
Manchmal ist es eben so: Mistwetter draußen, keine Lust zum Putzen, keinen Nerv für lange Telefongespräche. Der Sinn steht nach Schaukelstuhl oder Couch und etwas Entspannung. Vielleicht ein Buch oder eine Fernsehsendung? Aber was? Vielleicht sind die Tipps der Redakteurinnen und Redakteure der Main-Spessart-Redaktion hilfreich.
Markus Rill (51) empfiehlt "Wolfshunger" von Philip Kerr

Ein cooler Privatdetektiv, unwiderstehliche Femme fatales – check! Nazis – check! Spannende Unterhaltung – check! Diese schon mal grundsätzlich attraktive Mischung reicherte der britische Autor Philip Kerr in 14 Romanen noch mit profunden Geschichtskenntnissen an. Zwischen 1930 und den frühen 1950ern gerät seine Hauptfigur, der Berliner Bernie Gunther, mit historischen Figuren aneinander und mitten in historische Ereignisse hinein. In "Wolfshunger" beispielsweise wird er im Jahr 1943 von Joseph Goebbels eingespannt, um das mit polnischen Offizieren gefüllte Massengrab im polnischen Katyn zu untersuchen.
Die Historie ist bis in die Nebenfiguren gründlich recherchiert, die Hauptfigur vollkommen fiktiv. Dadurch entsteht ein faszinierender Mehrklang. Die moralischen Dilemmas, mit denen Bernie Gunther konfrontiert wird, erhalten mehr Tiefgang; die Spannung wird durch die Verankerung in der Realität erhöht. Im Grunde gilt diese Empfehlung für alle Romane der Bernie-Gunther-Reihe.
"Wolfshunger", Roman von Philip Kerr. 542 Seiten, erschienen im Rowohlt Verlag, 2014.
Carolin Schulte (29) empfiehlt auf Netflix die Serie "After Life"
Freunde von schwarzem Humor und großen Liebesgeschichten könnten an der Serie "After Life" Gefallen finden: Tony (Ricky Gervais, der hier auch Drehbuch führt) hat seine Frau Lisa verloren, und damit auch seine Lebensfreude. Eigentlich steht er nur noch auf, um den Hund zu füttern. Missmutig bestreitet er seinen Alltag als Redakteur bei einer Lokalzeitung. Für all die schrägen, aber liebenswerten Menschen in seinem Leben, die ihn aufheitern wollen, hat er nur bissige, beleidigende Bemerkungen übrig.

Als Zuschauer muss man unweigerlich lachen über Tonys Zynismus und über sein Leben in dieser Parodie einer britischen Kleinstadt. Und man leidet mit ihm, in den Momenten, in denen die Trauer ihn überwältigt. Mit dieser Empfehlung geht daher auch die ausdrückliche Warnung einher: Die Autorin dieser Rezension hat bei jeder einzelnen Folge der zweiten Staffel Tränen vergossen!
Staffel eins und zwei von "After Life" sind auf Netflix zu sehen, Staffel drei soll im Januar 2022 erscheinen.
Björn Kohlhepp (41) empfiehlt "Das Dekameron" von Giovanni Boccaccio
Während 1348 in Florenz die Menschen von der Pest dahingerafft werden, sitzt etwas außerhalb eine Gruppe von zehn jungen Leuten, die aus der Stadt geflüchtet sind, in einem Landhaus zusammen und erzählt sich an zehn Tagen genau 100 Geschichten über die Liebe, manche derb-frivol, andere tragisch. Das bald 675 Jahre alte Meisterwerk von Boccaccio passt aufgrund dieser Rahmenhandlung perfekt in unsere Quarantäne-Lockdown-Dauerschleifenzeit. Von Alter und Umfang der Novellensammlung sollte sich niemand abschrecken lassen, die Geschichten sind leicht zu lesende und unterhaltsame Häppchen.

