Die Verwandlung ist perfekt. Aus dem umtriebigen Kleingauner McMurphy des Vorjahres wird in nur einer halben Stunde der würdevolle ältliche Professor Rath. Schauspieler Till Brinkmann genießt das offenbar entspannende Altern unter den Händen Natalia Krylovas zwei Stunden vor der Vorstellung auf der Scherenburg. Die Maskenbildnerin vom Mainfranken Theater Würzburg gibt bei den diesjährigen Burgfestspielen in Gemünden 29 Rollen das passende Gesicht.
Was Haarteile und Schminke anrichten können, verblüfft bei Till Brinkmann besonders. Im Vorjahr für McMurphy in „Einer flog über das Kuckucksnest“ benötigte er höchstens Schatten unter den Augen; in diesem Jahr als Professor Rath in „Der blaue Engel“ (und als Meister Eder im „Pumuckl“) braucht der kahle Kopf Perücken und Bärte und – alte Haut. Kein Problem, aber eine halbe Stunde Arbeit für Krylova.
Konzentriert und professionell bearbeitet die Würzburgerin die Köpfe der Darsteller in der improvisierten kleinen Kabine unter der Zuschauertribüne. An die drei Dutzend Pinselchen liegen und stehen auf dem umfunktionierten Biertisch, dazu Fläschchen, Tiegel, Spraydosen und Schminkkästen. In Regalen an den Wänden zu beiden Seiten des großen Spiegels warten Perücken, Haarteile, Toupets und jede Menge Bärte auf ihren Einsatz. Fast ohne hinzuschauen, wechselt Krylova zwischen Pinseln, Farben und Tinkturen.
Obwohl sie für „Der blaue Engel“ von 18 bis 20.50 Uhr elf Personen schminken und frisieren muss und der Plan ihr dafür nur jeweils zehn bis 30 Minuten Zeit lässt, strahlt die Maskenbildnerin Ruhe aus. Und das schätzen die Schauspieler „in der Maske“: eine Phase der Besinnung vor dem Auftritt. Nach Till Brinkmann wird der Gemündener Hans-Jürgen Offensberger unter einer dicken weißen und schwarzen Paste zum Zirkusclown, und eine Viertelstunde später verwandelt sich seine Frau Karin binnen zehn Minuten in Guste Kieper mit eng wie eine Badekappe an den Kopf gegelten Haaren.
Die Frage, ob Natalia Krylova in den drei Festspiel-Stücken eine Lieblingsfigur gestaltet, verneint sie: „Ich mache jeden gern.“ Wie die Figur auszusehen hat, gibt der Regisseur vor; im Fall der Guste Kieper steuerte Kostümausstatterin Nuschin Rabet eine Fotografie des Pagenkopfs bei, wie er vor 80 Jahren modern war. Besondere Anforderungen an die Maskenbildnerin stellt Schauspielerin Johanna Seitz (Frankfurt), weil sie im „Pumuckl“ dreimal die Frisur wechselt, darunter zwei Perücken, und im „Engel“ eine aufwendige Echthaarkreation mit Löckchen und Schneckchen trägt.
Das macht für Natalia Krylova den Reiz ihres Berufs aus, die Vielseitigkeit. „Es gibt viele Felder, sich einzubringen.“ Das Schminken ist nur ein kleiner Teil der Maskenbildnerei, „hauptsächlich geht es um Charaktergestaltung“. Daher setzt der Beruf eine dreijährige Lehrzeit voraus. Krylova war Balletttänzerin und wollte nach ihrer aktiven Zeit unbedingt beim Theater bleiben. Am Würzburger Theater absolvierte sie ein dreiwöchiges Praktikum und war überrascht von der Vielfältigkeit des Berufs. Sie blieb nach der dualen Ausbildung am Theater und ist jetzt in der fünften Spielzeit eine von zwölf fest angestellten Maskenbildnern dort. Der Scherenburgfestspiel-Intendant Horst Gurski holte sie für diese Saison nach Gemünden.
Die Fähigkeiten reichen von der Herstellung von künstlichem Blut, Gebissen, Masken und Körperteilen über das Schminken und Frisieren bis zum Knüpfen von Perücken und Bärten in alten Techniken – „ich arbeite jedes Haar einzeln von Hand ein“. Erfahrung und gute Anatomiekenntnisse sind ebenfalls nötig, damit „man weiß, wo man anzusetzen hat“. Für die Frisuren benutzt die Maskenbildnerin einen Satz altertümlicher Brennscheren, denn kein moderner Lockenstab bringt die nötige Festigkeit ins Haar.
In der Verwandlung zu Professor Rath bekommt Till Brinkmann erst braune Punkte – Altersflecken – aufgetupft, dann wird die Perücke aufgeklebt und in Form gebracht, und schließlich erhält er mit Puder und Kajalstiften Falten und einen grauen Teint. Wer den Beruf des Maskenbildners erlernen möchte, muss wegen der abendlichen Arbeitszeiten mindestens 18 Jahre alt sein. Die wichtigste Voraussetzung aber, sagt Natalia Krylova, ist „die Liebe zum Theater“.
ONLINE-TIPP
Viele Fotos von den Festspielen unter www.mainpost.de//gemuenden