Verena M. fühlt sich im Streit mit ihrem Ex-Partner um Umgang und Sorgerecht für das gemeinsame Kind macht- und hilflos. "Seit Jahren lebe ich mit dieser Angst, dass mir das Kind weggenommen wird", sagt die alleinerziehende Projektmanagerin aus dem Landkreis Main-Spessart. Der Mann, der vor dem Kind immer wieder herumgetobt und die 43-Jährige geschlagen, der sich nie etwas aus ihm gemacht habe, möchte über dessen Aufenthaltsort bestimmen, will mehr Umgang, jetzt sogar das alleinige Sorgerecht.
"Ich darf nichts Schlechtes über den Vater sagen, auch wenn er gewalttätig ist", klagt sie. "Wohlverhaltenspflicht" nenne sich das. Dass sie ihm den Umgang mit dem Kind ermöglichen müsse, selbst wenn sich dieses dagegen wehre, empfinde sie als "extremen Zwang". Aber für das Kindeswohl seien trotz häuslicher Gewalt angeblich beide Elternteile nötig. Die Kinder einer Bekannten hätten nach dem Umgang mit ihrem Vater sogar plötzlich Knochenbrüche gehabt, trotzdem sage das Gericht, dass es an der Mutter liege, dass die Kinder nicht zum Vater wollen. Mit einer symbolischen Kranzniederlegung vor dem Amtsgericht Gemünden wollte die Mutter dieser Tage auf Missstände im System hinweisen, auf den "beschämenden Umgang" mit Müttern und Kindern, die Opfer von Gewalt wurden.
Sowohl das Jugendamt Lehrte in Niedersachsen, wo sie herstammt, als auch das dortige Familiengericht hätten seit 2016 Hinweise auf häusliche Gewalt und Kindeswohlgefährdung ignoriert. Nach Anhörungen im Umgangsverfahren seien lückenhafte Protokolle angefertigt worden. Sie hatte den Eindruck, den, wie sie sagt, "Lügen des Kindsvaters und seiner Anwältin" werde mehr geglaubt als ihr. Der Direktor des Amtsgerichts Lehrte teilt mit, dass er sich zu dem konkreten Fall ohne Einverständnis aller Beteiligten nicht äußern dürfe.
Nun werde ihr unterstellt, dass sie vor gut zwei Jahren mit ihrer Tochter nur nach Main-Spessart gezogen ist, weil sie dem Vater das Kind entziehen wolle, so Verena M. Dabei habe sie sich im weiten Umkreis auf Stellen beworben. Sollte sie wieder umziehen wollen, bräuchte sie die Unterschrift des Vaters. Wie auch für den Kindergartenvertrag, den er drei Monate nicht unterschrieben habe, oder für eine Operation des Kindes vergangenes Jahr, für die er gar nicht unterschrieben habe.
Den Umgang mit dem Vater alle 14 Tage ermöglichte sie zunächst weiterhin, fuhr mit ihrem Kind nach Niedersachsen, auch wenn es jedes Mal, bevor es zu ihm musste, krank geworden sei und geäußert habe, dass es nicht zum ihm wolle. Seit Ende vergangenen Jahres hat sie ihm keinen Umgang mehr ermöglicht, obwohl er das Recht dazu hätte, wie sie einräumt. Für sie ist es ein Zugewinn an Lebensqualität, sagt sie. Sie meint aber zu wissen, dass sie deshalb bei Jugendamt und Gericht als unzuverlässig und Querulantin gelte. Aber sie möchte sich nicht mehr alles gefallen lassen.
Mutter lehnt die Verfahrensbeiständin ab
Nach dem letzten Anhörungstermin im Januar, inzwischen am Amtsgericht Gemünden, brauchte sie Wochen, um sich zu erholen. Deshalb wollte sie zur nächsten Anhörung nur noch eine Stellungnahme schicken. Sowohl die vom Gericht bestellte Verfahrensbeiständin in Lehrte als auch die jetzige in Gemünden hält sie für voreingenommen pro Kindsvater, weshalb sie einen Entpflichtungsantrag gestellt hat.
Rainer Beckmann, Richter und Pressesprecher am Amtsgericht Gemünden, gibt zu bedenken, dass ein Verfahrensbeistand, der die Interessen des Kindes vertreten soll, seine Aufgabe nur wahrnehmen kann, wenn ihm Kontakt mit dem Kind ermöglicht werde. Das Amtsgericht Gemünden orientiert sich in Sachen Aufenthalt und Umgangsrecht des Kindes an einem Leitfaden des Amtsgerichts Würzburg. Beckmann erklärt, dass Vorwürfen zu häuslicher Gewalt selbstverständlich nachgegangen werde. Oftmals gebe es aber keine Beweise. Nach der im Gesetz geregelten "Wohlverhaltenspflicht" sollen Eltern das Kind so weit wie möglich aus dem zwischen ihnen bestehenden Konflikt heraushalten. Wenn ein Kind keinen Umgang mit seinem Vater will, komme gelegentlich der Verdacht auf, dass die Mutter dahinterstecke.
