Stadtpfarrer Jakob Günter war im sozialen Bereich engagiert, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Mit 28 Dienstjahren von 1844 bis 1872 ist er der am längsten amtierende Stadtpfarrer der vergangenen 200 Jahre. 1869 ernannten ihn die Lohrer zum Ehrenbürger. Heimatforscher Gerd Walter hat am Dienstag in der Alten Turnhalle über sein Leben und Wirken berichtet.
Zu der Gemeinschaftsveranstaltung von Volkshochschule (Vhs) und Geschichts- und Museumsverein (GMV) waren rund 25 Personen gekommen. Es sei Tradition geworden, dass die Vortragssaison eines Semesters mit einer GMV-Veranstaltung beginne und ende, meinte Vhs-Leiterin Susanne Duckstein. Pfarrer Günter gehöre zu den "unbekannten Bekannten", man habe von ihnen schon einmal gehört, wisse aber nicht genau, was sie gemacht hätten.
Nach Walters Angaben hatte Lohr in den vergangenen 200 Jahren 14 Stadtpfarrer, von denen nur zwei Lohr vor der Pensionierung beziehungsweise dem Tod verlassen hätten. "Da muss doch die Lohrer Bevölkerung recht angenehm gewesen sein." Anlässe für den Vortrag seien der 150. Todestag Günters und der 200. Jahrestag seiner Priesterweihe.
Kirchenakten verbrannt
Eine kirchliche Personalakte über den Stadtpfarrer gebe es nicht mehr, sie sei beim Bombenangriff auf Würzburg 1945 verbrannt. Fündig wurde Walter im Staatsarchiv Würzburg in Akten der Regierung von Unterfranken. Denn nach dem Konkordat von 1818 zwischen dem Königreich Bayern und dem Heiligen Stuhl hatte der König und nicht der Bischof das Ernennungsrecht für den Klerus.
So musste sich Günter, geboren 1799 in Zellingen, nach Priesterweihe 1822, drei Kaplanstellen und zwei Pfarrerstellen in Massenbuch und Rieneck beim Staat für die 1844 ausgeschriebene Lohrer Pfarrerstelle bewerben. Das Schreiben ist erhalten. Die Bewerbung begründete der Geistliche mit der "Gelegenheit zur Befriedigung der Lebensverhältnisse", die das "Städtchen Lohr" biete, und den "höheren Erträgnissen der Pfarrei".
Diese wolle er aber nicht für sich verwenden, sondern er habe dann "mehr Mittel zur Unterstützung gemeinnütziger Anstalten und zur Beförderung des Menschenwohles". Dass das keine leeren Worte waren, bewies der Pfarrer nach seinem Amtsantritt. Denn während seiner Amtszeit tat sich in Lohr einiges: 1844 wurde das alte Spital abgerissen und durch einen Neubau an gleicher Stelle ersetzt, 1867 die Präparandenschule (untere Stufe der Volksschullehrerausbildung) errichtet und 1870 das neue Krankenhaus eingeweiht.
Franziskanerinnen nach Lohr geholt
Für die Kinderbetreuung und Bildung holte Günter die Dillinger Franziskanerinnen nach Lohr, von denen die ersten 1855 eintrafen. Sie eröffneten einen Kindergarten, damals noch "Kinderverwahranstalt" genannt, und kümmerten sich um die Mädchenbildung, zunächst für die 1. bis 4. Klasse. Dann entstand das Frauenkloster am heutigen Omnibusbahnhof mit Mittel- und Oberschule.
Zudem berief der Stadtpfarrer die Niederbronner Schwestern für die Krankenpflege ins Spital, die bis 1866 blieben und von den Würzburger Erlöserschwestern abgelöst wurden. Als er 25 Jahre in Lohr war, ernannte ihn die dankbare Stadt 1869 zum Ehrenbürger wegen seiner Verdienste um Kirche, Gemeinde und Schule. Am 2. November 1872 starb der Stadtpfarrer im Amt. Für die Nachfolge in der "wohldotierten Pfarrei Lohr" gab es gleich sieben Bewerber.
Was Jakob Günter für die Schulbildung und die Krankenpflege getan hat, hat nach Walters Worten 100 Jahre lang nachgewirkt. Den Schulbetrieb stellten die Franziskanerinnen erst in den 1960er-Jahren ein. Nach den Worten des stellvertretenden GMV-Vorsitzenden Josef Harth war Günter ein bedeutender Mann, der viel für Jugend und Kranke getan habe. Dass er Schwestern für die Kinderbetreuung, Mädchenbildung und Krankenpflege nach Lohr geholt habe, könne gar nicht hoch genug bewertet werden. Zudem habe er den ehemaligen Gasthof "Rose" erworben, der nach und nach zum 1976 geschlossenen Frauenkloster ausgebaut worden sei (heute Bosch Rexroth).
Eines der ältesten Fotos
Von Pfarrer Günter gibt es ein Foto, das ihn in einem langen, schwarzen Gewand zeigt. Dabei handle es sich um eine der ältesten fotografischen Aufnahmen, die in Lohr gemacht wurden, ließ Karl Anderlohr, langjähriger Vorsitzender des Geschichts- und Museumsvereins, im Gespräch mit unserem Medienhaus durchblicken. Urheberin war wahrscheinlich die Firma Schubert & Berning.