Blick über den Bauernhof, mit Feldern und Strohballen, in der Ferne die Kirchen und Häuser: Vom Waldrand oberhalb der Steintaler Höfe, über dem Lohrtal, scheint Lohr eine Stadt aus dem Bilderbuch. Zweimal am Tag kommt Jörg Thamm dort auf dem Rad vorbei. Morgens auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz im Bezirkskrankenhaus und abends auf dem Heimweg.
Seit drei Jahren fährt er die rund 15 Kilometer einfach zwischen Frammersbach und Lohr mit dem Rad, bei Sonnenschein, Wind und Regen. 4000 bis 5000 Kilometer kommen so im Jahr zusammen. Seine Erfahrung: "Man fühlt sich einfach besser."
Für Thamm ist das morgendliche Radfahren eine willkommene Möglichkeit, Sport und Arbeit zu verbinden. "Man ist an der frischen Luft und hat sich schon bewegt, wenn man zur Arbeit kommt." Mit dem Rad brauche er zehn bis 15 Minuten länger als mit dem Auto, aber die Zeit im Auto sei verschenkt. Morgens fahre er eher gemächlich: "Ich habe ja den Tag noch vor mir." Abends ist die Rückfahrt Gelegenheit, sich auszupowern. "Das macht schon Spaß."
Sachen am Abend bereitlegen
Sein Tipp für Menschen, die das tägliche Radfahren einmal ausprobieren möchten: "Das Wetter im Blick haben und am Abend die passenden Sachen für den nächsten Tag bereit legen." Sonst sei man versucht, ins Auto zu steigen statt Regenkleidung zu suchen. Morgens geht sein Blick zunächst aufs Thermometer, außerdem schaut er, ob es regnet. "Nach dem ersten Winter konnte ich ganz gut einschätzen, was ich brauche."
Inzwischen sitzt Thamm mit passender Funktionskleidung auf dem Rad. Das brauche man aber nicht unbedingt. "Angefangen habe ich mit einer Wanderhose und einem T-Shirt." Mit der Zeit zeige sich, dass Radtrikots mit den passenden Taschen schon nützlich sind. Wichtig sei vor allem ein ordentlicher, wasserdichter Rucksack.
Die Kuppe oberhalb der Steinthaler Höfe ist für ihn ein besonderer Punkt. Oft bewundert er hier den Sonnenaufgang und das Morgenrot über Lohr. Dann freut er sich über die Abfahrt runter ins Tal. Die Stelle hat aber auch symbolischen Charakter, denn die Schotterpiste zur Farbenfabrik Rote Mühle ist der Teil der Strecke, der Überwindung kostet. "Dieser Abschnitt hält viele vom Radfahren ab", weiß er von Bekannten. Auch für ihn sei das Stück lange ein Hindernis gewesen. "Wenn man es mal zwei Wochen gemacht hat, gewöhnt man sich dran."
Etwa zehn andere Personen pendeln zeitgleich
Trotzdem: Ein durchgehender Radweg wäre ein großes Plus, auch für ihn. Momentan hat er zwei Räder im Einsatz, ein Gravelbike im Sommer, ein Mountainbike im Winter. "Beim Gravelbike ist die Reifenfreiheit zu gering, das würde sich mit dem Schlamm zusetzen", erklärt er. Mit dem Mountainbike ist das kein Problem, dafür kommt er etwas langsamer voran. Auf einer vollständig ausgebauten Route wäre auch ein Rennrad eine Option. Manche machen das schon jetzt, beobachtet Thamm. Sie wechseln für das Stück zwischen Farbenmühle und Lohr auf die Bundesstraße.
Die meisten Radler fahren aber über die empfohlene Strecke an den Steinthaler Höfen. Nicht nur Thamm kommt zum Gespräch dort vorbei, vor ihm fährt ein älterer Mann auf einem ganz normalen Straßenrad den Berg hinauf, später eine Frau auf einem E-Bike mit Geländereifen. Etwa zehn andere pendeln zu den gleichen Zeiten wie er, schätzt Thamm. "Das sind immer die gleichen." Freizeitradler und Schüler haben einen anderen Rhythmus.
Kilometer zählen für das Team
An seinem Arbeitsplatz im Bezirkskrankenhaus kann Jörg Thamm sich umziehen und duschen. Das ist praktisch, aber nicht zwingend notwendig. "Man kann ja steuern, wie schnell man fährt und ob man dann eine Dusche braucht", erklärt er. Problematisch kann allerdings der Schlamm der nicht ausgebauten Strecke sein, besonders im Sommer, wenn nicht die lange Hose, sondern die nackten Beine dreckig sind. "Der Schlamm macht alles schwierig."
Sorge wegen der Abgelegenheit des Weges hat Thamm nicht. Im Winter fährt er Hin und Zurück im Dunklen. "Ich habe noch nie komische Gestalten gesehen, ich habe da keinerlei Bedenken." Sein Rad ist ausgerüstet mit einer akkubetriebenen Lampe, so viel Licht brauche man gar nicht.
Zum ersten Mal beteiligt sich Jörg Thamm in diesem Jahr an der Aktion Stadtradeln, bei der es darum geht, in einem Zeitraum von drei Wochen möglichst viele Radkilometer zu sammeln. Mit 30 anderen zählt er zum Team des BKH Lohr. Beim Altstadtlauf hatte die Klinik in diesem Jahr die größte Mannschaft gestellt. Das wird beim Stadtradeln wohl nicht gelingen. Vorne liegt aktuell die Realschule Karlstadt mit 140 Teilnehmern. Bei den geradelten Kilometern kann das BKH aber vielleicht punkten – auch dank Thamms täglicher Strecke.