Können oder müssen Bahnreisende ihre Zugtickets am Lohrer Bahnhof künftig im Video-Chat mit einem in Schweinfurt sitzenden Bahn-Mitarbeiter kaufen? Diese Option rückt womöglich näher. Grund: Die Suche der Deutschen Bahn nach einem Betreiber für den Ticketshop tritt auf der Stelle. Sie ist jedoch vertraglich dazu verpflichtet, am Lohrer Bahnhof einen persönlichen Ticketverkauf anzubieten.
Wie ein Bahnsprecher auf Anfrage der Redaktion sagte, hat das bisherige Bemühen bei der Suche nach einem neuen Partner für den Fahrkartenverkauf keinen Erfolg gehabt. Nun schaltet die Bahn sogar auf der Internetseite der Stadt Lohr eine Annonce, um einen Nachfolger für Christian Schürger zu finden.
Bisheriger Betreiber gab auf
Der langjährige Betreiber hat seine Verkaufsstelle am Lohrer Bahnhof Ende Februar zugeschlossen. Als Grund für die Aufgabe hatte er zuvor genannt, dass sich der Ticketverkauf auf Provisionsbasis nicht mehr rentiere. Zum einen sei die Konkurrenz durch das Internet zu groß, zum anderen habe die Bahn über Jahre die Konditionen für Ticketverkäufer verschlechtert. Und überdies, so begründete Schürger (48) seinen Rückzug, sei das Umfeld am Lohrer Bahnhof wenig attraktiv.
Nur rund 50 Kunden hätte sein Laden pro Tag gezählt, sagte Schürger über den Shop, den er exakt 15 Jahre betrieben hat. Zuletzt sah er in dem Geschäft keine wirtschaftliche Perspektive mehr.
Zu Fahrgastzahlen und Umsatzerlösen aus dem Ticketverkauf am Lohrer Bahnhof will die Bahn keine konkreten Angaben machen.
Bahn hofft auf Interessenten
Trotz der wenig ermutigenden Aussagen Schürgers ist sie aber offenbar zuversichtlich, einen Nachfolger für die Verkaufsagentur zu finden. Sollte man »wider Erwarten« mittelfristig keinen neuen Betreiber für die Ticket-Agentur am Lohrer Bahnhof finden, gebe es jedoch noch eine weitere Option, so der Bahnsprecher: ein sogenanntes Video-Reisezentrum. Davon gibt es in Bayern aktuell 23 und in Unterfranken drei: an den Bahnhöfen in Bad Kissingen, Bad Neustadt und Kahl am Main.
Hinter dem Video-Reisezentrum verbirgt sich ein vor sechs Jahren von der Bahn eingeführtes Konzept für solche Stationen, an denen es keinen Ticketverkauf mehr durch einen Mitarbeiter aus Fleisch und Blut gibt.
Die technische Lösung sieht so aus: Am betreffenden Bahnhof wird eine Art Videokabine installiert. Dort tritt der Bahnkunde per Bildschirm, Kamera und Mikrofon mit einem Bahnmitarbeiter in Kontakt und äußert seinen Fahrkartenwunsch.
Ticket wird vor Ort ausgedruckt
Der Bahnmitarbeiter berät über die möglichen Verbindungen und Tarife. Sobald die Wahl auf ein Ticket gefallen ist, zahlt der Kunde bar oder per EC-Karte. Sodann wird die Fahrkarte direkt in der Videokabine ausgedruckt.
Die Bahn sieht in den Video-Reisezentren einen »innovativen Vertriebsweg gerade für den ländlichen Raum«. Die Handhabung sei einfach und biete persönliche Beratung durch ortskundige »Videoverkäufer«. Dieses Personal, so der Bahnsprecher, würde für den Fall, dass in Lohr ein Video-Reisenzentrum installiert wird, in Schweinfurt sitzen.
70 Stunden pro Woche geöffnet
Als einen der größten Vorteile nennt die Bahn die langen »Öffnungszeiten« des Video-Reisezentrums von 70 Stunden pro Woche, inklusive Sonn- und Feiertage. Es handle sich um ein »ziemliches Erfolgsmodell«.
Das sieht der Fahrgastverband Pro Bahn ähnlich. Dessen Pressesprecher Karl-Peter Naumann sagt, das sich Video-Reisenzentren in vielen Regionen Deutschlands bewährt hätten. Sie seien das Resultat eines Wandels im Kaufverhalten der Bahnkunden. Mittlerweile würden mehr als die Hälfte der Fahrkarten im Internet gekauft. »Eine Entwicklung, die viele wollen«, so Naumann, die aber auch das Aus für viele Verkaufsstellen an Bahnhöfen bedeute.
Solche Shops rentierten sich regelmäßig nur noch dort, wo die Kundenfrequenz hoch genug sei, um auch über den Verkauf von »Currywurst und Kaffee« nennenswerte Einnahmen zu erzielen. Die Benutzung der Video-Reisezentren sei anfänglich womöglich »etwas gewöhnungsbedürftig, aber man kommt damit gut zurecht«, so die Erfahrung bei Pro Bahn.
Der leibhaftige Mitarbeiter am anderen Ende der Videoleitung beantworte »auch dumme Fragen«, die Bedienung des Video-Reisezentrums sei einfacher als die eines Fahrkartenautomaten, so Naumann.