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Gemünden/Würzburg
SPD-Bezirkschef Rützel: "Erbschaftssteuer viel zu niedrig"
Mehr Streit in der SPD fordert Bezirkschef Bernd Rützel. Im Interview plädiert er für höhere Steuern für Reiche und Bodenspekulanten. Personell setzt er auf alte Bekannte.
Engagierter Streiter für die Sozialdemokratie: Bernd Rützel, Chef der Unterfranken-SPD, beim Redaktionsbesuch in Würzburg
Foto: Patty Varasano | Engagierter Streiter für die Sozialdemokratie: Bernd Rützel, Chef der Unterfranken-SPD, beim Redaktionsbesuch in Würzburg
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 02.04.2019 14:13 Uhr

Die Bayern-SPD hat bei der Landtagswahl über die Hälfte der Stimmen verloren. Nur noch 9,7 Prozent sind geblieben, die Partei stellt im Landtag nur noch die fünftgrößte Fraktion. Bei einem Landesparteitag Ende Januar im mittelfränkischen Bad Windsheim wollen die Genossen das Debakel aufarbeiten, auch die Neuwahl der Spitze steht an. Derweil warnen 29 prominente bayerische Sozialdemokraten in einem "Positionspapier" ihre Parteifreunde davor, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Zu den Unterzeichnern gehört auch der unterfränkische SPD-Vorsitzende Bernd Rützel (50). Im Interview wünscht sich der Bundestagsabgeordnete seine Partei wieder lauter und streitlustiger.      

Frage: Herr Rützel, Sie vermissen eine umfassende Wahlanalyse, heißt es in Ihrem Positionspapier. Gibt es die mittlerweile?

Bernd Rützel: Wir haben auf allen Ebenen, vom Landesvorstand bis zum Ortsverein, intensivst diskutiert.

Was lief falsch?

Rützel: Wenn sich das so einfach beschreiben ließe, wären wir weiter. Ich glaube, wir müssen genauer in die Themen rein.

"Die Menschen erwarten sehr konkrete Antworten – und auch beim Thema Flucht und Asyl."
Bernd Rützel, Chef der Unterfranken-SPD

Das heißt?

Rützel: Nur mit Überschriften gewinnt man keinen Blumentopf. Haltung ist wichtig, wird aber sowieso erwartet. Wir müssen die Themen genauer und gezielter besprechen, egal ob es um die Ausstattung der Schulen geht, die Mieten oder die Luftreinhaltung in den Städten, die medizinische Versorgung oder den ÖPNV auf dem Land. Da erwarten die Menschen sehr konkrete Antworten – und auch beim Thema Flucht und Asyl.

Sie schreiben, es habe ein Thema gefehlt, mit dem man die Menschen hätte begeistern können. Haben Sie denn eines?

Rützel: Mein Thema ist der Sozialstaat. Wir brauchen viel stärker noch einen fürsorgenden Sozialstaat. Es gibt Tausende Angebote. Aber wenn man konkret Hilfe braucht, findet man diese häufig nicht. Ich habe das selbst erlebt. Mein Vater ist 2018 gestorben. Danach gab es viel zu regeln. Da habe auch ich mir schwer getan, bei all der Bürokratie durchzublicken und die vielen Fragebögen richtig auszufüllen. Wir brauchen mehr Ansprechpartner zur Unterstützung und Hilfe im täglichen Leben.

Im Zusammenhang mit dem Thema Wohnen und Mieten ist in dem Papier von einer Bodenwertzuwachssteuer, ja gar von einer Bodenreform die Rede. Das klingt nach alten Kampfbegriffen.

Rützel: Bauland ist vor allem in den Ballungsräumen kostbar und knapp geworden. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie hier spekuliert wird. Wer von Wertzuwächsen profitiert, der soll mehr als bisher zum Gemeinwohl beitragen. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die auf dem Kapitalmarkt ihr Geld verdienen, weniger Steuern zahlen als diejenigen, die von ihrer Hände Arbeit leben.

