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Lohr
Verheerende Seuchen: Der Sensenmann schlug erbarmungslos zu
Aus der Geschichte Main-Spessarts (79):  Pest, Typhus, Cholera, Fleckfieber und die rote Ruhr: Die Menschen starben auch hier in der Region an den Epidemien. Die "Spanische Grippe" war die schlimmste Epidemie der jüngeren Zeit.
Die Menschheitsgeschichte ist auch eine Geschichte von Seuchen und Pandemien wie Pest, Typhus und Cholera. Aber auch die 'Spanische Grippe' führte zu vielen Toten.
Foto: Getty Images | Die Menschheitsgeschichte ist auch eine Geschichte von Seuchen und Pandemien wie Pest, Typhus und Cholera. Aber auch die "Spanische Grippe" führte zu vielen Toten.
Leonhard Scherg
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:01 Uhr

Krankheit ist ein individuelles Ereignis, aber nicht selten ist es eingeordnet in ein größeres Geschehen, in Seuchen und Epidemien, die einzelne Orte und ganze Landstriche heimsuchen. Und nicht selten waren die großen Seuchen schon in der Vergangenheit globale Erscheinungen. Die einzelnen Seuchen waren allerdings lange Zeit nicht genauer differenziert und wurden einfach als Krankheit, bösartiges Fieber oder Pest bezeichnet.

Die Pest, der Schwarze Tod von 1346 bis 1353, war nach allgemeiner Einschätzung die schlimmste Seuche der Menschheitsgeschichte. Sie raffte ein Drittel der gesamten Bevölkerung Europas, mehr als 25 Millionen Menschen dahin. Insgesamt werden 100 bis 125 Millionen Tote angenommen.

Die Dreifaltigkeitssäule, auch Pestsäule genannt, ist das Wahrzeichen der Gemeinde Markt Triefenstein und steht in der Ortsmitte von Lengfurt am Main. Im Jahr  1728 wurde sie fertiggestellt, ist einzigartig in Franken und erstrahlt nach einer gründlichen Renovierung im Jahr 2012 wieder in dem Glanz.
Foto: Patric Nietzke | Die Dreifaltigkeitssäule, auch Pestsäule genannt, ist das Wahrzeichen der Gemeinde Markt Triefenstein und steht in der Ortsmitte von Lengfurt am Main.

Der Frage, wann und welche Seuchen in unserem Raum verheerend wirkten, ging bereits der berühmte Arzt und Pathologe Rudolf Virchow (1821-1902) bezogen auf den Spessart in seiner Würzburger Zeit nach. In seinem 1852 veröffentlichten Vortrag „Die Noth im Spessart“ nennt er folgende Ereignisse mit unterschiedlicher Reichweite und Intensität: Pest 1398, 1605-1608, 1625, während des 30-jährigen Krieges ab 1632, Fieber und Typhus 1727 und 1743, Pocken, Röteln und Scharlach 1800-1819, Kriegstyphus oder Fleckfieber 1813, Typhus 1842-1844, 1846-1848.

Der Gemündener Bezirksarzt Dr. Otto Schröder (geb. 1816) führt in seinem Physikatsbericht für seinen Bereich 1861 folgende Epidemien auf: 1673/74 ohne genauere Ursache, 1709/19 rote Ruhr, 1720, 1726, 1729, 1741, 1772 bösartiges Fieber bzw. Krankheit, 1811 Ruhr und Scharlach, 1812/13 und 1816 Fleckfieber, 1813 bis 1816 Pocken, 1813 Scharlach, 1818/19 rheumatisches Fieber, 1824, 1827, 1832, 1845, 1848 und 1852 lokal Typhus, 1830, 1836, 1838, 1841, 1842 und 1844 lokal Ruhr.

Der Marktheidenfelder Chronist Georg Trunk (1826-1904) nennt 1889/92 als schwere Krankheiten mit vielen Todesopfern für 1634 bis 1636 die Pest, 1669 und 1865 die rote Ruhr, 1889/90 die Influenza, die „Russische Grippe“, die sich ab Oktober 1889 und von Sankt Petersburg aus nicht zuletzt dank des neuen Verkehrsmittels Eisenbahn in nur vier Monate um die ganze Welt verbreitete, und 1892 die Masern.

