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Standpunkt: Schneewittchen ist endlich angekommen
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:20 Uhr

Kunst will gefallen. Nicht jedem, nicht immer. Gelingt mal mehr, mal weniger.

Künstler wollen etwas bewegen. Nicht jeder, nicht immer. Peter Wittstadt hat mit seinem eigenwilligen Entwurf von Schneewittchen etwas geschaffen, das viele und vieles bewegt hat. Allein unter diesem Aspekt ist sein Werk höchst erfolgreich.

Vielen mag das Bronze-Monstrum nicht so recht gefallen – womit es schon einmal etwas gemein hat mit der Stadthalle, vor der es jetzt steht. Marketing-technisch aber war der Gegenentwurf zur Walt-Disney-Schönheit ein wahrer Clou. Gerade deshalb, weil es dem Idealbild nicht entspricht, wurde Wittstadts Wittchen verhöhnt und verspottet, karikiert und verhohnepipelt. Schon als Modell und noch in der Mache lieferte es Gesprächsstoff für Monate – und wird es noch auf Jahre hinaus immer wieder aufs Neue tun.

Wer sich tiefgründiger mit diesem Märchen und seinen grausamen Elementen befasst, mag diese sogar in Wittstadts Kreatur wiederfinden: Der schmalen Taille, abgeschnürt vom Gürtel, die zotteligen Zöpfe als Folge des vergifteten Kamms, die verkümmerten Ärmchen als Zeichen der Machtlosigkeit des Mädchens, das letztlich mehrfachen Mordversuchen entrinnt.

Ästheten wird dies zwar nicht überzeugen. Aber Gäste und Touristen in der Stadt werden sich daran ergötzen. Und sie werden verstehen, warum so viele Lohrer mit dem neuen Markenzeichen der Stadt unterwegs sind: dem Kassenschlager Horrorwittchen als Autoaufkleber, T-Shirt-Aufdruck, auf der Kaffeetasse oder der Unterhose.

Der geniale Geistesblitz des damals 17-jährigen Valentin Lude, ein unscheinbares Graffito, sorgte für die Wende: Die aufgeheizte Stimmung in der Kleinstadt hatte plötzlich ein Ventil. Angestauter Unmut entlud sich. Der Groll über einen scheinbar missglückten Kunstwettbewerb und ein unverstandenes Kunstwerk schrumpfte zusehends.

Die Lohrer fühlten sich plötzlich verstanden und trugen's fortan mit Humor, mittlerweile sogar mit einem gewissen Stolz. Nicht alle, aber so mancher. Die misslungene Ausschreibung, das ungeliebte Kunstwerk wurde zum Marketing-Erfolg. Ein Glücksfall für Lohr.

Ein geballter Medienauflauf, mehr als 500 Zuschauer, Beifall beim Aufstellen, Schulterklopfen beim Künstler, die ersten Selfies . . . – Schneewittchen ist angekommen, wo es hingehört. Kinder waren die ersten, die es in Beschlag genommen und im wahrsten Sinne des Wortes begriffen haben. Und Fremdenführer werden noch Jahrzehnte zu erzählen haben . . .

 
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Kommentare
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  • ra.kellermann@gmx.de
    jeder kann seine Kunst (oder was er dafür hält) überall zeigen. Aber wenn eine Kommune über 100 T EUR für so einen -sind wir (jaja "kunstungebildetes Volk"- geschenkt) doch mal ehrlich- Schrott rauswirft ist es einfach ärgerlich...
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