Also braucht es auch eine höhere Erbschaftssteuer und wieder eine Vermögenssteuer?

Rützel: Selbstverständlich. Die Erbschaftssteuer ist viel zu niedrig. Eins ist klar: Niemand geht Ihnen an den Geldbeutel, wenn sie das Haus ihrer Oma erben, das 100 000 oder 200 000 Euro wert ist. Es geht darum, Menschen, die Millionen erben, zig Millionen oder gar Milliarden, stärker in die Pflicht zu nehmen. Ich gönne so ein Erbe einem jeden. Aber es ist ein Geschenk, für das man selbst keinen Finger krumm gemacht hat. Da darf man auch einen ordentlichen Beitrag für die Allgemeinheit leisten.

Hartz IV ist auch wieder ein großes Thema in der SPD. Viele Genossen wollen die Regelungen wieder abschaffen. Sie auch?

Rützel: Nein. Hartz IV gehört nicht abgeschafft. Alle Hartz-Reformen waren dringend notwendig, nach 16 Jahren Reformstau, der Aussitzerei unter Helmut Kohl. Aber die Zeit ist nicht stehen geblieben, wir brauchen Korrekturen.

Wo?

Rützel: Ein großer Fehler war von Anfang an, dass ein langjähriger Beschäftigter, ein 55-Jähriger etwa, der arbeitslos wird, nach anderthalb Jahren Arbeitslosengeld in Hartz IV landet, also auf der gleichen Stufe wie jemand, der nie gearbeitet hat. Das geht nicht, das ist ungerecht. Hier brauchen wir eine längere Dauer für den Bezug des Arbeitslosengelds.

Braucht es mehr Streit in der SPD?

Rützel: Ja, unbedingt. Niemand will, dass wir uns die Köpfe einschlagen und jeder gegen jeden geht. Aber wir brauchen einen Streit um die besten Ideen, um die besten Lösungen. Es reicht nicht, mal eben per Twitter 140 Zeichen rauszuhauen und die Welt damit zu erklären und Punkt und Basta. Wir brauchen eine andere Diskussionskultur. Wenn Sie das Streit nennen, ist das in Ordnung.

Bernd Rützel im Gespräch mit Redakteur Michael Czygan.
Foto: Patty Varasano | Bernd Rützel im Gespräch mit Redakteur Michael Czygan.

Muss die SPD raus aus der GroKo?

Rützel: Nein. Warum auch? Wir haben nicht nur in der letzten Legislaturperiode, sondern auch in der laufenden viel erreicht und viel umgesetzt. Denken Sie an die abschlagsfreie Rente nach 45 Berufsjahren, denken Sie an den Mindestlohn, denken Sie an den sozialen Arbeitsmarkt, den wir geschaffen haben für Menschen, die sonst keine Chance haben. Wir haben das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit durchgesetzt, wir entlasten 45 Millionen Arbeitnehmer um jährlich über neun Milliarden Euro bei den Krankenkassenbeiträgen durch Wiederherstellung der Parität. Das sind nur einige Punkte, die die SPD durchgesetzt hat. Da bin ich stolz drauf, das motiviert mich. Ich bin in die Politik gegangen, um zu gestalten, nicht um zuzuschauen.

Aber es zahlt sich nicht in Wählerstimmen aus.

Rützel: Ja, das macht mir Sorgen. Aber deshalb den Kopf in den Sand stecken? Das wäre falsch. Es ist mühsam und langwierig, deutlich zu machen, wofür die SPD steht, was wir durchgesetzt haben. Im Moment sind wir ziemlich unten, aber ich bin zuversichtlich, dass es auch wieder bessere Zeiten gibt.