Von den genannten Ereignissen lassen sich bis heute die Pestereignisse während des 30-jährigen Kriegs, von dem Franken ab 1632 heimgesucht wurde, und das Fleckfieber um 1813 genauer fassen.

Auf ein Pestgelübde aus dem Jahr 1666 geht die Lohrer Rochus-Prozession zurück, die traditionell immer am 16. August stattfindet.
Foto: Gabi Nätscher | Auf ein Pestgelübde aus dem Jahr 1666 geht die Lohrer Rochus-Prozession zurück, die traditionell immer am 16. August stattfindet.

Die Pest begründete bis heute bestehende Traditionen, wie beispielsweise Wallfahrten nach Maria Buchen oder die Sebastianifeier in Lengfurt, deren Stiftung auf 1612 oder 1632 zurückgeführt wird. 1632 hatte die Pest in kürzester Zeit in Lohr 860 Menschen dahingerafft. Als 1666 ein neuer Pestausbruch befürchtet wurde, gelobte die Gemeinde eine jährliche Prozession zur um 1660 errichteten Valentinuskapelle, in der neben dem heiligen Valentinus auch die Pestheiligen Sebastian und Rochus verehrt werden. Figuren der heiligen Sebastian und Rochus finden sich in vielen Kirchen.

Das Fleckfieber war verursacht durch vom Russlandfeldzug heimkehrende Soldaten und durch Einquartierung russischer Soldaten beim Aufmarsch gegen Napoleon. Dem „Russenfieber“ fielen in Rettersheim im Dezember 1813 und Januar 1814 31 Einwohner zum Opfer, in Oberwittbach waren es in diesem Zeitraum sogar 34 Personen.

Cholera breitete sich in Europa aus

Die enge Verbindung von Kriegsereignissen und dem Auftreten beziehungsweise Verbreiten einer Epidemie wird auch 1866 fassbar. Die ursprünglich nur auf dem indischen Subkontinent auftretende Cholera hatte sich erstmals 1817 bis nach Europa ausgebreitet. Im Mai 1865 brach sie, von indischen Pilgern dort eingeschleppt, in Mekka und Medina aus, erreichte schon im Juni Südeuropa und war bereits im August vereinzelt in Deutschland nachweisbar. Mit den preußischen Truppen kam die Seuche ab Ende Juli 1866 nach Franken.

Besonders stark betroffen waren im heutigen Kreisgebiet Tiefenthal mit 88 Erkrankungen und 40 Todesfällen, Rothenfels mit 53, Laudenbach mit 24, Birkenfeld mit 39, Zellingen und Karlstadt mit je 49 Verstorbenen. Bei der Zahl von 425 Einwohnern entsprach die „Sterblichkeit der Bevölkerung“ in Tiefenthal nach amtlicher Feststellung 9,4 Prozent.

Die 'Spanische Grippe 1918–1920 ' verursachte weltweit mindestens 27 Millionen Todesopfer. Unser Bild zeigt ein Notlazarett in Massachusetts, USA.
Foto: akg-images | Die "Spanische Grippe 1918–1920 " verursachte weltweit mindestens 27 Millionen Todesopfer. Unser Bild zeigt ein Notlazarett in Massachusetts, USA.

Setzen wir die Aufzählung der Epidemien fort, so sind als nächste Scharlach und Diphterie 1911 und zum Ende des 1. Weltkriegs von 1918 bis 1920 die in drei Wellen auftretende „Spanische Grippe“ zu nennen. Dieser fielen weltweit 27 bis 50 Millionen Menschen zum Opfer, die bisher größte Zahl in der Neuzeit. Die Auswirkungen dieser Krankheit werden vom Zusammenbruch und den Wirren der Nachkriegszeit überlagert und sind bisher lokal nicht näher erforscht.

