächtige Eiche. 
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 19.10.2020 11:10 Uhr

Man schrieb das Jahr 1876. Der deutsch-französische Krieg war fünf Jahre nach dem Frieden von Frankfurt noch nicht vergessen, das deutsche Kaiserreich gerade fünf Jahre jung, seit einem Jahr ersetzte die Mainbrücke die Fähre zwischen Lohr und Sendelbach. Vor nunmehr 143 Jahren also wurde 80 Meter südlich der Sendelbacher Brückenauffahrt auf einem Buckel des Flurstücks "Inwendige Bahn" ein Haus gebaut, das bis heute die Blicke geradezu magisch anzieht: die Villa Bock, wie sie nach dem letzten Eigentümer genannt wird, dem Tierarzt Volkmar Bock (1927-2016). 

Elf Zimmer und ein Gewölbekeller

Drei Jahre nach dessen Tod haben sich die Erben nunmehr zum Verkauf der Immobilie entschlossen: Seit dieser Woche wird es von dem Lohrer Maklerbüro Klemmer angeboten als "Unternehmersvilla im italienischen Baustil". Elf Zimmer mit 270 Quadratmetern Wohnfläche mit Gewölbekeller und einem Zahnarzt als Mieter im Erdgeschoss. 

Ein Foto der Villa Sofia (heute Sendelbacher Straße 3), aufgenommen sehr wahrscheinlich kurz nach der Fertigstellung 1876. 
Foto: Familienarchiv Bock | Ein Foto der Villa Sofia (heute Sendelbacher Straße 3), aufgenommen sehr wahrscheinlich kurz nach der Fertigstellung 1876. 

Als er ihn 1876 erbauen ließ, benannte der Holzhändler Gerhard Albert Wyers seinen neuen Wohnsitz mit der Hausnummer 75 nach dem Vornamen seiner Frau "Villa Sofia". Den Bau und sich selbst als Bauherrn wollte Wyers offenbar möglichst lange geheim halten. Denn am 12. Juni 1875 war im Lohrer Anzeiger folgende Anzeige erschienen: „Jenem ,Freunde‘, welcher unberufen die Nachricht von der Erbauung meiner Villa colportirt hat, sage hiemit meinen verbindlichsten Dank. Wyers." Dieser Dank sei "sicher ironisch gemeint" gewesen, meint Heimathistoriker Karl Anderlohr. 

Wie es nur zwei Jahre nach dem Bau zur Zwangsversteigerung kam

Ein Jahr nach Fertigstellung der Villa ergänzte Wyers das Anwesen noch um ein Nebengebäude mit Waschküche, Schweine- und Pferdestall sowie einer Wagenremise.  Doch das Glück währte nicht lange: Wiederum ein Jahr später nämlich, 1878, erlitt Wyers "durch unglückliche Handelsspekulationen und durch die Konkurse zweier Kreditinstitute in Lohr finanzielle Verluste", schreibt Hans-Joachim Wirthmann in seinem Buch "Alt-Sendelbach", erschienen 2018 in der Schriftenreihe des Geschichts- und Museumsvereins. "Er musste die ,Gant', also Konkurs, anmelden."

Wyers musste sein Holzhandelsgewerbe im Dezember 1878 abmelden, die Villa wurde fünf Monate später versteigert. Wirthmann zitiert aus dem Lohrer Anzeiger: "Bei der heute Nachmittags stattgehabten Versteigerung der ,Villa Sophia' aus der Gantmasse des Herrn Holzhändlers Wyers wurde dieselbe von Herrn Gustav Kohl aus Rechtenbach um 16 695 Mark ersteigert."

Was man damals in etwa verdient hat

Das war damals eine stattliche Summe. Historischen Quellen ist zu entnehmen, etwa dass die Jahresmiete einer Drei-Zimmer-Wohnung mit Küche, Kammer und fließend Wasser im Jahr 1880 etwa 360 Mark kostete. 20 Jahre später verdiente ein Hafenarbeiter in Hamburg oder ein Lehrling bei den Farbwerken Hoechst rund 60 Mark im Monat, ein Chemiearbeiter das Doppelte. Wie Wirthmann herausgefunden hat, war die Brandversicherungssumme für die Villa noch im Jahr 1901 mit 27 950 Mark die höchste aller Privathäuser in Sendelbach.

Über Jahrzehnte hinweg im Eigentum von Gustav Kohl, wurde die 'Villa Sofia' zur 'Villa Kohl': der Pfosten zur Gartentür.
Foto: Roland Pleier | Über Jahrzehnte hinweg im Eigentum von Gustav Kohl, wurde die "Villa Sofia" zur "Villa Kohl": der Pfosten zur Gartentür.

Neue Zufahrt macht steile Treppe überflüssig

Als neuer Eigentümer wurde Gustav Kohl im Handumdrehen aktiv: Er wollte eine Holzhalle bauen und ließ sich eine Zufahrt schräg hoch zu seinem Haus genehmigen. Die steile Treppe, die ursprünglich von der Sendelbacher Straße zum kleinen Vorbau auf der Nordseite führte, erachtete er wohl als nicht zeitgemäß. Die neue Zufahrt machte sie überflüssig. Die schmiedeeiserne Gartentür mit der Jahreszahl 1876 versetzte er ein Stück in Richtung Sendelbach Ortsmitte, in den Türpfosten ließ er seinen Namen einmeißeln. 

