zurück
MAIN-SPESSART
Student aus Erlenbach legt Skelette im Urwald frei
Archäologen des Deutschen Archäologischen Instituts erforschen die früheste Besiedlung der Pazifikinseln. Einsatz unter widrigen Bedingungen.
Von unserem Redaktionsmitglied Joachim Spies
 |  aktualisiert: 28.11.2014 14:02 Uhr

Wen mag das locken: Das Klima so feucht, dass die Klamotten Schimmel ansetzen, die Wege nur verschlammte Trampelpfade, die Hütten ohne Strom, riesige Spinnen und giftige Schlangen, die nächste Klinik eine halbe Tagesreise entfernt? Mein Sohn ist so einer. Vor wenigen Tagen ist Benni von diesem Ende der Welt, der Salomonen-Insel Malaita im Pazifik, zurück. Gottlob gesund. Sechs Wochen hat der 26-Jährige mit einem Team des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) im Dschungel geforscht, Spuren der frühesten Besiedlung der Insel untersucht. Wenn er davon erzählt, dann leuchten seine Augen, und am Schluss seines Berichts sagt er in Vorfreude auf die Ausgrabung 2015 und meinen sorgenvollen Blick ignorierend: „Ich will auf jeden Fall da wieder dabei sein.“

Zwei Dinge sind es, die Benjamin, Master-Student der Vor- und Frühgeschichte an der Universität in Kiel und in Erlenbach bei Marktheidenfeld daheim, an den Salomonen und speziell Malaita so faszinieren. „Das ist einer der wenigen weißen Flecken auf der Landkarte der Archäologie“, benennt er den einen Grund. Und der andere macht noch einmal deutlich, wie weitab die Gegend liegt: „In einem Dorf zu landen, in dem man noch keinen Plastikmüll findet, das gibt es sicher nicht oft auf der Welt.“ Zwei Tage braucht es, um an die Ausgrabungsstätte zu kommen.

An den Flug nach Australien und von dort in die Salomonen-Hauptstadt Honiara schließt sich eine zehnstündige Fahrt mit einer überladenen Fähre zur Insel an, dann geht es mit dem eigens vom DAI dafür angeschafften Motorboot einen Fluss hinauf und schließlich zu Fuß in den Urwald. Hier hat Dr. Johannes Moser, Spezialist für Südostasien und den Westpazifik beim DAI, im Jahr 2011 begonnen, einen Platz zu untersuchen, an dem Steingeräte hergestellt wurden. Das muss so vor 2000 Jahren gewesen sein. Steinwerkzeuge waren auf Malaita lange in Gebrauch. Erst mit dem Auftauchen erster Europäer kam das erste Metall auf die Insel.

Was die Archäologen an den Salomonen so interessiert, ist ihre Lage. Ob von Asien oder Australien aus, die Besiedlung der Pazifikinseln muss vor zigtausend Jahren über diese Inselbrücke geschehen sein. Doch nachgewiesen ist dies bislang nicht. Die Spurensuche der Wissenschaft steht hier noch ganz am Anfang. Ein spannendes Feld also für das Team aus Deutschland, dem neben Leiter Moser und Archäologiestudent Spies noch ein Vermessungstechniker und ein Student der Grabungstechnik angehörten. Der Rest der Mannschaft, rund 15 Helfer, bestand aus Einheimischen, für die das DAI ein Segen ist – Arbeitsplätze, die Chance ein wenig Geld zu verdienen, gibt es auf der Insel kaum. Für die Weißen haben die Einheimischen ein Holzhaus gebaut, wie sie es meist selbst haben: auf Stelzen, damit das Regenwasser unten durchfließen kann und das Ungeziefer nicht so einfach in die Räume gelangt, und mit Palmblättern gedeckt. Auch für die Verpflegung, so weit sie von den Gästen nicht in Konserven und Reissäcken mitgebracht wurde, sorgten die Frauen des Dorfes. Wurzeln, Farne und Gemüsenknollen – das Angebot ist begrenzt. Gekocht wird auf offenen Feuern oder in Erdöfen, denn Strom gibt es nicht. Nicht einmal ein Aggregat, denn Sprit ist teuer und kostbar.

Das Leben im Dschungel verlangt Europäern einiges ab. Die Erfahrungen, die Benjamin bei früheren Aufenthalten in Nepal und Indonesien gemacht hat, waren neben seinem fachlichen Wissen ein Grund dafür, dass er ins Team kam. „Anspruchsloses Essen, ständiger Regen, Schlamm und Dreck, das enge Aufeinandersitzen – das geht schon an die Substanz“, gibt der 26-Jährige zu bedenken. Und so idyllisch der Waschplatz am See oder Bach auch gewesen sein mag, es hielt angesichts des tropischen Klimas nicht lange vor. Für empfindliche Nasen dürfte das „Menscheln“ von Gästen wie Einheimischen nur schwer auszuhalten sein.