"Ich würde begrüßen, wenn sich Martin Schulz und Sigmar Gabriel wieder mehr in vorderster Reihe einbringen könnten."
Bernd Rützel, Bundestagsabgeordneter aus Gemünden

"Erneuerung läuft auch über Gesichter", heißt es in ihrem Positionspapier. Wer soll denn den Job des oder der Vorsitzenden machen?

Rützel: Sie meinen jetzt in Bayern? Oder im Bund?

Beides. Natascha Kohnen schien doch eigentlich schon der perfekte Gegenentwurf zu Markus Söder zu sein. Warum hat es nicht geklappt? War sie zu brav?

Rützel: Natascha Kohnen hat hohe Beliebtheitswerte. Alle, die sie erlebt haben, haben gesagt, die Frau gefällt uns. Da ist eine, die hört zu, die klärt auf. Dass der Erfolg nicht kam, kann man nicht allein der Vorsitzenden zuschreiben. Man gewinnt und verliert zusammen. Ja, vielleicht war sie auch zu brav. Etwas lauter, etwas deutlicher werden, das ist das Gebot der Stunde. Aber Natascha Kohnen und ihr Team sind schon die Richtigen auch für die Zukunft an der Spitze. Darüber hinaus brauchen wir auf allen politischen Ebenen gute und engagierte Mitstreiter. Das können sowohl neue unverbrauchte Köpfe als auch erfahrene sein. Auf Bundesebene würde ich begrüßen, wenn sich beispielsweise Martin Schulz und Sigmar Gabriel wieder mehr in vorderster Reihe einbringen könnten.

Andrea Nahles wird das nicht so gerne hören. Und jetzt hat sich auch noch Olaf Scholz als Kanzlerkandidat ins Gespräch gebracht. Wer ist der Richtige?

Rützel: Andrea Nahles hat als Arbeitsministerin einen exzellenten Job gemacht. Es ist nicht einfach, Fraktion und Partei zu führen, aber wir sind mit ihr zukunftsfähig aufgestellt. Olaf Scholz ist ein sehr solider Finanzminister. Die Frage, ob er der richtige Kanzlerkandidat ist, stellt sich jetzt überhaupt nicht. Die nächste Wahl ist 2021. Wenn es soweit ist, werden wir das entscheiden. Am besten per Mitgliederentscheid.

Bernd Rützel
Der gelernte Maschinenschlosser ist seit 1992 Mitglied der SPD, seit 2008 gehört er dem Stadtrat seiner Heimatstadt Gemünden (Lkr. Main-Spessart) an. 2013 wurde der 50-Jährige erstmals in den Bundestag gewählt.  Dort gehört der Gewerkschafter dem Ausschuss für Arbeit und Soziales an. Seit Juli 2014 ist Bernd Rützel Vorsitzender der Unterfranken-SPD. 
 