Zum Oktober 1918 vermerkt Leonhard Vogt in seinem „Kriegs-Tagebuch für die Gemeinde Marktheidenfeld“: "Die spanische Krankheit (Grippe) greift stark und bösartig um sich, so dass ein großes Sterben anhebt. Hier sind auch schon einige Personen gestorben. Ganze Familien liegen krank. Die Behörden wissen für kranke Beamten keinen Ersatz zu schaffen. Die Post wurde stundenweise geschlossen, Wirtshäuser ganz und gar." Und im November 1918 heißt es: „Die Grippe tritt zur Zeit in der bösartigsten Form, verbunden mit Lungenentzündung, auf und hat im Monat November zahlreiche Todesopfer hier und in den nächstgelegenen Ortschaften gefordert. In der letzten Woche lagen auf einmal 5 Tote auf dem Stroh.“

Grippe mit immer neuen Varianten

Und die Grippe mit immer neuen Varianten und zum Teil unterschiedlichen Bezeichnungen hält uns bis heute in Bann: 1957/58 Asiatische Grippe, 1968-70 Hongkong-Grippe, 1977/78 Russische Grippe, 1995/96, 2004/05 Virusgrippe, 2009/10 Schweinegrippe, 2017/18, 2019/20 Virusgrippe. Nicht zu vergessen ist auch Aids, seit 1980 mit weltweit 36 Millionen Toten. 2002/03 trat, von einem Coronavirus ausgelöst, die Sars-Krankheit (Sars-Cov) auf, der zunächst räumlich eingegrenzt 2012 Mers-CoV und nun seit November 2019 die Corona-Pandemie (Covid 19) folgte. Letztere macht uns bis heute und sicher noch einige Zeit zu schaffen.

Und nicht berücksichtigt sind bei dieser Auflistung die vielen Kinderkrankheiten, nicht zuletzt die Kinderlähmung, die noch nach dem 2. Weltkrieg und bis in die 1960er Jahre regelmäßig epidemisch auftraten. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind die Tuberkulose und in unseren Breiten zum Glück äußerst selten gewordene Krankheiten wie die Lepra und die Pocken.

Die Krankheit wird von den einzelnen und von der Gemeinschaft nur in Einzelfällen als unabänderbares Schicksal hingenommen. Der Mensch sucht verständlicherweise nach Möglichkeiten, die Krankheit abzumildern und ihr Entstehen zu bekämpfen.

Um die Kranken zu betreuen, entstanden Spitäler an den wichtigen Straßenverbindungen und Stadteingängen, aber mit Abstand zur Stadt, außerhalb der Stadtmauern. Die Aussätzigen bzw. Leprakranken wurden auf Abstand gehalten, isoliert. Abstandhalten war die erste Vorbeugemaßnahme gegen eine Ausbreitung der Krankheit.

Das zwischen 1346 und 1353 entstandene Werk von Giovanni Boccaccio (1313-1375) „Decamerone“ nutzt als Rahmenhandlung die Situation, dass zehn Personen, sieben Frauen und drei junge Männer, vor der Pest aus Florenz in ein unweit gelegenes Landhaus flüchten und sich dort gegenseitig mit Geschichten unterhalten. Erst als die Seuche abgeklungen ist, kehren sie in die Stadt zurück. Und bereits im 14. Jahrhundert ist es üblich zum Schutz einer Gesellschaft vor ansteckenden Krankheiten eine befristete Isolierung von Menschen behördlich anzuordnen.

Hygiene war während des Mittelalters und noch lange danach weitverbreitet nur ein Fremdwort. Virchow schreibt in seiner „Noth im Spessart“ 1852 über Lohr: „Auch in Lohr, wo früher alle 7 Jahre Typhen in epidemischer Ausbreitung geherrscht haben sollen, sind nach Aussage des Hn. Gerichtsarztes Dr. Goy seit 15 Jahren durch eine Reihe hygienischer Anstalten (Abbrechen der Stadtmauern, Pflasterung der Strassen, Herrichtung von Abzugskanälen) die Gesundheitsverhältnisse ausserordentlich verbessert und die sozialen Zuständen erheblich gehoben.“

Hygiene, wie hier als „die Gesamtheit der Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens sowie zur Vermeidung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten und Epidemien“ verstanden, geht über Sauberhalten, Körperhygiene und Desinfektion hinaus. Dazu gehören Lebensmittelsicherheit, Wasserschutz, Abwasserbeseitigung, Luftreinhaltung und vieles andere mehr.

