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LANGENPROZELTEN
Spessartwasser treibt Züge an
Pumpspeicherkraftwerk: Die Generalüberholung der Langenprozeltener Anlage kostet 56 Millionen Euro. Obwohl nichts kaputt ist.
Blick in die Tiefe: Einer der beiden Generatoren bekommt neue Blechpakete. Jeweils drei Arbeiter legen zigtausende dünne Platten von Hand im Schichtbetrieb auf.
| Blick in die Tiefe: Einer der beiden Generatoren bekommt neue Blechpakete. Jeweils drei Arbeiter legen zigtausende dünne Platten von Hand im Schichtbetrieb auf.
Michael Fillies
Michael Fillies
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:41 Uhr

Ebbe und Flut wie am Atlantik gibt es auch im Sindersbachtal, dort allerdings künstlich erzeugt. Wenn von 6 bis 9 Uhr und nochmals von 16 bis 19 Uhr fast 32 000 Liter Wasser (etwa 210 Badewannenfüllungen) je Sekunde vom Ober- ins Unterbecken des Pumpspeicherkraftwerks schießen, steigt der Wasserspiegel um zwölf Meter. Wird nachts von 23 bis 6 Uhr zurückgepumpt, fällt er wieder. Die gewaltige Anlage mit drei künstlichen Seen zwischen Ruppertshütten und Langenprozelten ist Deutschlands wichtigstes Spitzenlastkraftwerk für Bahnstrom.

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1971 bis 1976 gebaut, erzeugt das Kraftwerk am Tag 950 000 Kilowattstunden, genug für 60 Züge. Es dient als Batterie: Mit überschüssigem Nachtstrom wird das Wasser ins Oberbecken auf der Sohlhöhe (534 Meter) gepumpt; zu den Hauptverkehrszeiten der Deutschen Bahn treibt es aus 310 Metern Fallhöhe die Pumpturbinen mit den beiden Generatoren zur Stromerzeugung an: mit je 84 200 Kilowatt die stärksten Wasserkraft-Einphasen-Motor-Generatoren der Welt.

1,4 Millionen Kubikmeter Wasser – das entspricht dem 28-fachen Inhalt des Sindersbachsees (Rückhaltebecken am Unterlauf des Bachs) – strömen seit 40 Jahren auf diese Weise Tag für Tag zweimal durch den 1,3 Kilometer langen Druckstollen zwischen Ober- und Unterbecken (236 Meter Höhe). Damit das so bleibt, steht die Anlage seit Ende Mai zum ersten Mal still, bleibt alles Wasser im Oberbecken auf der Sohlhöhe. Die Eigentümerin, die Donau-Wasserkraft AG (DWK), hat eine 56 Millionen Euro teure Generalüberholung angesetzt, obwohl die Verschleißzeit der Maschinen und Bauteile noch längst nicht abgelaufen sei, wie das Unternehmen erklärt.

Abfräsen, reinigen, asphaltieren: Seit Ende Mai erneuern 30 Arbeiter zum ersten Mal nach 40 Jahren komplett die Asphaltabdichtung des Unterbeckens des Pumpspeicherkraftwerks Langenprozelten. An der Basis fand sich nur eine kleine Schadstelle. In der Zone des Wasserspiegels entstehen durch Frost immer wieder Risse, die jetzt ebenfalls behoben werden. Ende August sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.
Foto: Theresa Müller (6) Johannes Ungemach (1) | Abfräsen, reinigen, asphaltieren: Seit Ende Mai erneuern 30 Arbeiter zum ersten Mal nach 40 Jahren komplett die Asphaltabdichtung des Unterbeckens des Pumpspeicherkraftwerks Langenprozelten.

Eine reine Vorsichtsmaßnahme aufgrund der Bedeutung des Kraftwerks für die Deutsche Bahn: Ein ungeplanter Ausfall soll nicht riskiert werden, sagen die Pressesprecher Jan Kiver (Rhein-Main-Donau AG, RMD) und Theodoros Reumschüssel (E.ON). Die DWK ist eine reine Finanzierungsgesellschaft, die zu 99,25 Prozent der RMD gehört. E.ON ist zu 0,75 Prozent beteiligt und hat seit 1996 die Betriebsführung.

