Nicht verloren geben will Jugendrichter Christian Spruß einen 20-Jährigen, der am Dienstag zum sechsten Mal seit 2011 vor Gericht stand. Obwohl der junge Mann „höchst besorgniserregend“ (Spruß) in rascher Folge Straftaten begangen hat, steckte er ihn nicht ins Gefängnis. Vielmehr soll der Bursche mit drei Wochen Jugendarrest und etlichen Auflagen motiviert werden, das Ruder herumzureißen, bevor er endgültig in die Kriminalität abrutscht.
Keineswegs wie ein schwerer Junge wirkt der 20-Jährige aus dem Raum Marktheidenfeld, der ohne Verteidiger im Anklageabteil des Gerichtssaals sitzt. Aber er sammelt Straftaten geradezu. Eine ganze Liste Anklagen verliest der Staatsanwalt, vom Tankbetrug über Beleidigung von Polizeibeamten und Fahren ohne Fahrerlaubnis und ohne Pflichtversicherung bis hin zu einer Reihe von Diebstählen so geringwertiger Sachen wie Straßenleitpfosten und eines Warnschildes „Vorsicht Rutschgefahr“ aus einem Schnellimbiss.
Außer Körperverletzung sei fast alles dabei, konstatiert Richter Spruß: Beleidigung, Verkehrsvergehen, Diebstahl, Betrug. Und das alles längst nicht zum ersten Mal. Das Bundeszentralregister listet fünf Vorahndungen für den jungen Mann auf, beginnend mit Ladendiebstählen (Computerspiele) 2010. Es folgen Fahren ohne Fahrerlaubnis, fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung (Überholen im Überholverbot) und Internetbetrug (Handy verkauft, aber nicht geliefert).
Offenbar wahllos gestohlen
Jetzt kommen hinzu: acht Diebstähle (darunter die genannten zwei Leitpfosten, das Werbeschild eines Karlstadter Eiscafés, zwei Feuerwehr-Warnkegel, ein Tafeldreieck und -lineal aus der Nägelsee-Mittelschule Lohr (Hausfriedensbruch), Fahrzeugkennzeichen, eine Anhängerkupplung und, am schwerwiegendsten, eine TÜV-Plakette, die der Mann auf einem Schrottplatz mit einem Teppichmesser von einem Auto abgekratzt hat, weshalb es sich juristisch um einen „Diebstahl mit Waffen“ handelt; darauf allein schon steht nach Erwachsenenstrafrecht eine Mindeststrafe von einem halben Jahr Freiheitsentzug (bis zu zehn Jahren).
Mitverhandelt werden der bereits erwähnte Tankbetrug – die 46 Liter Sprit konnte der 20-Jährige nicht bezahlen – sowie die Fahrt mit einem alten, geschenkten, nicht versicherten Auto zu einer Kiesgrube. „Wir dachten uns, das nehmen wir mit und fahren ein bisschen im Wald 'rum“, erzählt der Angeklagte, was er und Freunde mit dem Fahrzeug vorhatten. Er hatte zur Tarnung ungültige Überführungskennzeichen ans Auto geschraubt. Später wurde es total demoliert in der Kiesgrube gefunden.
Einzelrichter Spruß erklärt dem 20-Jährigen, wie wichtig die in Deutschland gesetzlich vorgeschriebene Autohaftpflichtversicherung ist. Als der Richter wissen will, ob die Spritrechnung mittlerweile beglichen sei, fragt der Angeklagte seinen Vater in den Zuschauerreihen. Der antwortet: „Ich habe nichts bezahlt.“
Warum der junge Mann keine Scheu vor krummen Touren hat, darüber gehen die Ansichten auseinander. Als Grund für die meisten Kapriolen gibt er selbst an, er habe es lustig gefunden, zum Beispiel Leitpfosten zu besitzen, und für den Tankbetrug, dass ihm das Geld gefehlt habe. Die Großmutter, die dem Prozess als Zuschauerin folgt, sagt vor dem Sitzungssaal, ihr Enkel habe leider die falschen Freunde. Ein Grund könnte auch schlicht Langeweile sein: Zwei Lehren nach der Mittleren Reife hat er abgebrochen, hat sich nicht arbeitssuchend gemeldet, lebt bei und von seinen Eltern. Aufforderungen, das Jugendamt zu besuchen, folgte er nicht. Er ist in keinem Verein und auch nicht sozial engagiert, erfährt der Richter auf Nachfrage. „Mit Kumpels abhängen und Wasserpfeife rauchen“, so vergehen die Tage.
Noch Jugendstrafrecht angewandt
Damit ist jetzt Schluss, wenn der junge Mann nicht vollends auf die schiefe Bahn geraten will. Richter Spruß folgt dem Antrag des Staatsanwalts und wertet die Taten als noch jugendtypisch – der 20-Jährige habe Reifedefizite, weshalb ihm gerade noch das Jugendstrafrecht zuzubilligen sei, was bis zum 21. Geburtstag möglich ist. Das Jugendstrafrecht soll erzieherisch wirken – lang redet Christian Spruß dem Tunichtgut ins Gewissen und erklärt ihm das Urteil: drei Wochen Jugendarrest, 120 soziale Arbeitsstunden, Begleichung des Tankschadens und die Verpflichtung, umgehend eine Lehrstelle zu suchen und dies nachzuweisen. Mit den Worten „Ja, das passt alles so“ nimmt der 20-Jährige das Urteil an.