Vor 70 Jahren erlebte Gemünden nach zweitägigen schweren Kämpfen am Abend des 5. April 1945 seine Stunde Null. Die Stadt war nun in der Hand der Amerikaner. Doch die Dreiflüssestadt brannte, lag in weiten Teilen in Schutt und Asche, besonders die Altstadt. Von 410 Wohngebäuden waren 179 völlig vernichtet, viele andere teilweise. Gemünden gehört zu den Kleinstädten Bayerns, die unter dem Krieg am stärksten gelitten haben. Furchtbare 147 Einträge weist das Sterberegister für die Zeit vom 24. März bis zum 8. April auf – darunter Kinder und ganze Familien.
Von Mitte Januar bis Ende März 1945 gab es in Gemünden 75 registrierte Alarmmeldungen, allein am 21. März erklangen die Sirenen siebenmal, steht in der Schrift „Eine Stadt stirbt“ des Historischen Vereins. Tiefflieger bestrichen mit ihren schweren Maschinengewehren am Ende fast täglich den Bahnhof und die Schienenstränge. Außer in den Privatkellern suchten die Leute in sieben mehr oder weniger sicheren Luftschutzbunkern Schutz. Der größte war der ehemalige Brauereikeller der Firma Kusterer in der Bahnhofstraße, wo es kaum etwas zu essen und kein Wasser gab.
Am 26. März 1945 dann, einen Tag nach Palmsonntag, kam mit einem schweren Luftangriff der erste schwarze Tag für Gemünden. Die amerikanischen Truppen hatten gerade Aschaffenburg erreicht, aber ihre Jagdbomber suchten bereits die Dreiflüssestadt heim. Um 16.30 Uhr kamen Flugzeuge aus Richtung Massenbuch und zerstörten in mehreren Wellen die Stadt, vor allem die Gegend um den Bahnhof. Aber auch die Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul wurde getroffen. Ihre Bomben, 125- und 250-Kilo-Bomben, klinkten die Flieger meist zu spät aus und verfehlten so den Bahnhof.
Die Erinnerung der 2008 gestorbenen Gemündener Künstlerin Olga Knoblach-Wolff, Jahrgang 1923, an diesen Luftangriff findet sich im Buch „Lebenslinien am Main. Sechzehn Biografien aus unserer Zeit“. Sie war damals, wie viele junge Frauen, bei der Bahn angestellt. Als die Bomber kamen, holte sie ihre Eltern und rannte mit ihnen an der Druckerei Hofmann vorbei in das Anwesen Büchner, wo ein in den Berg getriebener Stollen als provisorischer Unterstand diente. „Kaum waren wir drin, ging es auch schon los! Die Erde hat gebebt! Wir haben gezittert und gebetet und dachten nicht, dass wir da lebend rauskommen. Die Bombardierung schien uns wie eine Ewigkeit.“ Doch sie schaffte es. Anders erging es 41 Menschen im unweit davon befindlichen Amtsgerichtsstollen. Sie wurden verschüttet, ihr Klopfen und Pochen verstummte erst nach Tagen, wie im Heft „40 Jahre Wiederaufbau“ nachzulesen ist. Die Bombardierung hat insgesamt 65 Menschen das Leben gekostet.
Und plötzlich standen schon am nächsten Morgen die Amerikaner vor den Toren der Stadt. Die 307 Mann starke Task Force Baum hatte sich bei der geheimen Kommandoaktion von Aschaffenburg kommend bis Gemünden vorgearbeitet. Dort war niemand vorgewarnt, da am Vortag das Postamt samt Telefonvermittlung außer Betrieb gesetzt worden war.
Als GIs der Task Force von Kleingemünden kommend mit einem Sherman-Panzer auf die Saalebrücke fahren wollten, ließen deutsche Soldaten die zum Sprengen vorbereitete Brücke hochgehen. Der dritte Bogen stürzte ins Wasser. Die Task Force von Hauptmann Baum verlor bei anschließendem Beschuss durch Panzerfäuste in der Frankfurter Straße vier Panzer und mehrere Soldaten, Baum selbst wurde durch Splitter verletzt. Kurzerhand fuhr die Task Force über Rieneck weiter. Aber nicht, ohne vom Zollberg aus Kleingemünden unter schweren Beschuss zu nehmen.
