Das Fest am Geschworenentisch ist legendär, und die Fraktion ist nicht nur in der Ortspolitik eine feste Größe: Der SPD-Ortsverein Zellingen feierte seinen 100. Geburtstag mit einem Festakt und einem Familienfest.
Im Ankerbiergarten konnte Jürgen Keller als Vorsitzender des Ortsvereins natürlich viele SPD-Politiker vom unterfränkischen SPD-Vorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Bernd Rützel bis zum Landtagskandidaten Sven Gottschalk begrüßen. Auch die Bürgermeister der VG-Gemeinden, viele Vertreter von Ortsvereinen und Politiker anderer Parteien gaben der „guten alten Tante SPD“ die Ehre. Besonders freute ihn aber, dass er Nürnbergs Oberbürgermeister, Ulrich Maly, als Festredner gewinnen konnte. Neben der Politik teile er mit ihm die Leidenschaft für den „Club“.
Ulrich Maly, der auch Vorsitzender des Bayerischen Städtetages war und Vizevorsitzender des Deutschen Städtetages ist, kündigte keine klassische Rede an und stellte die Ereignisse von Chemnitz an den Anfang. Seine Bürgermeisterkollegin Barbara Ludwig habe ihm gesagt, sie verstehe nach Jahren, in denen Chemnitz eine gute Entwicklung nahm und zur bunten Stadt wurde, die Welt nicht mehr. Verwundert sei sie nicht über die organisierten Rechtsextremen, sondern über die vielen Einwohner, die mitliefen und blieben, als Hände zum Hitlergruß erhoben wurden.
In Deutschland entwickle sich laut Umfragen Angst. „Ernst nehmen, verstehen, Abhilfe schaffen“ – habe Helmut Schmidt einst zum Umgang mit Ängsten gesagt. Manches sei schon auf dem Weg, etwa beim Wohnungsbau. Anderes müsse kommen, etwa Vermögens- und Erbschaftssteuer für mehr Gerechtigkeit. Dazu Internetgiganten wie Google zu besteuern, etwa über den Umsatz statt den Gewinn. Die Umverteilung von unten nach oben werde aber nicht unbedingt wertgeschätzt.
Bei 50 Prozent Wahlbeteiligung, so Maly, müsse man sich auch fragen, ob man Politik für die Wähler oder die Nichtwähler macht. Der bayerische Landtagswahlkampfs sei zur Zeit aber auch eine Art Umverteilung – Ministerpräsident Markus Söder verteile großzügig Geld, was im „reichen Bundesland“ möglich sei.
„Wir haben in unserer Geschichte viele Menschen integriert, da werden uns 900 000 Flüchtlinge keine Probleme machen“, sagte Ulrich Maly zur Flüchtlingsfrage. Ähnlich wie einst bei den Ostverträgen oder Auslandseinsätzen der Bundeswehr werde man das in zehn Jahren gelassener sehen. Allerdings sei ein Grenzmanagement zu wenig, denn es ändere nichts an der Sehnsucht von Menschen nach Deutschland.
Angesichts des Jubiläums in Zellingen bezeichnete der Festredner die SPD als „herrlich konservativ“. Allerdings müsse die in der industriellen Arbeitswelt groß gewordene älteste Partei Deutschlands auch in der Digitalisierung ankommen. Sie werde das schaffen, denn ihre Kompetenz liege auch in der Diskussion. Bei Zellingen zeigte er sich beeindruckt vom Ortsvereinsgründer Leo Röder. Dessen Spitzname „Demokraten Leo“ würde auch gut zu einem Preis passen. „Das werden wir diskutieren“, sagte dazu Jürgen Keller, als er zum Dank ein Weinpräsident überreichte.
Zur Geschichte des Ortsvereines gab es nicht nur große Bild- und Texttafeln im Gebäude des Biergartens. Sie wurde auch in einem von den beiden Juso-Mitgliedern Luca und Noah Gerlich moderierten Gespräch dargestellt. Sofie Rothaug ging auf die Zeit zwischen 1918 und dem Verbot ab 1933 ein und sogar auf die über 100 Jahre zurückliegende Verringerung der Wochenarbeitszeit in der Industrie von 70 auf 45 Arbeitsstunden.
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit bis zu zwei Millionen Flüchtlingen in Deutschland beleuchtete der frühere Gemeinderat Dieter Reuchlein. Für Zellingen ging er auf die Investition in Baugebiete und in den Kindergarten St. Georg zwichen 1960 und 1970 ein. Danach kam ab 1973 die Gebietsreform. Doch auch die drei SPD-Kanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder fehlten nicht.
„Die Partei braucht die Fähigkeit, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren und einen Kompass“, sagte Jürgen Keller abschließend zur Gegenwart und Zukunft. Mit der Mittagsbetreuung, dem Jugendzentrum, Ferienbetreuung und dem Familienstützpunkt habe die SPD-Fraktion im Ort schon viel erreicht. Nicht zu vergessen sei auch, dass das einstige Zellinger Gründungsmotto „Nie wieder Krieg“ in Deutschland sei über 70 Jahren gelebte Realität sei.
In Grußworten gratulierten dem SPD-Ortsverein die Bundestagsabgeordneten Bernd Rützel aus Schaippach und Alexander Hoffmann (CSU) aus Retzbach, Harald Schneider (SPD) als stellvertretender Landrat, Zellingens Bürgermeister Wieland Gsell (Grüne), der dafür eigens lange gebuchten Urlaub verschob, Landtagskandidat Sven Gottschalk und für die Gemeinderatsfraktion der Freien Wähler die Vorsitzende Andreas Heßdörfer.
Zum Ende des klassischen Teils bat Jürgen Keller alle Sozialdemokraten auf die Bühne, um klassisch und gemeinsam die Parteihymne „Brüder zur Sonne zur Freiheit“ zu singen.