Gustav Kohl ließ die Gartentür zur Villa versetzen. Die Jahreszahl zeigt das Baujahr des Hauses.
Foto: Roland Pleier | Gustav Kohl ließ die Gartentür zur Villa versetzen. Die Jahreszahl zeigt das Baujahr des Hauses.

Die Tür im Windfang der Villa wurde durch ein Fenster ersetzt. 1881 beantragte er ein Dach über dem nördlichen Aufbau. Bis dahin hatte das Flachdach den Charakter eine Terrasse mit einer umlaufenden Balustrade gehabt. 

Undatiert ist diese Postkarte aus dem Archiv von Karl Anderlohr. Sie zeigt die Villa Sofia, nunmehr schon mit Dach auf dem Aufbau statt Terrasse mit Balustrade. Der Aufdruck 'Gruß von der Villa Sofia' wird handschriftlich aufgenommen mit der Formulierung 'senden, Du ahnst es nicht ...'. Zu den Unterzeichnern gehörten – sofern richtig entziffert – unter anderem ein(e) L. Koth (oder Kohl), ein Wilh. Ruf und Ludw. Franz  
Foto: Archiv Karl Anderlohr | Undatiert ist diese Postkarte aus dem Archiv von Karl Anderlohr. Sie zeigt die Villa Sofia, nunmehr schon mit Dach auf dem Aufbau statt Terrasse mit Balustrade.

Alle Bürger mussten über Grundstückskauf abstimmen

Bevor er die Gartentür versetzte, hat Kohl noch einige der schmalen Grundstücksstreifen im Süden des Anwesens erworben. Weil diese der Gemeinde gehörten, mussten damals noch alle 68 Bürger namentlich über Kohls Antrag abstimmen. Laut Wirthmann geht aus dem Protokoll von damals hervor, dass 14 Bürger den Antrag ablehnten, 41 aber zustimmten. Die restlichen 13 hätten entweder nicht an der Abstimmung teilgenommen oder sich enthalten, so Wirthmann. 

Im Laufe der Jahre wurde aus der ehemaligen Villa Sofia dann doch die Villa Kohl. 1931 ging sie von Gustav Kohl ins Eigentum an seinen Sohn über. Dieser hieß wie sein Vater ebenfalls Gustav Kohl. In den Nachkriegsjahren von 1946 bis 1949 gehörte das Anwesen der Erbengemeinschaft Kohl. 1959 erwarb es der Tierarzt Volkmar Bock, womit das Anwesen über die Jahrzehnte hinweg den Namen "Villa Bock" annahm. 

Zuletzt saniert wurde sie in den 1960ern. Modernisierung und erneute Sanierung seien daher "auf jeden Fall erforderlich", schreibt der Makler. Die Villa sei zwar "teils repräsentativ", jedoch fehle "der aktuelle Komfort."

Die Villa Bock: Eingerahmt vom alten Birnbaum (links) und einer Eiche. 
Foto: Roland Pleier | Die Villa Bock: Eingerahmt vom alten Birnbaum (links) und einer Eiche. 

Der Birnbaum: Über 150 Jahre alt

Eines ist im Laufe der 143 Jahre gleich geblieben: Der Standort des Birnbaums nördlich der Villa. Schon auf dem ersten Foto des Neubaus steht er als stattliches Exemplar auf dem Hügel. Bis heute rahmt er als eines der 14 Naturdenkmäler der Stadt die Villa ein, zusammen mit der mächtigen Eiche, die auf den historischen Fotos nicht zu sehen ist. 

Das Anwesen in der Anlagestraße 15: eine gewisse Ähnlichkeit mit der Villa Bock in Sendelbach ist nicht zu verkennen.
Foto: Roland Pleier | Das Anwesen in der Anlagestraße 15: eine gewisse Ähnlichkeit mit der Villa Bock in Sendelbach ist nicht zu verkennen.

Derselbe Architekt?

Im übrigen gibt es am Rande der Altstadt ein Haus, das Ähnlichkeit hat mit der Villa Bock in Sendelbach: das deutlich kleinere Anwesen in der Anlagestraße 15. Die Eigentümer haben das Gründerzeithaus 2003 liebevoll saniert und 2009 dafür sogar einen Preis bekommen. Die Wetterfahne auf dem Dach zeugt bis heute davon, dass es 1877 gebaut wurde – also nur ein Jahr jünger ist als die Villa Bock. Nicht auszuschließen also, dass es derselbe Architekt entworfen hat. 

Die 14 Naturdenkmäler der Stadt Lohr mit Stadtteilen
Ulme in der städtischen Anlage (1938)
Hecke in der Wöhrde westlich der BayWa (1939)
Hohlweg „Klapper“ im Bereich Valentinusberg (1997)
Zwei Linden mit Bildstock am Radweg Höhe Schützenhaus in Sendelbach (1938)
Stationseiche am Kreuzweg (1938)
Birnbaum neben der „Villa Bock“ (1938)
Zwei Linden am Ostende der Ostlandstraße (1977)
Eiche am Nordende der Brunnenrainstraße (1991)
Alteiche am Waldrand des Wiesenfelder Berges in Steinbach (1938)
Linde am ehemaligen Bahnhof Rodenbach (1981)
Von den einst zwei Speierlingen am Hoftrieb in Halsbach steht nur noch einer (1992)
Birnbäume an den Röderschlägen (1992) und am alten Sportplatz (1992)
Josefseiche in Ruppertshütten (1938)
 
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