Die regulären amerikanischen Truppen sollten nicht mehr lange auf sich warten lassen. Am Vormittag des 4. April rückte ein US-Panzerbataillon nach schweren Gefechten um Langenprozelten auf Gemünden vor. Doch dort lagen starke deutsche Kampfverbände. Weil Granatfeuer die US-Soldaten empfing, forderten sie Luftunterstützung an, die auch in Wernfeld Bomben abwarf, wo 32 Personen zu Tode kamen. Gleichzeitig begann amerikanische Artillerie, pausenlos auf Gemünden zu feuern, Panzer beteiligen sich vom Zollberg aus an der Zerstörung der Stadt. Am Abend des 4. April war jedoch nur Kleingemünden in amerikanischer Hand. Gemünden stand von dem einen Ende bis zum anderen in Flammen. St. Peter und Paul und die Schule am Obertor brannten, das Feuer fraß sich durch das Holz der Fachwerkhäuser. Flammen schlugen aus dem prachtvollen Renaissance-Rathaus am Marktplatz und dem Adelsmannhaus mit seinen drei Stockwerken und dem einmaligen Fachwerk. Auch das städtische Archiv mit unersetzlichen Urkunden und wichtigen Akten wurde ein Raub der Flammen.
Am 5. April setzten frühmorgens amerikanische Sturmboote über die Saale. Panzer fuhren durch eine seichte Stelle. Es wurde um jedes Haus gekämpft, kurzzeitig sogar ein amerikanischer Leutnant mit zwei Mann gefangen genommen, nur um nach dreistündigem Kampf von ihren Kameraden wieder befreit zu werden. Schon zuvor war ein amerikanisches Infanteriebataillon der Marne-Division zu Hilfe gerufen worden, das sich am 4. April Gemünden gegenüber bei Massenbuch sammelte, nachdem es Halsbach, Wiesenfeld, Massenbuch und Harrbach erobert hatte.
Die „Cotton Balers“, wie die Soldaten des zu Hilfe geeilten Infanteriebataillons genannt wurden, setzten am Mittag des 5. April mithilfe einer Pontonbrücke oberhalb der Stadt über den Main. Die Panzer allerdings mussten zurückbleiben, weil das Ufergelände für die schweren Fahrzeuge zu sumpfig war. Die Shermans blieben daher am linken Ufer stehen und beschossen von dort aus mit Brand- und Sprenggranaten pausenlos die Stadt. Gemünden wurde in die Zange genommen.
Um 15.30 Uhr war die Verbindung zum Panzerbataillon hergestellt. Allerdings musste noch ein weiteres US-Infanteriebataillon eingreifen. Erst am Abend war der deutsche Widerstand vollends gebrochen, die Stadt in amerikanischer Hand.
Am nächsten Morgen schoben Räumpanzer in der noch brennenden Innenstadt den Weg für nachrückende amerikanische Kampfverbände frei. Für die Gemündener, die zum Teil gezwungen wurden, über am Boden liegende Hakenkreuzfahnen zu laufen, begann gleich die schwere Arbeit des Wiederaufbaus. Das ausgebrannte alte Rathaus, erbaut 1585 bis 1596, dessen Umrisse noch auf dem Gemündener Marktplatz kenntlich gemacht sind, sprengten die Amerikaner.
Von den Nazis verschleppte Zwangsarbeiter aus dem Baltikum, in Gemünden nur „Polen“ genannt, hatten angeblich drei Tage Plünderungsfreiheit, da die Waggons im Bahnhof mit unterschiedlichen Waren beladen waren, war viel zu holen. Einige der plündernden Zwangsarbeiter sollen Kanister mit Torpedo-Treibstoff für Schnaps gehalten haben und daran qualvoll gestorben sein.
Video von Leo Kuebert
Herr Kohlhepp,
Interessant fände ich auch eine Berichterstattung über die alle Stadtteile.