Während der digitale Unterricht Lehrer, Eltern und Schüler bereits an Regelschulen gleichermaßen vor Herausforderungen stellt, bedeutet er für Förderschulen im höchsten Maße individuelle Ausrichtung. Die Anforderungen an das Lehrpersonal, auf jedes Kind gleichermaßen einzugehen, sind hoch: Das berichtet die Leiterin der St. Kilian-Schule Marktheidenfeld-Lohr, Sibylle Herrmann, in einer Videokonferenz mit drei weiteren Lehrkräften und einer Heilpädagogin.
"Unsere Schüler nehmen den Distanzunterricht vollkommen anders wahr, das ist für alle eine große Herausforderung", erklärt die Sonderschullehrerin gegenüber dieser Redaktion. Eine Struktur, der passende Rhythmus und vor allem ein direkter Bezug zur Lehrkraft seien eine Grundvoraussetzung bei der Unterrichtsgestaltung für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Insbesondere bei den Grundschülern könne dies im Distanzunterricht kaum vermittelt werden. Eltern nehmen hierbei eine wichtige Rolle ein. Nur gemeinsam mit ihnen können Kinder motiviert werden, die geforderten Lerninhalte umzusetzen. Doch dies gelinge häufig nicht, berichten die Lehrerinnen.
"Ein Vater ist beim Lernen ein Vater und ein Lehrer doch eher eine Respektsperson", sagt Ralf Stöckhert aus Frammersbach. Sein achtjähriger Sohn Jan besucht die erste Grundschulklasse der St. Kilian-Schule in Lohr. Seit diesem Jahr erhält Jan durchgehend Online-Unterricht. Auch wenn die St. Kilian-Schule eine Notbetreuung für alle Schüler anbietet, haben sich die Stöckherts dazu entschieden, ihren Sohn bei den Schularbeiten von zu Hause aus zu unterstützen. Grund hierfür sind die unterschiedlichen Arbeitszeiten der Eltern und die Tatsache, dass Jan in der Notbetreuung von wechselnden, ihm teilweise unbekannten Lehrkräften unterrichtet werden müsste.
Viel Fingerspitzengefühl
"Es fällt uns sehr schwer, Jan zu motivieren", berichtet Stöckhert. Die Lehrkräfte seien sehr bemüht. In täglichen privaten Videokonferenzen versuche dabei die jeweilige Lehrerin, im Beisein der Eltern einen persönlichen Kontakt herzustellen. "Jan will auf diesem Weg einfach nicht kommunizieren." Mit viel Fingerspitzengefühl bemüht sich Stöckhert, das Beste aus der Situation zu gewinnen. Je nach Stimmung seines Sohnes versucht er mit etwas Druck den Schulstoff, der im gleichen Ausmaß wie beim Präsenzunterricht vermittelt wird, umzusetzen. Auch Jans Geschwister im Kindergartenalter sorgen für unvermeidbare Ablenkung. "Wenn der Lockdown weitergeht, sehen wir schwarz – das wird Flurschäden hinterlassen", zeigt sich Stöckhert verzweifelt.
Individuelle Betreuung bestehe nicht nur für die Schulkinder. In der schulvorbereitenden Einrichtung (SVE) werden auch Vorschulkinder auf den Schulunterricht vorbereitet, erklärt Ester Bernhard. "Wir sind komplett auf die Anwesenheit der Eltern zu Hause angewiesen", sagt die Sonderschullehrerin. Mit einem täglichen Sichtkontakt auf der Videoplattform Padlet beginne der Unterricht, ergänzt Daniela Rüthlein für die Grundschüler.
Einige Lehrer besuchen nach dem Unterricht ihre Schüler zu Hause, um mit ihnen und ihren Eltern Lerninhalte nachzubesprechen. Ebenso wichtig sei der Sichtkontakt zu den Klassenkameraden im virtuellen Klassenzimmer, äußert Heilpädagogin Juliane Wolf. Die meisten Kinder könnten den Unterricht dennoch nicht als Schule akzeptieren.
Trotz kreativer Lösungen und der Vielseitigkeit bei der Vermittlung des Lernbedarfs seien viele Eltern zu Hause überfordert, ergänzt Juliane Wolf, ebenso Sonderschullehrerin: "Mit einem einfachen Abhaken bei der Anwesenheitspflicht am Morgen ist es nicht getan. Der persönliche Kontakt, auch zu den Eltern, ist entscheidend."
Lehrpläne per Post
Geli Strnisch unterrichtet die fünfte und sechste Jahrgangsstufe. Möglichst abwechslungsreiche Lernpläne versendet sie jede Woche per Post. Im Dashboard der Klasse finden ihre Schüler zusätzlich erklärende Lernvideos. Der Hauptkontakt verlaufe über E-Mails. Auch wenn ihre Schüler weitaus selbstständiger sind, bezeichnet auch Strnisch die Eltern als "tragende Stütze".
Trotz aller Schwierigkeiten bleiben die Lehrerinnen optimistisch und erhoffen sich eine baldmögliche Öffnung ihrer Schule, zumindest im Wechselunterricht. "Unsere Lehrer sind mit dem Klassenunterricht in der Notbetreuung bereits voll gefordert, dazu noch der Online-Unterricht", sagt Sybille Herrmann abschließend. "Unsere Anspruchshaltung ist sehr hoch", so die Schulleiterin. "Die Belastungsgrenze ist erreicht."