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Karlstadt
Unterwegs mit dem Karlstadter Scharwächter: Von Neidköpfen, Schwarzbauten und säumigen Zechern
Scharwächter Alfred Dill fand mit seiner ersten öffentlichen Führung großes Interesse. Hier vor dem historischen Rathaus.
Foto: Günter Roth | Scharwächter Alfred Dill fand mit seiner ersten öffentlichen Führung großes Interesse. Hier vor dem historischen Rathaus.
Günter Roth
 |  aktualisiert: 18.08.2024 02:37 Uhr

Bislang konnte man die Führungen der Karlstadter Nachtwächter Alfred Dill und Georg Büttner nur als besondere Veranstaltung besuchen, ab jetzt soll das aber als offene "Scharwächterführung" einmal monatlich für alle Interessierten angeboten werden. Bei der ersten öffentlichen Führung von Dill sollte eigentlich die Teilnehmerzahl auf 25 Personen begrenzt werden, letztendlich wurden es aber etwa doppelt so viel. Das wirkte sich dann doch auf die akustische Verständlichkeit aus, denn auf eine Lautsprecheranlage musste natürlich verzichtet werden.

Dennoch kam das bunt gemischte Publikum voll auf seine Kosten, denn das gebürtige Karlstadter Multitalent Dill verstand es bestens, selbst Einheimischen noch wenig Bekanntes zu vermitteln, während die Auswärtigen die Chance hatten, in eine unbekannte Stadt eintauchen zu können.

Da war beispielsweise der marginale Unterschied zwischen Nachtwächter und Scharwächter. Nachdem das "Untere Tor" abgerissen wurde, ist weitgehend nur noch der gut 40 Meter hohe Turm auf der Südseite in Erinnerung. Klar, dass Dill die berühmte Geschichte vom Fenstersturz des Türmers präsentieren musste, der glimpflich verlief und schließlich dem Bauwerk den Namen "Katzenturm" einbrachte.

Türmer durfte seine Wohn- und Arbeitsstelle nur einmal im Monat verlassen

Weniger bekannt aber waren wohl die Aufgaben und Lebensumstände des Türmers. Der war zwar bei freiem Logis in der geräumigen Türmerstube recht gut besoldet, durfte aber seine Wohn- und Arbeitsstelle nur einmal im Monat zum Baden verlassen und hatte seine drei Pflichten sorgsam zu erfüllen: Feuerwache, Alarm bei Angriffen geben und das Stundenhorn blasen.

Die untere Hauptstraße ist nicht nur optisch ein Leckerbissen in der Altstadt, die hier stehenden Häuser legen auch heute noch ein beredtes Zeugnis über das Leben in Karlstadt ab. Nur wenige nehmen die seltsamen geschnitzten Köpfe an den Giebelseiten der Fachwerkbauten wahr. Das sind "Neidköpfe", sagt Alfred Dill. Fratzen an Mauern, Türen oder Giebeln sind uralt - wahrscheinlich sogar keltischen Ursprungs - und sollen böse Geister, Feinde und alles Unheil fernhalten. Der Begriff stammt vom althochdeutschen Wort "nid" ab, das für Hass, Zorn oder Neid steht.

Den 'Neidkopf' im Giebel des Hauses Nr. 10 kennen wohl nur die wenigsten Karlstadter. Nach alter Überlieferung sollten solche Figuren böse Geister oder Feinde abhalten.
Foto: Günter Roth | Den "Neidkopf" im Giebel des Hauses Nr. 10 kennen wohl nur die wenigsten Karlstadter. Nach alter Überlieferung sollten solche Figuren böse Geister oder Feinde abhalten.

Wenig bekannte Verbindungsgässchen gibt es parallel zur Hauptstraße. Die großen Bürgerhäuser und ehemaligen landwirtschaftlichen Anwesen hatten zwar teilweise repräsentative Eingänge, aber keine Zufahrtsmöglichkeiten. So mussten die Anwohner mit ihren Fuhrwerken über Stichverbindungen beispielsweise zwischen Gerber- oder Hofriethgasse erreichen.

Rathaus ist die Heimat des Schwedenmännle

Markant in diesem Bereich ist das Haus des "Fehmelbauer", das letzte Bauernhaus in der Stadtmitte, das 1975 zu einer Gaststätte umgebaut wurde und natürlich das Gebäude mit der Hausnummer 28. Es fällt auf durch die steinernen Bögen mit der Jahreszahl 1602, wurde lange Zeit als "Judenschule" und als Betsaal genutzt und ist vor allem der älteste belegte Schwarzbau der Stadt, denn es wurde seinerzeit näher an die Straße gebaut als es die Vorschriften erlaubten. Aber auch damals konnte der Bauherr einen drohenden Abriss durch eine Geldstrafe vermeiden.

Über das Karlstadter Rathaus, ein Bauwerk von 1422, das seinesgleichen sucht, wurde schon viel geschrieben und noch mehr gesagt. Natürlich ist es die luftige Heimat des skurrilsten Trompeters, des Schwedenmännle. Im Obergeschoss liegt der größte Bürgersaal Frankens, unten lange Zeit eine riesige Markthalle. Und es war auch Sitz der Ortspolizei unter der Verkündigungstreppe. Daneben gab es die Kuriosität des "Narrenhäusle", ein vergitterter Zellenraum, in dem säumige Zecher ihren Rausch ausschlafen sollten.

Als das Abwasser noch über die Gosse entsorgt wurde

Heute werden diese "Bier- und Weinleichen" in der ehemaligen Amtskellerei untergebracht - das Anwesen ist heute die Wirkungsstätte der Karlstadter Polizeiinspektion. Der Amtskeller war gewissermaßen der Steuereintreiber des Stadtherren, des Bischofs von Würzburg. Hier wurden der "Zehnt", die Abgaben der Bürger eingelagert oder für die Weiterleitung bereitgemacht. Der direkte Chef des Amtskellers, der Amtmann, residierte im Sommer auf der Karlsburg, des Winters nahm er in der Stadt sein Quartier.

Unterwegs in Karlstadts nächtlichen Gassen: Scharwächter Alfred Dill warnt vor dem 'Botschamberl'.
Foto: Günter Roth | Unterwegs in Karlstadts nächtlichen Gassen: Scharwächter Alfred Dill warnt vor dem "Botschamberl".

Etwas gruselig wurde es zum Schluss in der Fischergasse. Der Scharwächter führte seine Gäste in die dunklen Ecken der Stadt und machte auf die allgegenwärtigen Gefahren für die Passanten aufmerksam. Wegen der fehlenden Kanalisation waren die Bürger genötigt, ihre Abwässer teilweise über die Gosse zu entsorgen. Mangels nächtlicher Straßenbeleuchtung wurde deshalb so manches "Botschamperl" (Pot de Chambre - Nachthaferl) einem späten Heimkehrer zum Verhängnis.

Die offene Scharwächterführung wird an folgenden Terminen angeboten: 6. September 21.15 Uhr, 11. Oktober 17.30 Uhr, 8. November 17.30 Uhr, 7. Februar  202517.30 Uhr, 14. März 17.30 Uhr, 4. April 17.30 Uhr. Dabei wechseln sich Alfred Dill und Georg Büttner regelmäßig ab.

 
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