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Kommentare
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  • G. J.
    Hat nicht die SPD 2004 die Besteuerung der betrieblichen Altersversicherung, Lebensversicherungen usw. beschlossen? Ich denke doch ja Herr Rützel. Seit 2004 geht es mit Ihrer Partei immer weiter bergab. Den Nullpunkt wird sie auch noch erreichen.
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    Wenn man ausrechnet wie oft man die alten Omas und Opas durch die Gegend fahren muss zum Einkaufen, Arzt, Verwandtenbesuche, Märkte und wie oft man sonst noch Arbeiten für sie verrichtet hat dann ist das Erbe nicht einmal ein Bruchteil des Mindestlohnes.
    Zu behaupten dass man nichts dafür gearbeitet hat ist fern ab von jeglicher Realität, so fern wie die SPD vom Wahlsieg.
    Die einzigen die ohne einen Finger krum zu machen auf kosten anderer leben sind Politiker und Asylanten.
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  • G. J.
    Wie wahr !
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  • H. S.
    "Die Menschen erwarten sehr konkrete Antworten – und auch beim Thema Flucht und Asyl." Und welche Antworten hat Herr Rützel nun zum Thema Asyl? Offensichtlich keine! Dafür ist Herr Rützel sehr kreativ wenns drum geht neue Einnahmequellen zu erschließen. Das ist auch nötig, schließlich konnte die SPD ja noch nie mit Geld umgehen. Die CSU sagt: Leistung muß sich lohnen, die SPD sagt: Leistung muß sich lohnen, und zwar für den Staat!
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  • W. M.
    SPD, hör` die Signale! Es ist Dein letztes Gefecht! Mit dieser Politik gehörste der Katz`, und zwar zu Recht!
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    C'est la lutte finale
    Groupons-nous, et demain,
    L'Internationale,
    Sera le genre humain.…...
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  • B. L.
    Dieser Vorschlag Erbschaftssteuer zu erhöhen kann nur von der S P D kommen. Kein Wunder, dass die Partei in Richtung 5% geht. Entfernte Verwandte zahlen jetzt schon 30% Erbschaftssteuer. Dem Staat gehörte keinen Cent vom Erbe.
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    DerHerr gibts.der Herr nimmt’s. 30% für jene die ihren Hintern nicht bewegt haben ist besser als jene, die ihr Leben lang mit ihrer Hände Arbeit (manche nutzen auch den Kopf dazu) ihr Brot hart verdient doppelt zu besteuern.
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  • U. L.
    Völker, hört die Signale! SPD heißt: Immer noch 19. Jahrhundert. Höhere Erbschaftssteuer? Herr Rützel vergisst, dass das aus seiner Sicht höher zu besteuernde Erbe bereits versteuert wurde. Aber immer feste drauf, auf die Fleißigen. So lange, bis es sich nicht mehr lohnt, sich zu motivieren. Dann treten alle einen Schritt kürzer, verdienen weniger und die SPD erhält das Prekariat, welches sie zum Überleben benötigt.
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    Geerbt wird meist ohne eigenes Zutun. Heute schon sind die Freibeträge so hoch, dass kaum ein Normalbürger Erbschaftssteuer zahlen muss.
    Die Renten, die fast jeder Normalbürger bezieht werden doppelt besteuert. Das soll einer verstehen.
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  • S. S.
    Wo werden denn reguläre Renten, die fast jeder bezieht, doppelt besteuert?
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  • T. B.
    Sehr geehrter Herr Rützel, es gibt auch bei Parteien einen Point of no Return von dem ab sich das Schicksal nicht mehr abwenden lässt, so sehr man sich auch degegen wehrt. Ihr einstiges Klientel, die alte Mittelklasse, bestehend aus Facharbeitern, Frauen und Männern, die mit ihrem Gesellenbrief einen ordentlichen Job fanden, ein Häuschen bauten, Kinder bekamen, angesehen waren: Stahlkocher, Facharbeiter, Handwerker, die gibt es kaum noch. Sie haben Ihr neues Klientel nicht erkannt, welches politisch viel breiter aufgestellt ist und zwischenzeitlich ihre Heimat bei den anderen Parteien gefunden haben. Herr Rützel, die SPD hat keinerlei Wiedererkennungswert, nichts was klassische Themen einer Partei ausmacht. Den Garaus aber haben Ihre Vorsitzenden zu verantworten. Ob Steinmeier, Gabriel, Kanzlerkandidat Schulz und zu guter Letzt Frau Nahles. Alles Menschen ohne Charisma und Ausstrahlung. Ihre Partei wird in den kommenden Jahren politisch kein Gewicht mehr haben, und das zu Recht.
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    Bezüglich ungerechte Erbschafts- und Vermögenssteuer hat er Recht. Aber da es auch die betrifft, die eine Steuererhöh7ng ohne Schlupflöcher entscheiden müssten, ist das eher scheinheilig. Das gilt wohl Parteien übergreifend. Für die Superreichen gibt es sowieso immer Möglichkeiten....das läuft dann so im Ergebnis wie mit der Unternehmensbesteuerung.
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