Im Moment hat der Spielwarenhandel seine ruhigste Phase. Nach dem Weihnachtstrubel können auch Barbara und Paul Bauer, die den Spielwarenladen am Gemündener Marktplatz betreiben durchschnaufen – und in Ruhe eine Erkältung auskurieren. Immer nach Weihnachten, wenn Stress und Anspannung plötzlich von ihm abfallen, wird der gebürtige Hofstettener Paul Bauer krank. Traditionen wollen gepflegt werden. Andere erleben das ärgerliche Phänomen, wenn sie im wohlverdienten Urlaub erst einmal eine Erkältung mit sich herumschleppen. Schniefend und mit Schal steht Bauer nun inmitten seines Reichs. Aber ohne Weihnachtsgeschäft geht es kaum: Dann macht der Spielwarenhandel gut ein Viertel seines Umsatzes.
Seit Jahrzehnten bekommen Kinder große Augen, wenn sie das Gemündener Traditionsgeschäft betreten. Der Laden hat schon viele Trends kommen und gehen sehen. Kampfkreisel etwa, vor einigen Jahren der Hit bei Kindern, sind schon wieder völlig out. Aktuell begeistern sich die Kinder mehr für bewegliche Dinosaurierfiguren, die schreien, für Star-Wars-Sammelkarten oder für geflügelte Pferde aus dem Elfenland. Es gibt aber auch noch die guten alten Klassiker wie Teddys, Schlumpffiguren und Tretautos, Mikado, „Mensch ärgere Dich nicht“ und Kniffel. Auch die Barbie strahlt wie eh und je in ewiger Jugend.
Ein Klassiker, den Barbara Bauer, die das Geschäft von ihren Eltern übernommen hat, noch aus ihrer Kindheit kennt, ist ein grinsender Stehaufclown, der „Grinse-Clown“, wie sie ihn nennt. Manche fürchteten sich aber ein bisschen vor ihm. Die 58-Jährige kennt viele ihrer Kunden noch von früher, als diese selbst noch Kind waren. Wenn sie heutige Spielsachen anschaut, sagt sie: „Es ist einfach Wahnsinn, was sich da getan hat.“ Das fängt schon bei den Kleinsten an. Während es früher Greiflinge und Rasseln gab, haben die Sachen heute viele Details, sind aus Holz, Stoff und Kunststoff zugleich, rasseln, quietschen, vibrieren und knistern. Auch eine mögliche Belastung mit Giftstoffen spielt für Eltern heute eine Rolle.
Angefangen hat alles schon vor dem Krieg – mit selbst geflochtenen Korbwaren der Großeltern von Barbara Bauer. Nachdem der Laden im Krieg ausgebombt wurde, ging der Verkauf zunächst aus einer Holzbude heraus weiter. In den Fünfzigern gab es neben Korbwaren und Teppichklopfern dann auch schon Puppen und Bälle, Schaukelpferde und Puppenwagen. Ein Bild aus den Sechzigern zeigt die kleine Barbara Meder auf einem Kinderrad vor dem Laden. Im Schaufenster stehen gute alte „Scheesen“, also Kinderwagen und Buggys. Damals war nur der vordere Teil des Ladens genutzt – dafür aber jeder Quadratzentimeter. Erst nach dem Umbau 1989 vergrößerten sich die Platzverhältnisse um einen weiteren Raum.
Einmal im Jahr fahren die Bauers für einen Tag auf die Spielwarenmesse nach Nürnberg. Im Moment findet das große Schaulaufen der Spielzeugindustrie wieder statt. Verrückte Sachen gebe es dort, erzählt Barbara Bauer. Und: „Bei allem ist die Vielfalt so groß geworden.“ Statt einem Memory gibt es heute zig verschiedene. Statt einfacher Legosteine gibt es heute ganze Themenwelten aus den kleinen Steinen. Da ist es gut, sich vor Ort auf der Messe die neuesten Waren und Trends einmal aus der Nähe anzuschauen. Aber bestellt wird meistens erst hinterher in Ruhe.
Die Bauers laufen nicht jedem Trend hinterher. „Wir kaufen nicht nur nach Werbung ein“, sagt Paul Bauer, 61. Ihr Geschäft zeichne „eine gewisse Beständigkeit“ aus. Oft seien Kunden überrascht, wenn sie in den Laden kommen. „Was, das habt ihr noch da?“ Die Bauers wirken ganz froh, dass sie nicht in einer Großstadt sind, wo sich das Rad noch schneller dreht. Aber auch so stehen sie oft genug ratlos da, wenn ein Kind, von Freunden oder übers Fernsehen angesteckt, nach diesem oder jenem fragt.
Was offenbar kein Kind mehr will, zumindest im Moment nicht, sind Modellbausätze. Früher, erzählt Paul Bauer, hätten sie ein ganzes Regal voller Bausätze gehabt, heute hingegen nur noch ein Eck – und das dazu mit großem Rabatt. Höchstens noch Erwachsene kauften Modellbausätze. Den freien Platz füllen ferngesteuerte Helikopter und Quadrocopter. Was noch gut gehe, seien Farben für Bausätze. Das klingt paradox, aber Bauer vermutet, dass Modellbausätze heute eher im Internet bestellt werden – und einzelne Farben, die die Käufer zusätzlich bräuchten, würden durch die Versandkosten im Internet zu teuer und folglich im Geschäft vor Ort geholt.
Ja, auch das Gemündener Spielwarengeschäft bekommt die Konkurrenz durch das Internet zu spüren. Hinzu kommt natürlich, dass kinderreiche Familien eine Seltenheit geworden sind. Dafür bekommen die Kinder aber mehr als früher gekauft. Da kommt schon mal ein Knirps in der Hose eines Arbeitsbekleidungshändlers in den Laden und gibt an, dass er etwa die elektrische Kindermotorsäge unbedingt braucht oder den neuesten Claas-Modellmähdrescher. In Gemünden können die Kleinen ein Spielzeug noch aus der Nähe sehen und es berühren, bevor sie es gekauft bekommen – und die Eltern erhalten eine Beratung.