„Vorhang auf, der Zweite, so ließe sich der heutige Abend wohl am besten umschreiben“, brachte Michael Schweitzer – Kassierer der Langenprozeltener Spessartgrotte – die Bedeutung der Theaterpremiere am Freitagabend auf den Punkt. Die Bühnenadaption von Daniel Gattauers Roman „Gut gegen Nordwind“ markierte damit nach knapp acht Monaten Lockdown den zweiten Neustart innerhalb der Corona-Pandemie und wartete in Zeiten von „Social Distancing“ zugleich mit einem äußerst treffenden Sujet auf.
So führen die beiden Protagonisten des Stücks – Emmi Rothner (Andrea Feuchtenberger) und Leo Leike (Steve Walter) – eine monatelange rein platonische „E-Mail-Beziehung“, die sich treffender als Liebesdialog denn klassische Liebesgeschichte beschreiben lässt. Auslöser dafür ist eine elektronische Nachricht Emmis, die statt beim Abonnementservice des „Like“-Magazins in der Postbox des Linguisten Leo landet und die dieser aus Höflichkeit beantwortet. Eine unabsichtlich gut getimte Weihnachtsrundmail später, bietet man einander bereits den Vornamen an und gewährt dem eigentlich fremden Gegenüber daraufhin kontinuierlich immer tiefere Einblicke in Privat- und Seelenleben.
Knisternde Erotik bar jeglicher Berührung
Eine besonders fürs Theater interessante Konstellation, die zur Folge hat, dass Feuchtenberger und Walter zunächst gezwungenermaßen mehr nebeneinander als miteinander agieren müssen. Mit zunehmender Dauer und Intensität der virtuellen Unterhaltung erlaubt Glattauers Text Regisseurin Helga Hartmann jedoch, ihre Figuren im eigentlichen wie übertragenen Sinn in die Sphären der jeweils anderen eindringen zu lassen und bar jeglicher Berührung gar knisternde Erotik zu erzeugen. Dass es vielleicht gerade die letzten Zentimeter gewahrter Distanz sind, die diese erlebbar macht, ist dabei nur folgerichtig, denn es bildet die Sehnsucht der Charaktere ab, die sich aufgrund der sinnlichen Entbehrung voneinander ins Unermessliche steigert.
„Wir können nicht leben, was wir schreiben. Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass ich nicht erfahren muss, dass Sie eine andere sind als meine Heldin aus meinem E-Mail-Roman. Da sind Sie perfekt“, schreibt Leike an einer Stelle in Ablehnung eines physischen Treffens und begreift darin die Katastrophe, auf die die Fantasie-Beziehung unweigerlich zusteuern muss. Walter liefert hier einen seiner besten Momente und überzeugt auch sonst nach ein paar Unsicherheiten vor der Pause im zweiten Teil wie gewohnt. Während ihm das interaktivere Spiel gegen Ende des Stücks offensichtlich besser zupasskam, zeigte Feuchtenberge wiederum gerade in ihren Monologen ihre Stärken und beeindruckte zudem durch selbstbewusste Bühnenpräsenz.
Intendantin, Akteure und Publikum froh über Neustart
Ein gelungener Wiedereinstand, den das 13-köpfige Publikum – circa 30 hätten Corona-konform Platz gefunden – mit mehreren Runden Applaus honorierte. Intendantin Hartmann zeigte sich im Anschluss erleichtert und froh, dass es endlich weitergehe und auch die ungewohnte Pausenbewirtung im Außenbereich gut geklappt habe. Schweitzer wiederum hofft, dass der „mit viel Sorgfalt aufgestellte Spielplan“ endlich zu Ende gebracht werden kann und appellierte dafür an Klugheit und Umsicht seiner Besucher, „damit uns bald die Maskenpflicht hier im Hause erspart bleibt und wir die Atmosphäre wieder besser genießen können".
„Ich war seit Monaten keinem Menschen näher als Ihnen.“ Eine Zeile, die Steve Walter in seiner Funktion als Schauspieler bis zum Ende der Spielzeit hoffentlich nur noch als Leo Leike rezitieren und nicht direkt an sein Publikum richten muss.