Kindschaftsverfahren immer "emotional aufgeladen"
Thomas Götz, Leiter des Jugendamts Main-Spessart, sagt, dass derlei Verfahren generell "emotional aufgeladen" sind. Das Wohl des Kindes stehe an erster Stelle. Kinder hätten oft einen Loyalitätskonflikt und seien von den Elternteilen natürlich beeinflusst, zum Teil unbewusst. Er hält es grundsätzlich für wichtig, dass ein Kind Umgang mit beiden Elternteilen hat. "Ein Elternteil bleibt ein Elternteil, auch wenn er sich nicht so verhält, wie er sollte." Es sei bei Zweifeln auch ein begleiteter Umgang mit jemandem Dritten möglich und eine Beobachtung, ob der Umgang dem Kind gut tut.
Vorwürfe von Gewalt müssten berücksichtigt werden, allerdings mache es einen Unterschied, ob solche Vorfälle schon bei der Polizei aktenkundig wurden oder ob sie "nicht greifbar" seien. Dass sie einen Vorfall im April 2015 erst weit im Nachhinein bei der Polizei anzeigte, wirft sich Verena M. heute selbst vor. Wenn einer Mutter Gewalt vom Ex widerfahren ist, so Götz, dann sei das in erster Linie ein Thema zwischen den Eltern, und kein Kinderthema. Kindeswohlgefährdungen dürften gleichwohl nicht zugelassen werden, wobei dabei die Messlatte hoch liege.
Unterschiedliche Einschätzungen von Rechtsanwälten
Jochen Engert aus Lohr, Fachanwalt für Familienrecht, hat schon viele Kindschaftsverfahren ausgefochten und dabei sowohl Mütter als auch Väter vertreten. Den Fall von Verena M. kennt er nicht, aber beim Wohl des Kindes seien das Amtsgericht Gemünden und das hiesige Jugendamt "sehr, sehr sorgfältig". Der Rechtsanwalt rät Verena M., mit Gericht und Jugendamt zu kooperieren. Im Zweifelsfall müsse das Gericht ein Gutachten eines Familienpsychologen einholen.
Engerts Aschaffenburger Rechtsanwaltskollegin Marita Korn-Bergmann, 66, hat ein weniger positives Bild von Familiengerichten. Sie ist spezialisiert auf Kindschaftsverfahren, bildet auch Kollegen weiter und ist bundesweit tätig. Familienrichter seien oft jung, im Familienrecht unerfahren, darin unzureichend aus- und fortgebildet und folglich oft überfordert. So lenkten häufig Jugendamt, Verfahrensbeistand oder Sachverständige die Verfahren und damit letztlich auch die Entscheidung. Mangelhafte Gutachten würden leider oft ungeprüft übernommen, die Qualifikation der Gutachter nicht überprüft. Das Recht weiche mehr und mehr subjektiven Einschätzungen.
Der Umgang mit dem Kind, so Korn-Bergmann, werde wie "eine heilige Kuh" behandelt, Kindern tue der Umgang mit dem anderen Elternteil aber nicht immer gut. Schnell werde die Mutter für einen nicht funktionierenden Umgang verantwortlich gemacht und als "bindungsintolerant" oder "erziehungsunfähig" abgestempelt. Dies könne "beängstigend schnell" zum Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts und damit zur Trennung vom Kind, unter Umständen sogar zur Fremdunterbringung führen.
Erheben Mütter Gewaltvorwürfe, würden diese oft nicht ernst genommen, zum Teil sogar gegen sie gekehrt unter dem Schlagwort „Bindungsintoleranz“. Dabei könnten nicht nur eigene Gewalterlebnisse Kinder traumatisieren, sondern auch miterlebte Gewalt in der Familie. Und wenn ein Mensch zu Gewalt greift, sei die Gefahr groß, dass er dies auch Kindern gegenüber tun wird. Sie begrüßt daher, dass im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgehalten ist, dass Kinderschutz und familiengerichtliche Verfahren verbessert werden sollen.
Mutter derzeit ohne Anwalt
Verena M. wünscht sich vom Gericht endlich einen Beschluss, dann könne sie dagegen vor dem Oberlandesgericht Bamberg klagen. Die ständigen Anhörungen sei sie leid, sie sage seit drei Jahren immer dasselbe. Derzeit habe sie keinen Anwalt, weil sie sich von den bisherigen schlecht vertreten gefühlt und nichts als Kosten gehabt habe. Ein Anwalt habe gar Fotos von Verletzungen ihres Kindes nach dem Umgang mit dem Kindsvater einfach ignoriert. Sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, habe ihr mehr gebracht.
Die alleinerziehende Mutter sagt, sie wolle und könne nicht verhindern, dass ihr Ex wieder Umgang mit dem Kind hat. Sie hoffe aber, dass er eine Therapie macht. Inzwischen hat sie das alleinige Sorgerecht beantragt, im Gegenzug dann auch er. Laut Anwalt Engert komme es im Extremfall aber vor, dass einer Mutter, die das alleinige Sorgerecht beantragt hat, letztlich das Kind abgenommen wird, weil Zweifel an ihrer Erziehungsfähigkeit aufkamen. Das ist die größte Angst von Verena M.
Was in vielen Fällen eher schadet als hilft.
Habe es selbst bei einer Familie miterlebt und war von Jugendamt und Rechtsprechung und deren Entscheidung ebenfalls sehr erschrocken.
Es ist nicht alles gut was als Gut argumentiert wird.
Vermutlich würde sich das meiste (alles?) sehr stark relativieren, wenn man die Darstellung der Gegenseite hören würde.
Die "Betroffene" scheint es den Behörden/Richtern/Gutachtern etc. ja nicht leicht zu machen....