Beispiele gefällig? In der berühmten Falkennovelle verliert ein junger Edelmann alles was er hat im Werben um eine verheiratete Frau. Nur sein geliebter Jagdfalke bleibt ihm. Der schwer erkrankte Sohn der Frau hätte diesen gern und als die Frau einen Besuch ankündigt, setzt ihr der Edelmann diesen, weil er sonst nichts hat, zum Essen vor. Blöd für alle Beteiligten.
Im Gedächtnis bleiben aber vor allem auch die heiteren Geschichten wie die von einer Frau, die über ein Fass gebeugt dasteht, das ihr gehörnter Ehemann gerade von innen auskratzt, während ihr Liebhaber mit ihr seine Lust befriedigt. Oder die Geschichte vom jungen Masetto, der sich stumm stellt und Gärtner in einem Nonnenkloster wird und mit den Nonnen viele "Mönchlein" zeugt. Kein Wunder, dass das sinnenfrohe Renaissance-Werk lange verboten und zensiert wurde.
"Das Dekameron" (auch "Decameron") hat zwischen 700 und 1000 Seiten und ist in unzähligen Ausgaben erhältlich.
Lucia Lenzen (44) empfiehlt das Bilderbuch "Wie Papa und Mama Verliebte wurden"
Welche Eltern kennen sie nicht, die berühmten Fragen mit „W“: Mama, warum machen Kühe muh? Papa, warum hab ich fünf Finger und nicht sechs? Und wieso überhaupt ist Brokkoli gesund? Spätestens in der Grundschule geht es dann auch um Gefühle. Und wer auf: 'Mama, Papa, was ist eigentlich dieses komische "verliebt"?' keine Antwort weiß, dem sei dieses Bilderbuch empfohlen. In „Wie Mama und Papa Verliebte wurden“ geht es um zwei Menschen, einen Supermarkt-Besitzer und eine Schneiderin, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Er mag es möglichst schwarz-weiß und ordentlich, sie bunt und chaotisch.

Ganz zufällig knallen beide an einer Straßenecke aufeinander. Sie trinken einen Kaffee zusammen, sozusagen auf den Schreck, und gehen ihrer Wege. Doch daraufhin passieren seltsame Sachen: Er wirft abends seine Hose einfach auf den Boden, ohne sie zu falten und träumt nur noch von bunt. Sie kann nur noch Kleider mit Herzen nähen. Außerdem fühlt sich ihr Bauch an, als hätte er ein großes Loch. "Ein Virus, das muss es sein!" denken beide. Beim Arzt treffen sie wieder aufeinander. Der Rest wird nicht verraten. Nur eins: Die Geschichte ist aus der Perspektive ihres Kindes geschrieben.
"Wie Mama und Papa Verliebte wurden" von Katharina Grossmann-Hensel, 28 Seiten, Annette Betz-Verlag 2006, ISBN3-219-11249-8.
Klaus Gimmler (59) empfiehlt das Lese- und Hörbuch "History für Eilige"
Wer kennt dies nicht: Man fährt mit dem Auto eine lange Strecke, geradeaus, es wird langweilig. Hey, diese Zeit kann man nutzen, um sein Allgemeinwissen aufzufrischen. „History für Eilige“ ist ein Buch, das man lesen, aber auch als Podcast hören kann. Ob die Auswanderung Mohammeds, der Prager Fenstersturz, die Spanische Inquisition oder der Versailler Vertrag – im Buch werden weltpolitische Ereignisse besprochen und erklärt.

