zurück
ARNSTEIN
Steinigungen im Schrebergarten untersagt
Von unserem Mitarbeiter Günter Roth
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:45 Uhr

Mit Erik Lehmann steht nun der dritte Teilnehmer der Schlussrunde des Fränkischen Kabarettpreises am 24. Oktober in der Arnsteiner Stadthalle fest. Der „sächsische Wutbürger“ wird dann mit den beiden anderen Vorrundensiegern John Doyle und Andy Ost im Finale um den „Schaffer“ kämpfen.

Diesmal waren sich Publikum und Jury überhaupt nicht einig. Während die Zuschauer den Oberbayern Brustmann klar vorn sahen, gaben die Fachleute auf dem Balkon Lehmann ebenso deutlich den Vorzug. Aufgrund der Priorität der Jury hatte dieser dann schlussendlich die Nase vorn.

Protest mit Gehstock-Sirtaki

Diese Diskrepanz lässt sich leicht durch die großen Unterschiede der beiden Kabarettisten erklären. Lehrmann zeigte sich von Anfang voll unter Dampf mit spritzigem Wortwitz, voller Temperament und verzichtete dabei völlig auf jede political correctnes. Genüsslich zelebrierte er köstlich sächselnd den „unglaublischen Uffstand im Pfleicheheim“, wo die Alten wegen einer geplanten Griechischen Woche mit Gehstock-Sirtaki und Rollstuhlpyramide auf die Barrikaden gehen. Dabei bewerfen die Senioren ihre Pfleger mit Schnabeltassen und schwören „nein ich spende meine dritten Zähne nicht!“, bis sie letztendlich sediert und mit Gyros intravenös ernährt werden müssen.

Natürlich war auch die gegenwärtige Flüchtlingssituation Thema. Alle kämen nach Deutschland, weil es dort so schön sei – Arnstein allerdings nicht so ganz! Bei der anschließenden glanzvolle Rede als Vorsitzender einer sächsischen Schrebergarten-Kolonie mit Leerständen informierte er die dort untergebrachten Migranten in einer köstlichen Sprach-Mischung über die Besonderheiten der Laubensiedlung: „Let's talk about Schreber-Basics!“

Dazu gehörten für die muslimischen Gäste „no Muezzin-Shout and no stoning!“ – keine Steinigungen, „the Schotter bleibt on den Gardenway!“ Natürlich musste das Lachen über die bitteren Gags stellenweise im Hals steckenbleiben, doch die Pointen waren treffsicher – tolles Kabarett!

Josef Brustmann ist da der absolute Gegenpol. Als Urgestein altbayerischer Komik gab er mit scheinbar harmlosen, ruhigen Geschichten mit knorrigem, bodenständigem Witz Einblicke in die oberbayerische Seele. Oberbayern, das „Mausoleum der gescheiterten Kanzlerkandidaten“, wo der Mesner von Wolfratshausen Parallelen seiner Ehe zum Table-Dance zieht und der Totengräber sein schmales Salär mit Grabsteinsprüchen aufbessert.

Poesie, Philosophie und Volksmusik: Brustmann unterhält bildhaft und wortgewandt, er gibt dem Zuschauer die Chance, sich Gedanken zu machen, während des Programms und nicht erst beim Nachhausegehen und unterhält dabei noch mit herrlicher Volksmusik.

Kabarett mit urbayerischem Zitherspiel, das ist nicht nur rurale Romantik, denn Brustmann überrascht auch mit flottem Beatles-Sound auf seinem Instrument und schreckt auch nicht davor zurück, die Saiten ACDCs „Highway to Hell“ wimmern zu lassen. Das Publikum war begeistert.

Wo die Kasse den Kunden kennt

Der dritte im Bunde, Frank Sauer, zeigte die wohl anspruchsvollste Vorstellung, wobei er womöglich gelegentlich seine Zuhörer überforderte. Im Playback gestützten Streitgespräch mit sich selbst erörterte er die sprachlich positiv bereinigte Zeit, die an sich Negatives grundsätzlich durch Euphemismen ersetzt, wo der Frühjahrsputz zum Weltfrauentag wird.

Nachdenklich bei allem Geblödel stimmten die Betrachtungen über den Cyber-Space des täglichen Lebens, wo das weltweite Netz alle Profildaten kennt, wo die Daten-Cloud die Daten klaut, wo der User ausgeloggt wird, wenn alles aus ihm herausgelockt wurde und selbst die Kasse bei Aldi schon im Voraus weiß, was der Kunde kaufen und wie hoch die Endsumme ausfallen wird.

Ein toller Schlusspunkt war das bestens gesungene Lied über einen gehörnten Ehemann, der mit zahlreichen skurrilen Ideen die Liebhaber seiner Gattin nachhaltig aus dem Weg räumt.

Die Moderation des Abends lag bei Fredi Breunig, der charmant durch das anspruchsvolle Programm führte und dabei liebevoll seine Rhöner Heimat aufs Korn nahm.

Gstanzln: Einblicke in die oberbayerische Seele gab der Zweitplatzierte Josef Brustmann.
| Gstanzln: Einblicke in die oberbayerische Seele gab der Zweitplatzierte Josef Brustmann.
Gläserner Bürger: Frank Sauer warf einen kritischen Blick auf die schöne, „gecloude“ Datenwelt.
| Gläserner Bürger: Frank Sauer warf einen kritischen Blick auf die schöne, „gecloude“ Datenwelt.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Arnstein
Aldi Gruppe
Fredi Breunig
Kleingartenanlagen
Steinigungen
The Beatles
Wutbürger
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top