Eine aus der Not geborene Idee, ein arbeitsreiches Wochenende und fünf motivierte junge Leute: Mehr hat es nicht gebraucht, um ein virtuelles Klassenzimmer zu erschaffen, das einige Schulen im Kreis Main-Spessart bereits nutzen, um ihre Schüler auch während der Corona-Krise zu unterrichten. Hinter dem Projekt steckt das erst im Februar von fünf Gründern aus Karlstadt und Arnstein aus der Taufe gehobene Start-up-Unternehmen Intelliqo. Laut dessen geschäftsführendem Gesellschafter Florian Zaschka hat sich Intelliqo am Hackathon beteiligt, den die Bundesregierung am 19. März ausgerufen hatte: Ziel dabei war es, schnelle Lösungen in der Informationstechnik zu entwickeln, die in der Corona-Krise helfen können.
Intelliqo ersann innerhalb eines Wochenendes ein internetbasiertes Programm, um die Region Main-Spessart mit einem digitalen Klassenzimmer auszustatten, solange die Schulen wegen der Pandemie geschlossen sind. Dafür verwendete das Start-up eine Open-Source-Software, auf die Schüler und Lehrer einfach über ein Internetportal zugreifen können. "Das ist die beste und schnellste Möglichkeit, um die direkte Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern zu ermöglichen", sagt Zaschka.
Überrascht vom schnellen Erfolg
Der 25-Jährige und seine Mitstreiter waren selbst überrascht, wie schnell die Schulen auf ihr Angebot aufmerksam wurden. "Wir haben zwei sehr wilde Wochen hinter uns", betont der Stettener. Das digitale Gründerzentrum "Starthouse Spessart" in Lohr hat die junge Firma tatkräftig unterstützt, um ihr virtuelles Klassenzimmer bekannt zu machen. Starthouse-Leiterin Lisa Straub stellte die Kontakte zu den Schulen her und bewarb das digitale Klassenzimmer auf Facebook.
Nach Aussage von Florian Zaschka stellt das Start-up den Schulen das Programm bis Ostern kostenlos zur Verfügung. Danach bietet Intelliqo Monatslizenzen an. "Die Serverkosten sind enorm hoch, wenn wir das mit allen Schulen machen", erklärt Zaschka. Bisher zahlt seine Firma noch drauf, profitiert aber vom Feedback der Schüler und Lehrer aus dem Livebetrieb.
Im Lohrer und Karlstadter Gymnasium, in der Florentini-Schule in Gemünden, im Bildungs- und Generationenzentrum Arnstein und an der Karlstadter Mittelschule gab es bereits virtuellen Unterricht.
Besser für neuen Stoff geeignet
Die meisten Unterrichtsstunden über das Internet hat bisher allerdings das Franz-Ludwig-von-Erthal-Gymnasium in Lohr abgehalten. Schulleiter Bernd Rottenbacher war froh, als er das Konzept des virtuellen Klassenzimmers vorgestellt bekam. Zuvor hatte das Lohrer Gymnasium auf die landesweite Schulschließung mit einer Webcloud reagiert, über die den Schülern Arbeitsblätter zur Verfügung gestellt wurden, um bekannten Unterrichtsstoff noch einmal zu üben.
"Es ist ganz wichtig, dass man neuen Stoff erst mal verstehen und die Möglichkeit haben muss, den Lehrer bei Unklarheiten noch einmal zu fragen", betont Rottenbacher. Im virtuellen Klassenzimmer können Schüler und Lehrer wieder direkt miteinander kommunizieren. Auch sonst bildet das Digitale viele Teile der Realität ab: So gibt es beispielsweise eine Tafel, die sowohl Schüler als auch Lehrer beschriften können. Gemeldet wird sich auf Knopfdruck.