Mit Impfungen die Pocken besiegt  

Und schließlich gehört zur Seuchenbekämpfung auch die Nutzung der Möglichkeiten, welche die Medizin und die medizinische Forschung zur Verfügung stellen kann. Zu nennen wäre hier beispielsweise die von 1939 bis 1983 vorgeschriebene Röntgenreihenuntersuchung zur Früherkennung von Lungentuberkulose und anderen Krankheiten des Brustkorbes. Natürlich nicht vergessen: die Impfung, deren Geschichte mit dem Kampf gegen die Pocken oder Blattern beginnt. Besonders Babys und Kinder sind von der Krankheit betroffen, die zum Tod oder zu Entstellungen führt.

Erste Impfung: Edward Jenner infiziert 1798 ein Kind mit harmlosen Kuhpocken, um es vor gefährlichen Menschenpocken zu schützen.
Foto: Lithographie von Gaston Mélingue um 1894 | Erste Impfung: Edward Jenner infiziert 1798 ein Kind mit harmlosen Kuhpocken, um es vor gefährlichen Menschenpocken zu schützen.

Im 18. Jahrhundert gab es zur Bekämpfung der Pocken auch in Europa die nicht ungefährliche Variolation, bei der der Pustelinhalt von Pocken von Mensch auf Mensch übertragen wird. Als der englische Arzt Edward Jenner 1796 ein Kind mit den ungefährlichen Kuhpocken infiziert, ist die erste Schutzimpfung erfunden. Nicht zuletzt mit der von 1874 bis 1976 bestehenden Zwangsimpfung in Deutschland gelingt es, die Seuche zurückzudrängen. 1979 wurde sie von der WHO für ausgerottet erklärt. Und weitere Schutzimpfungen gegen vielerlei Krankheiten folgten, bis heute! Und von Anfang an waren die Impfungen Verdächtigungen und Gerüchten ausgesetzt.

Im Königreich Bayern wurde die gesetzliche Zwangsimpfung gegen Pocken bereits am 26. August 1807 eingeführt. Über die erfolgte Impfung wurde ein „Schutzpockenimpfungsschein“ ausgestellt.  Solche Impfscheine haben sich auch im Stadtarchiv Marktheidenfeld erhalten. Im Großherzogtum Würzburg setzte die Impfung mit Verordnung vom 21. November 1807 ein, auf „freiwilliger Basis“, aber mit entsprechendem Druck und mit großer Unterstützung durch die örtlichen Amtspersonen. Dem Landrichter im Landgericht Homburg (Bernhard Grandauer), dem Pfarrverweser Bott zu Marktheidenfeld, dem ansässigen Physikus (Amtsarzt) Dr. Doser und dem Chirurg Schüßler wurde im März 1808 dafür offiziell gedankt, dass 378 Kinder im Landgerichtsbezirk geimpft worden waren.

Zum Autor:  Dr. Leonhard Scherg war von 1984 bis 2008 Bürgermeister von Marktheidenfeld, er ist Kreisarchivpfleger für den Altkreis Marktheidenfeld und Rothenfels.

Literatur:  Rudolf Virchow, Die Noth im Spessart, Würzburg 1852;  Josef Braun, Michael Deubert, Julia Hecht und Klaus Reder, Der Landkreis Main-Spessart um 1860, Würzburg 2000, Landgerichtsbezirk Gemünden, S. 39-96; Dr. Herzog, Mittheilungen über Cholera im engeren Verwaltungsbezirke Marktheidenfeld 1866, Würzburg 1867; Dr. Vogt und Dr. Schmid. Amtlicher Bericht über die Epidemien der asiatischen Cholera des Jahres 1866 in den Regierungsbezirken Unterfranken und Aschaffenburg und Schwaben und Neuburg, München 1868.

 
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