"Tai Chi drückt Kampfhandlungen aus – jedoch mit stumpfer Waffe": Wolfgang Liebold ist seit 2017 als Dozent an der Volkshochschule Lohr tätig. Der Diplom-Sportwissenschaftler begleitet aktuell den Outdoor-Sommerkurs mit insgesamt zwölf Einheiten am Mainufer in Sackenbach. Tai Chi, die umgangssprachliche Abkürzung für "Tai Chi Chuan", ist in Europa auch unter dem Namen "Schattenboxen" bekannt, da das Ringen mit dem imaginären Gegner erkennbar scheint.
"Der Kranich breitet seine Flügel aus" und "Das Goldene Huhn steht auf einem Bein": Anschauliche, fast poetische Namen bezeichnen festgelegte Abfolgen, die im Mittelpunkt des Tai-Chi-Trainings stehen. Weiche, fließend ineinander übergehende Formen gestalten diese Bewegungskunst, deren ursprünglicher Kampfaspekt nur im Hintergrund verankert ist.
Teil der traditionellen chinesischen Medizin
Der Ursprung der heute weltweit ausgeübten Form des Tai Chi sei dem chinesischen Revolutionär Mao Zedong zuzuschreiben, so Liebold. Von Mao Zedong stamme der Auftrag, für das Volk eine Gymnastikart ohne kampfbetonte Übungsformen zu entwickeln. Liebold lernte bei seinen Reisen nach China diese Sportart kennen, die inhaltlich mehr als Sport bietet:
"Es ist ein wesentlicher Bestandteil der traditionellen chinesischen Medizin und wird zur Prävention verschiedener Krankheiten eingesetzt. Es geht um Gesundheit für Körper und Geist, nicht um Punkte und Medaillen."
In seiner langjährigen Trainerfunktion im Hochleistungssport suchte er nach einer Form, seine Athleten vor den Wettkämpfen zu unterstützen, ihnen die Nervosität zu nehmen. In China wird Tai Chi nicht nur als Unterrichtsfach angeboten, es gehört zum Alltag.
Tai-Chi verbessert Herz-Kreislauf-System
So hatte Liebold in den Parks Tai-Chi-Übungen beobachtet, sie erlernt und gemeinsam mit seinen Schülern erfolgreich umgesetzt. Durch die Summe der langsamen Bewegungen zeige sich recht schnell der positive Effekt der Entspannung, der inneren Ruhe und Konzentration.
Tai Chi wirkt sich auf die Psyche und den Körper aus, da es nachweislich das Herz-Kreislauf-System stärkt, Verspannungen löst und die Durchblutung fördert. Mit zunehmender Übung verbessert sich die Körperhaltung, der Rücken streckt sich und Schmerzen können verschwinden.
Das Körpergefühl wird ganzheitlich harmonischer. Als Basis des Tai Chi sind die Kenntnisse der aneinandergesetzten Formen wichtig. Die Begriffe und die Ausübung der standardisierten 24er-Peking-Form müssen für die Tai-Chi-Kurse wie Vokabeln einstudiert werden.
Keine speziellen Gürtelfarben und Kleidung
"Die Mähne des Wildpferds teilen": Wolfgang Liebold zeigt und erklärt die sanfte Pose, die die Lehre des Tai Chi vorgibt. Alle 15 Teilnehmer hören konzentriert zu und setzen die Bewegungen um. Die Musik aus dem Lautsprecher trägt ihren Teil dazu bei, scheint den Körper zusätzlich mitzunehmen.
Gesprochen wird während der Tai-Chi-Übungen nicht, selbst die Begrüßung zu Beginn der Einheit findet sich in einem Handzeichen: Die linke Faust legt sich in die rechte "Schwerthand". Kombiniert mit einer gegenseitigen Verbeugung im Kreise der Teilnehmer symbolisiert dies deren Position und macht deutlich: "Ich will keinen Kampf".
Anders als in vielen Kampfsportarten, existiert im Tai Chi kein Graduierungssystem wie beispielsweise die Gürtelfarben im Karate oder Judo. Eine spezielle Kleidung der Praktizierenden ist nicht vorgeschrieben, der Dozent trägt die Kluft der chinesischen Großmeister.
Vhs plant im Notfall mit Zoom und Skype
Der Sommerkurs Tai Chi auf der Mainwiese in Sackenbach wurde spontan angesetzt, zur Stabilisierung und Auffrischung der aus dem ganzen Landkreis stammenden Teilnehmer. Corona-bedingt sei nun eben Kreativität gefragt, so Susanne Duckstein, die Leiterin der Volkshochschule Lohr-Gemünden.
Durch die Unterstützung des Lohrer Bauhofs konnten städtische Flächen für die Kurse gefunden werden. Neben dem Tai-Chi-Outdoorkurs ist aktuell auch ein Yoga-Kurs am Sendelbacher Mainufer im Angebot. Die Planungen für das Herbst-/Wintersemester der Vhs laufen in normaler Form, jedoch mit der Option der Online-Fortsetzung.
Das Team der Volkshochschule plant für die Zukunft: "Wir haben nun Erfahrungen mit Zoom, Skype und Online-Lernportalen gesammelt und könnten dies im Notfall entsprechend wieder einsetzen. Wenn die Outdoor-Kurse auf positive Resonanz stoßen, werden sie im Sommer 2021 aber auf jeden Fall wieder angeboten."