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KARLSTADT
Turmkaufhaus geht in die letzte Runde
Die letzte Runde ist eingeläutet: Im Turmkaufhaus in der Karlstadter Hauptstraße läuft der Ausverkauf.
Foto: Karlheinz Haase | Die letzte Runde ist eingeläutet: Im Turmkaufhaus in der Karlstadter Hauptstraße läuft der Ausverkauf.
Karl-Heinz Haase
Karlheinz Haase
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:47 Uhr

„Habt ihr Ballistol?“ Ein Kunde schaut sich in der Abteilung mit den Fahrradteilen um. Andere sichern sich Einmachgläser oder Badeschuhe. Seit Donnerstag, 1. Juni, läuft der Ausverkauf im Karlstadter Turmkaufhaus – „beim Stockleb“, wie man in Karlstadt sagt. „20 Prozent auf alles“, verkünden handgeschriebene Plakate.

Adele Betz aus Hammelburg begeistert sich für einen Teller mit Blumenornamenten. Sie hat mit einer Freundin eine Radtour nach Karlstadt gemacht und dabei auch beim Turmkaufhaus vorbeigeschaut, das sie schon lange kennt. Sie lässt den Blick schweifen: „Das Besondere hier ist die Originalität – und dass es hier alles Mögliche gibt. So etwas findet man sonst nirgends.“

Ihre Freundin entdeckt die Schlitten auf dem Regal der Spielwarenabteilung und erinnert sich unweigerlich an ihre Jugend: „So einen mit einem geflochtenen Sitz hatten wir auch. Hier ist die Zeit stehen geblieben.“

Großes Bedauern

Das Bedauern unter den Kunden ist groß, dass hier ein Stück Karlstadt zu Ende geht. „Ihr hättet das übernehmen sollen“, meint eine ältere Dame zu Margarete Sauer. Die Stettenerin ist eine der vier Verkäuferinnen. Sie werden bis zuletzt bleiben. Einen Stichtag, wann die Türen zum letzten Mal abgeschlossen werden, können sie nicht sagen. Es wird wohl Ende Juni sein. Vorher zu gehen kommt für keine von ihnen infrage. Eine andere Arbeitsstelle haben sie alle vier noch nicht.

Margarete Sauer hat 1970 „beim Stockleb“ gelernt. Außer ihr sind noch Gabi Schick, Erika Schopf und Claudia Totzauer hier tätig – Letztere als einzige in Vollzeit. Tätig ist untertrieben. Sie schmeißen den Laden, denn sie verkaufen nicht nur, sondern bestellen auch die Neuware selbst. Schriftlich wird die Order ausgefüllt und per Fax an die vielen verschiedenen Zulieferer geschickt – so wie sie es schon immer gemacht haben.

Selbstständige Verkäuferinnen

Gabi Schick hat die Haushaltswaren unter sich, Claudia Totzauer die Schreibwaren und Lederartikel. Zusammen mit Margarete Sauer kümmerst sie sich außerdem um die Saisonwaren. Für seine Faschingsartikel war das Turmkaufhaus bekannt, aber auch für Silvesterfeuerwerke. Hinzu kamen weitere jahreszeitliche Sortimente zu Ostern, Allerheiligen und Weihnachten – zum Beispiel Glaskugeln oder Christbaumständer. Margarete Sauers Reich sind die Textilien.

Die Zeiten, als alles über den Kaufring-Verband eingekauft wurde, sind schon lange vorbei. Kaufring hatte 2002 Insolvenz angemeldet. Jahrelang wurde im Turmkaufhaus schrittweise das Sortiment verringert. Irgendwann wurden die Regale niedriger.

Als noch Anton und Franz Stockleb das Turmkaufhaus führten, war Anton der Mann der Textilabteilung. Er war Jahrgang 1928 und starb an Ostern 2014 mit 85 Jahren. Franz Stockleb gab aus gesundheitlichen Gründen immer mehr Zuständigkeit an die Verkäuferinnen ab. Er kam dann noch, um die Kontoauszüge zu sichten, während „seine Damen“ schon den Kaffee für ihn gekocht und etwas Süßes vom Bäcker besorgt hatten. Franz Stockleb starb im November 2016 mit 84 Jahren. Seitdem wurde in Karlstadt immer wieder spekuliert, wie lange das Turmkaufhaus noch offen sein würde.

Alleinige Eigentümerin ist Franz Stocklebs Gattin Elfriede. Ihr gehört auch das Schuhhaus Gaul, wo seit Ende März ebenfalls der Ausverkauf läuft.

Geschichte der Familie Stockleb

Die Familie Stockleb stammte aus dem böhmischen Rumburg in der Nähe von Dresden. Heute gehört es zu Tschechien und ist Grenzstadt zu Sachsen. Dort hatte Vater Anton Stockleb drei Textilgeschäfte: eines für Mode, eines für Weißware und eines mit Resten. 1946 folgte die Vertreibung aus der Heimat.

Der Vater eröffnete 1947 in der oberen Karlstadter Hauptstraße ein Textilgeschäft – später Schuhhaus Gaul. Die beiden Söhne Anton und Franz lernten Einzelhandelskaufmann und kauften 1960 das ehemalige sogenannte Spital am Katzenturm, in dem bis Mitte der 1950er Jahre Alte und Kranke gelebt hatten.

Mit der Überbauung des Hofes entstand ein für damalige Karlstadter Verhältnisse äußerst modernes Kaufhaus, sogar mit Passage. Eröffnung war 1961. Das Sortiment war enorm breit gefächert. 30 Angestellte fanden hier Arbeit. Um Waren zu günstigen Konditionen einkaufen zu können, schlossen sich die Stocklebs gleich 1961 dem Kaufring in Düsseldorf an. hop

Noch gibt es Ware: Adele Betz aus Hammelburg begeistert sich für einen Teller mit Blumenornamenten.
Foto: Karlheinz Haase | Noch gibt es Ware: Adele Betz aus Hammelburg begeistert sich für einen Teller mit Blumenornamenten.
 
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  • helga
    Wenn man was gesucht hat und es nirgends finden konnte - der Stockleb hatte es!
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  • fraktal
    Oh je: wieder ein Stück Kindheitserinnerung "weg": In den 1960er Jahren ging ich als Kind jede Woche mit meiner Mutter im "Stockleb" einkaufen. Das Spielwaren-Regal mit "Klein-Spielzeug": Murmeln, kleine Autos, Knetgummi usw. gefiel mir natürlich am besten! In den 80er Jahren jobbte sogar eine Freundin von mir aus Frankreich beim "Stockleb.
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