
Gut 70 Besucher konnte Dekan Hermann Becker am Freitagabend zu einer meditativen Kunstbetrachtung im städtischen Kulturzentrum Franck-Haus begrüßen. Dazu hatte die katholische Pfarreiengemeinschaft St. Laurentius am Spessart in die Ausstellung „Zwiesprache“ mit Plastiken von Ernst Barlach und Gemälden von Alexander Dettmar eingeladen, die dort noch bis zum 8. April zu sehen ist.
Zu einer besonderen Begegnung mit der Kunst waren kurz vor Beginn der Karwoche vier Werke des expressionistischen deutschen Bildhauers Ernst Barlach (1870-1938) im Keller des Ausstellungsbereichs zu intensiven Betrachtungen ausgewählt worden.
Die Ausführungen von vier Mitgliedern der katholischen Kirchengemeinde wurden von Pastoralreferent Alexander Wolf auf dem Klavier und Christoph Arz auf Klarinette und Sopran-Saxophon musikalisch mit Zwischenspielen umrahmt. Werke aus der Klezmer-Musik, dem Jazz („Caravan“ von Christopher Norton), eine Popballade oder eine Mozart-Komposition schufen kunstvolle Klangräume, um eigene Gedanken fassen zu können.
Armut und Hilflosigkeit
Der Bronzeguss „russische Bettlerin II“ aus dem Jahr 1907 war für Martin Harth Anlass, die Werke der christlichen Barmherzigkeit aufzugreifen. Barlach hatte nach einer prägenden Russlandreise in dieser geduckten Figur dem Ausdruck von Armut und Hilflosigkeit dauerhaft gültige Form verliehen. Die bewegende Plastik fordere auch heute noch zu Reaktionen auf, wie dies auch die Begegnung der Besucher mit diesem Werk in der Ausstellung zeige.
Pfarrer Hermann Becker rückte die Figur „Der Zweifler“ aus dem Jahr 1931 in den Blickpunkt. Sie zeige einen Mann auf der Suche nach Antworten auf die großen Fragen der Welt, wobei der Zweifel zum Menschen gehöre. Angesichts des Leids von Menschen könne man sich die Frage stellen, wo bist du, Gott? Und vielleicht frage sich der Zweifler auch: „Gott, was bin ich vor Dir in Deinen Augen?“
Die Geste der Barlach-Plastik „Der Sinnende II“ (1934) ließ Gemeindereferentin Rita Geißler die Besucher der Veranstaltung nachvollziehen. Sie fragte sich, über was diese in sich versunkene, sensible Gestalt wohl nachsinnen möge. Etwas reife in dem Mann offenbar heran. In unseren Tagen scheine es manchmal schon als Luxus, sich Raum und Zeit zu gönnen, über Gott und die Welt nachzudenken, wie dies zum Beispiel auch der Psalm 63 in der Bibel ausdrücke.
Spätes Schlüsselwerk
In Barlachs letzte bedrückende Lebensjahre, in denen die Nationalsozialisten seine empathische Ausdrucksstärke öffentlich als „entartet“ schmähten, führte Klaus Roos anhand der Bronzefigur „Der Buchleser“ (1936). Dieses späte Schlüsselwerk zeige, dass Buch und Literatur dem Menschen einen Kosmos der Freiheit und des Denkens eröffneten, der politische Machthaber mit Argwohn erfülle.
Der Schriftsteller Alfred Andersch habe mit dem „lesenden Klosterschüler“ eine Bruderfigur aus den Händen Barlachs in den Mittelpunkt seines 1957 erschienen Romans „Sansibar oder der letzte Grund“ gerückt. In diesem gehe es bei der Rettung jener Skulptur zusammen mit der Jüdin Judith um einen Akt des Widerstands und um die Freiheit des Geistes.
Nach einer guten Stunde endete die vielfältige Kunstbetrachtung mit musikalischer Begleitung im Franck-Haus. Die Gäste zeigten sich von der ungewöhnlichen Form des Zugangs zum Schaffen eines der bedeutendsten deutschen Bildhauer des 20. Jahrhunderts angesprochen.
Viele verharrten noch kurz im Gespräch miteinander und nutzen die Gelegenheit die Zwiesprache der Barlach-Plastiken mit den expressiven Architekturgemälden des zeitgenössischen Malers Alexander Dettmar auch auf den beiden weiteren Ebenen der Ausstellung auf sich wirken zu lassen.