Benni meint ja, dass die Are-Are, wie sich die Menschen dort nennen, das qualmende Feuer in den abzuglosen Häusern auch deshalb so gelassen erdulden, weil es die zahllosen Insekten abhält und die meist feuchte Kleidung desinfiziert. Die Leute aus dem Dorf, von den Kindern bis zu den Alten, suchen neugierig und ganz unbefangen die Nähe zu den Fremden. Die wiederum sind fasziniert von dem, was die Ältesten zu erzählen haben. Eine schriftliche Überlieferung gibt es nämlich nicht. So wie es vor alter Zeit auch bei uns gewesen sein muss, tragen die Familienoberhäupter die Geschichten von Generation zu Generation weiter. Traditionen, Regeln des Zusammenlebens, Rechtsprechung, heilige Plätze, die Ahnen und ihre Heldentaten – die Überlieferungen reichen Hunderte von Jahre zurück.

Und das macht die zweite Fundstelle der Archäologen, mitten im Urwald unter einem Felsüberhang, so sensationell. Überraschend stieß das Team hier bei Ausgrabungen unter einem Lagerplatz auf zwei Skelette, deren Fund auch die Einheimischen verblüffte. Denn Totenplätze sind eigentlich Tabu-Plätze, die nicht zum Lagern genutzt werden dürfen. Die Skelette, es dürfte sich um einen Mann und eine Frau oder einen Jugendlichen handeln, müssen also lange vor Einsetzen der Überlieferungen hier niedergelegt worden sein.

Dass über ihren Schädeln dicke Steinpackungen lagen, die Fußknochen nach innen gedreht waren und manche Knochen Schnittspuren zeigen, deutet nach Meinung der Are-Are darauf hin, dass diese Menschen getötet wurden. Noch bis Anfang des vergangenen Jahrhunderts hat es Kannibalismus auf Malaita gegeben. Mehr zu erfahren erhoffen sich die Ausgräber bei der Kampagne im kommenden Jahr, denn diesmal konnten die Knochen nicht geborgen werden und wurden vorsichtig wieder abgedeckt. Zumindest zeitlich eingrenzen können die Archäologen den Fund aber, wenn die entdeckten Holzkohlestücke mit der C14-Methode untersucht wurden.

Was dabei herauskommt, das soll die Fachwelt im kommenden Frühsommer erfahren. Dann wird es in Berlin eine internationale Tagung zur Archäologie im Pazifikraum geben und bis dahin wird auch definitiv feststehen, ob die Ausgrabung auf den Salomonen 2015 weitergehen kann. Bis dahin allerdings gilt es für Benni, noch eine Masterarbeit zu schreiben. Das Thema: Lagerplätze der Mittelsteinzeit im Landkreis Main-Spessart. Vielleicht dann auch etwas, das wert ist, an dieser Stelle berichtet zu werden.

Der Regen verwandelt Rinnsale in kürzester Zeit in tiefe Bäche. In der Bildmitte Ausgrabungsleiter Dr. Johannes Moser vom Deutschen Archäologischen Institut, rechts Benjamin Spies.
Foto: Christian Hartl-Reiter, DAI | Der Regen verwandelt Rinnsale in kürzester Zeit in tiefe Bäche. In der Bildmitte Ausgrabungsleiter Dr. Johannes Moser vom Deutschen Archäologischen Institut, rechts Benjamin Spies.
Nur die 'Hauptstraße' im Dorf ist so breit. In die Siedlung hinein und aus dieser heraus führen lediglich Trampelpfade.
Foto: Christian Hartl-Reiter, DAI | Nur die "Hauptstraße" im Dorf ist so breit. In die Siedlung hinein und aus dieser heraus führen lediglich Trampelpfade.
Student aus Erlenbach legt Skelette im Urwald frei
Ein traditionelles Haus der Are-Are. Alles geschieht in einem einzigen, großen Raum.
Foto: Christian Hartl-Reiter, DAI | Ein traditionelles Haus der Are-Are. Alles geschieht in einem einzigen, großen Raum.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Archäologen
Ausgrabungen
Ausgrabungsstätten
Masterarbeiten
Mittelsteinzeit (7999 - 5500 v.Ch.)
Urwald
Überlieferungen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top