Selbst eine Schwätzfunktion, um sich vom Lehrer unbemerkt untereinander unterhalten zu können, ist eingebaut. Sie kann allerdings von der Lehrkraft abgeschaltet werden, was im realen Unterricht nicht so einfach zu bewerkstelligen ist. Dafür ist dort die Sicht des Lehrers auf seine Klasse besser, denn die Kameras an den Endgeräten der Schüler bleiben aus, um dem Datenschutz gerecht zu werden.
Studienrat Stefan Lausberger hat sich im Lohrer Gymnasium federführend um die Einführung des digitalen Unterrichts gekümmert. Er habe im Team mit sechs weiteren Kollegen quer durch alle Jahrgangsstufen und Klassen insgesamt 30 Unterrichtsstunden im virtuellen Klassenzimmer angeboten, erläutert der Schulleiter. Rottenbacher zählt die Fächer Deutsch, Englisch, Französisch, Wirtschaft und Recht, Chemie, Mathematik und Physik auf, die über das Internet gelehrt wurden.
Kommt gut bei den Schülern an
Der neue Unterricht scheint sehr beliebt zu sein: Bernd Rottenbacher berichtet, dass enttäuschte Schüler ihn angerufen hätten, die erst einmal nicht für den digitalen Unterricht vorgesehen waren. "Sie haben mich gefragt, was sie tun können, damit sie auch mal ins virtuelle Klassenzimmer gehen können", sagt der 50-Jährige. Auch diejenigen, die mitmachen konnten, waren offenbar begeistert.
Das System laufe an sich stabil, habe aber noch Verbesserungspotenzial, sagt Lausberger. Er regt an, weitere Funktionen in die Tafel zu implementieren. Als Beispiele nennt er einen Radierer oder dass man das Textfeld variabler gestalten kann. Der Lehrer berichtet zudem von Kompatibilitätsproblemen mit Apple-Geräten und manchen Internetbrowsern, wodurch nicht alle Funktionen zur Verfügung standen.
Einzelne Schüler hätten es aufgrund von technischen Problemen nicht geschafft, ins virtuelle Klassenzimmer zu kommen. "Wenn beim Schüler etwas mit dem Internet oder dem Endgerät nicht funktioniert, habe ich einen Schüler weniger im Klassenzimmer. Da kann niemand was dafür", sagt Lausberger. Seine Schüler hätten am Anfang Hemmungen gehabt, alleine in ihr Mikro zu reden, aber nach einer Zeit habe sich das gelegt, berichtet der 36-Jährige.
Marcel Trebeß geht in die 11. Klasse und hat bereits jeweils eine Stunde Englisch, Deutsch, Biologie und P-Seminar am eigenen Laptop erlebt. Bei ihm hat technisch alles einwandfrei funktioniert. "Der Lehrer hat hauptsächlich unsere Fragen zu Klausuren und Arbeitsaufträgen beantwortet. Es ist eine super Sache, dass die Möglichkeit besteht, mit den Lehrern in Kontakt zu kommen", sagt der 17-Jährige aus Steinfeld. Er und seine Mitschüler müssen noch etliche Klausuren nachholen, wenn die Schule in der Wirklichkeit weitergeht. Im virtuellen Unterricht sieht er viel Potenzial.
Kein Ersatz, sondern Ergänzung
Auch Florian Zaschka von Intelliqo hofft, dass sich auch nach der Corona-Krise öfter die Frage gestellt wird, welchen Mehrwert die Digitalisierung bietet. "Jetzt haben wir versucht, den realen Unterricht durch die Technik zu ersetzen, aber langfristig kann nur ein Miteinander funktionieren", meint der 25-Jährige.
Mit einem nachhaltigen Geschäft rechnet er in Bezug auf das virtuelle Klassenzimmer nicht. "Aber die Technik, die wir daraus entwickeln, kann später in anderen Bereichen, wie Hochschulen und Universitäten, eingesetzt werden", gibt sich Zaschka zuversichtlich. Doch jetzt sind erst einmal Osterferien und da bleiben selbst virtuelle Klassenzimmer zu.