163 Grad heiß: Mit fast 13 000 Tonnen Asphalt wird das Unterbecken ausgekleidet. Die Maschinen hängen an Stahlseilen.
| 163 Grad heiß: Mit fast 13 000 Tonnen Asphalt wird das Unterbecken ausgekleidet. Die Maschinen hängen an Stahlseilen.

Seit über 100 Jahren ist die Bahn fast durchgängig auf das Wasser aus dem Sindersbachtal angewiesen: einst (wegen des geringen Kalkgehalts) für die Dampflokomotiven am Bahnhof Gemünden, seit 1976 als Energiespeicher. Wann immer bundesweit im Bahnverkehr Strombedarfsspitzen auftreten, springt das Langenprozeltener Pumpspeicherkraftwerk ein. Binnen 20 Sekunden stehe die Gesamtleistung an, sagt Jan Kiver. So schnell reagiert kein anderes Kraftwerk, auch kein Gaskraftwerk. Und auch der Wirkungsgrad von knapp unter 80 Prozent sei weit höher als der jedes anderen Stromspeichers. Bis zu 200 Millionen Kilowattstunden Spitzenstrom liefert Langenprozelten im Jahr. Damit könnte ein ICE 330 Mal die Erde umrunden.

Derzeit müsse die Bahn den Spitzenlaststrom teuer zukaufen, bestätigen die Pressesprecher. Deswegen soll das Werk im Sindersbachtal möglichst schnell wieder ans Netz. Das Oberbecken auf der Sohlhöhe hat die DWK vor einigen Jahren neu auskleiden lassen, bis Ende August erhält nun das Unterbecken eine neue Asphaltbeschichtung für sechs Millionen Euro.

Made in Austria: Die Generatoren (hier Blechpakete) erneuert die Firma Andritz.
| Made in Austria: Die Generatoren (hier Blechpakete) erneuert die Firma Andritz.

Dann kann die Stromerzeugung wieder beginnen mit den 1,4 Millionen Kubikmetern aus dem Oberbecken. Bis zum Jahresende werden die restlichen 400 000 Kubikmeter der Gesamtfüllmenge auf natürliche Weise aus Regenwasser zufließen. Der Sindersbach, der im Sommer nahezu trocken fällt, muss nicht angegriffen werden; auch nicht der vom Bach durchströmte Sindersbachsee, der als Rückhaltebecken angelegt wurde und seither als Erholungsanlage dient.

In den kommenden zweieinhalb Jahren wird das Pumpspeicherkraftwerk allerdings nur mit halber Kraft gefahren, denn die DWK tauscht sicherheitshalber nacheinander die beiden Generatoren mit ihren 245 Tonnen schweren Rotoren aus, ersetzt die Laufräder (drei Meter Durchmesser) der Turbinen und unterzieht diese sowie den Druckstollen und die Absperrschieber einer Generalrevision, was fast 50 Millionen Euro kosten wird.

Derzeit wird in Spezialwerken die acht Meter lange und 93 Tonnen schwere Stahlwelle des ersten Maschinensatzes gefertigt – aus einem 160 Tonnen schweren Stahlblock der Saarschmiede GmbH Völklingen. Die Generalaufträge für die Generatoren und Turbinen haben die Andritz AG in Graz bzw. Voith in Heidenheim. Sie sind mit 40 Mitarbeitern im Einsatz. Dazu kommt die zwölfköpfige Kraftwerksmannschaft von Betriebsleiter Dieter Weißenberger.

Spezialanfertigungen: Auch alle Steuerungselemente werden erneuert.
| Spezialanfertigungen: Auch alle Steuerungselemente werden erneuert.
Unkaputtbar: Das nostalgische Wählscheibentelefon muss nicht ersetzt werden.
| Unkaputtbar: Das nostalgische Wählscheibentelefon muss nicht ersetzt werden.
 
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