Für die beiden christlichen Konfessionen in Thüngen gehört das Neben- und Miteinander schon seit Jahrhunderten mit Höhen und Tiefen eng zusammen. Ab nächstem Jahr aber soll dort die Ökumene (wörtlich: das "Gemeinsame Haus") eine ganz andere – fast schon revolutionäre – Bedeutung erhalten. Künftig werden die meisten Gottesdienste der katholischen Gemeinde in der Dorfmitte, in der evangelischen St.-Georgs-Kirche gefeiert. "Wir sind in Thüngen der ökumenischen Bewegung wieder einmal zwei Schritte voraus und überzeugt, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind!", sagten die beiden Pfarrer Simon Mayer und Tilmann Schneider.
Bei der Gemeindeversammlung im Pfarrsaal waren rund drei Dutzend Gemeindemitglieder beider Konfessionen im Gemeindesaal unter der Kilianskirche anwesend. Angesichts der weittragenden Entwicklung war dieses geringe Interesse symptomatisch für die derzeitige Entwicklung, nach der die Zahl der Gottesdienstbesucher ständig zurückgeht und sich auch die Suche nach ehrenamtlichen Helfern immer schwieriger gestaltet.
Geschichte der Ökumene im Ort
Seit der Reformation steht die Gemeinde Thüngen im ständigen Spannungsfeld der Konfessionen. Lange Jahre waren die katholischen Gläubigen gezwungen, Ausweichräume für ihre Gottesdienste zu akzeptieren, sie feierten in einem Saal des Thüngener Spitalschlosses und ab 1854 in einer kleinen Kapelle in der Hauptstraße. Als nach dem Zustrom von Flüchtlingen und Aussiedlern infolge des Zweiten Weltkriegs vermehrt katholische Menschen in der Marktgemeinde ansässig wurden und am Ende sogar eine leichte zahlenmäßige Überlegenheit erlangten, wurde auf dem Wendelsberg die Kilianskirche als Filialkirche von Stetten errichtet und im Herbst 1970 geweiht.
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Immer aber gab es nicht nur Belastungen, sondern viele Gemeinsamkeiten zwischen den zwei Konfessionen; viele Aktionen betonten den Zusammenhalt. Gerade in den vergangenen 25 Jahren gewann die Ökumene immer mehr an Bedeutung. Eine Entwicklung, an der die Gläubigen, die Thüngener Pfarrer sowie Pfarrer Heinrich Vogler aus Stetten großen Anteil hatten: Es gibt einen ökumenischen Kirchenchor; im Frauenkreis arbeitet man zusammen ebenso wie in der Schule.
Menschen sind wichtiger als Gebäude
"Die Menschen sind wichtiger als die Gebäude", zitierte Pfarrer Mayer in der öffentlichen Versammlung ein Wort von Papst Franziskus. Deshalb sei es wichtig, dass Gottesdienst gefeiert werde – egal wo. Sein Kollege Schneider freute sich auf die kommenden Entwicklungsmöglichkeiten: es gelte künftig, das dezidiert Christliche herauszuarbeiten und zu zeigen, was am Glauben wichtig ist.
Ab Januar sollen die für Thüngen angesetzten katholischen Gottesdienste weitgehend in der St.-Georgs-Kirche in der Dorfmitte im Anschluss an die Feier der evangelischen Gemeinde stattfinden. Außerdem will man erstmals am 6. Januar die Sternsinger gemeinsam aussenden und mehrere ökumenische Gottesdienste gemeinsam feiern. Daneben soll Raum für ein eigenständiges Gemeindeleben sein. Zusätzlich wird es wie bisher im Wechsel auch die Sonntagsgottesdienste in den Nachbargemeinden Stetten und Heßlar geben.
Bürgermeister Lorenz Strifsky lobte diese Pläne und meinte, auf diese Weise wachse Thüngen ein weiteres Stück weit zusammen. In der Runde der rund drei Dutzend Gemeindemitglieder herrschte zunächst erst einmal Stille. Es wurde beklagt, dass das moderne Gotteshaus von St. Kilian nun leer stünde, es wurde gefragt, wo künftig der "Weiße Sonntag" gefeiert werde und welche finanziellen Folgen entstünden. Letztlich aber wurde der Bitte von Pfarrer Mayer kein Widerstand entgegengesetzt: "Lasst uns im nächsten Jahr ausprobieren, ob das funktioniert!" Danach könnten weitere gemeinsame Entscheidungen getroffen und womöglich ein Vertrag aufgesetzt werden.