Über die Vielzahl der Bildstöcke in der Lohrer Gemarkung hat es wiederholt Veröffentlichungen gegeben, zuletzt von Heinrich Schmidt in den »Beiträgen zur Geschichte der Stadt und des Raumes Lohr 2016«, herausgegeben vom Geschichts- und Museumsverein Lohr.
Fährt oder geht man auf der Valentinusbergstraße hoch, so sieht man oben, etwa dort wo die Steigung endet, rechter Hand einen ohne nähere Betrachtung recht unscheinbaren Bildstock.
Bei näherer Betrachtung erkennt man allerdings eine sehr ungewöhnliche Mariendarstellung mit Kind. Die Figur ist, mit Ausnahme des Hauptes, von einem mandelförmigen Bogen umgeben. Es handelt sich um eine Mandorla (italienisch für Mandel), das ist ein Fachbegriff aus der Kunstgeschichte und bezeichnet eine Glorie oder Aura um eine Figur. Dagegen umgibt der bekannte Heiligenschein nur das Haupt.
Mandorlen treten in der sakralen Kunst Europas seit dem 5. Jahrhundert nach Christus auf. Ihre Blütezeit erlebten sie in der mittelalterlichen Kleinkunst (Buchmalerei, Goldschmiedekunst, Elfenbeinschnitzerei). Dass die Gottesmutter alleine in einer Mandorla erscheint, ist selten. Eher tritt sie zusammen mit ihrem Sohn im Typus der Marienkrönung auf (Quelle: Wikipedia).
Am 16. März veröffentlichte unsere Redaktion unter der Rubrik Kirchliche Nachrichten ein Foto von diesem Bildstock, aufgenommen vom Verfasser dieser Zeilen mit dem Hinweis auf eine »ungewöhnliche Marienfigur«. Darauf meldete sich eine ältere Dame und teilte mit, die Figur stamme von kolumbianischen Schwestern, die früher im Lohrer Altenpflegeheim tätig waren. Sie hätten diese Willy Jessberger geschenkt, der sie in den Bildstock gebracht habe.
Durch Kontaktaufnahme mit dem Pflegeheim ist geklärt, dass Willy Jessberger (1919 bis 1988) dort ehrenamtlich im Verwaltungsrat tätig war. Die Einrichtung wurde 1967 eröffnet. Schwestern aus Kolumbien waren dort bis 1995 tätig, sie wurden von Dekan Karl Haller »geholt«. Die Darstellung der Mandorla kam wohl mit den Spaniern im 16. Jahrhundert ins heutige Kolumbien.
Liebliche Gesichter
Mandorlafiguren wurden in der Blütezeit dieser Kunst in Stein gehauen oder in Holz geschnitzt. Das ist hier nicht der Fall. Die Figur dürfte aus Ton oder einem ähnlichen Material bestehen. Auch wurden die Gesichter solcher Figuren in der Regel immer herb, oft archaisch, dargestellt. Hier sieht man allerdings »liebliche« Gesichter. Nach alldem ist zu vermuten, dass einem Künstler des 20. Jahrhunderts die Mandorladarstellung gefallen hat, weil sie sehr dekorativ ist, und sie daher aus neuerer Zeit stammt.