Der besondere Clou ist der QR-Code am Ende jedes Kapitels im Buch. Ruft man diesen mit dem Handy auf, gelangt man in den zugeordneten Podcast von Nova History im Deutschlandfunk. Die Autoren Matthias von Hellfeld, Markus Dichmann und Meike Rosenplänter vertiefen dort das Thema. Zeitzeugen, wenn es sie gibt, kommen zu Wort, Experten erklären historische Sachverhalte und begleitende Gespräche verbinden die Vergangenheit mit der Gegenwart.
Historische Themen von den Thesen Martin Luthers über die Oktoberrevolution bis zum Rücktritt von Michail Gorbatschows werden im Buch in kurzen Kapiteln und als Podcast behandelt – insgesamt sind es 90 Kapitel. Vielfach wird der Bogen zu heutigen Entscheidungen gezogen, die ihre Wurzeln in den historischen Zusammenhängen haben. Die Sendungen sind sehr informativ und eine langweilige Autofahrt vergeht so wie im Flug.
"History für Eilige: : Alles, was man über Geschichte wissen muss" von Matthias von Hellfeld, Markus Dichmann und Meike Rosenplänter; 360 Seiten, 2020, Herder Verlag.
Martin Hogger (27) empfiehlt auf Netflix die Serie "Love on the Spectrum"
Was für's sogenannte Herz: "Love on the Spectrum", zu deutsch: "Liebe auf dem Spektrum", begleitet junge Menschen mit Autismus bei ihrer Suche nach der großen Liebe. Spektrum heißt es deswegen, weil Autismus nicht bei jedem gleich ausgeprägt ist. Auch sonst kann man viel lernen, weil die Serie diese jungen Australierinnen und Australier so zurückhaltend und verständnisvoll begleitet, dass man nichts anderes kann, als mitzufiebern. Keine Spur von Negativbeispielen wie man sie bei Datingshows von RTL und Co. kennt.
Da ist zum Beispiel Michael, der die deutsche und die britische Kultur und Spielzeug über alles liebt. Ohne eine Frau aber, so fühlt er, fehle dem Leben an Sinn. Da ist auch Mark, ein Hobby-Paläontologe, der gerne in der Natur unterwegs ist. Oder Thomas und Ruth, die sich gerade erst verlobt haben.
Für viele der Teilnehmer ist es aber das erste Date, auf das sie je gegangen sind. Man fiebert bei jedem einzelnen mit.
Staffel eins und zwei von "Love on the Spectrum" sind auf Netflix zu sehen.
Corbinian Wildmeister (27) empfiehlt "Arbeit" von Thorsten Nagelschmidt
Auch wenn der Titel das nahelegt: Die Lektüre des Romans „Arbeit“ ist keine Kraftanstrengung. Thorsten Nagelschmidt erzählt mitreißend vom rasanten Berliner Nachtleben – genauer gesagt von einer Freitagnacht in der Metropole. Doch im Mittelpunkt stehen dabei nicht etwa vollgedröhnte Partygänger, die versuchen ins Berghain zu kommen, sondern die Menschen, die nachts in der Hauptstadt ihr Geld verdienen müssen, während andere feiern. Und oft ist dieses Geld hart verdient.

Es geht um Kioskverkäufer und Notfallsanitäter, Taxifahrer und Drogendealer – also nicht gerade das Klientel, das üblicherweise im Rampenlicht steht. Von der kolumbianischen Studentin, die ihren Lebensunterhalt als Essenslieferantin finanzieren muss, bis zum Cowboystiefel tragenden Nachportier eines Kreuzberger Hostels namens "Sheriff", der schon vor langer Zeit falsch abgebogen ist: Die mehr als zehn Hauptfiguren und ihre Biografien sind so unterschiedlich wie ihre Jobs. Nagelschmidt gibt uns einen tiefen Einblick in Milieus, von denen wir sonst nur oberflächlich etwas mitbekommen – und darüber im Alltag oft vielleicht sogar ganz froh sind.
Der Roman "Arbeit" ist vieles: Er ist spannend, er berichtet von bewegenden Schicksalen und er ist dabei durchaus sozialkritisch. Gleichzeitig ist das Buch eine schöne Erinnerung, wie das so gewesen sein könnte damals, vor der Pandemie, das Ausgehen – auch außerhalb Berlins.
"Arbeit", Roman von Thorsten Nagelschmidt. 336 Seiten, erschienen im S. Fischer Verlag, 2020.