Auf der eigenen Website zu schreiben, dass man die Zuhörer mit „experimentellen Kompositionen verstören“ möchte, verwundert im ersten Moment. Doch bei der Veranstaltungsreihe „Musik in historischen Höfen“ bewiesen die Sängerin Birgit Süß und der Bassist Klaus Ratzek als Duo „Bassion“, dass dahinter tatsächlich ein musikalisches Konzept steckt.
Im Schatten des Bootshauses des Karlstadter Ruder-Clubs, dessen Grundstock schon 1931 erbaut wurde, lauschten die Zuhörer bei sommerlichen Temperaturen einer Mischung aus Jazz-Musik, deutschen Chorliedern und französischen Chansons. Der Clou dabei jedoch war, dass keines der Lieder wie das Original gespielt wurde. Im Gegenteil: Die vielen musikalischen, teils verfremdeten Adaptionen bekannter Werke waren das Alleinstellungsmerkmal des Duos.
Den Charakter des Liedes treffen
So seien die beiden Musiker, laut Birgit Süß, immer auf der Suche nach neuen Melodien, die ans Herz gehen. Beim Umschreiben und Einstudieren sei ausschlaggebend, dass die Inhalte des Liedes dem Zuhörer über den Klang vermittelt werden. „Es ist schwer in einer Zweierbesetzung eine dichte Konzertatmosphäre zu schaffen. Gerade als Duo muss man den Charakter eines Liedes erkennen und im Anschluss bewusst auf das Wesentliche reduzieren“, ergänzt Klaus Ratzek.
Im Verlauf des Abends widmeten sich die beiden vielen musikalischen Genres und gaben dabei jedem Werk einen individuellen, erfrischenden Charakter. So bekamen die Zuhörer das bekannte deutsche Chorlied „Auf einem Baum ein Kuckuck“ in einer äußerst originellen Fassung zu hören. Die Idee eine „Loop Station“ zu nutzen, die in Sequenzen den eigenen Gesang oder den Bass aufnimmt und im Anschluss teils mehrfach überlagert abspielt, amüsierte das Publikum.
Ihre ausdrucksstarke Stimme, die besonders in den Höhen brillierte, konnte Birgit Süß bei jazzigen Melodien wie „Dat dere“ und „Save you love“ unter Beweis stellen. Egal ob Kontrabass, Tuba oder bundloser E-Bass – Klaus Ratzek sorgte mit vielfältigem Instrumenteneinsatz für Abwechslung. Als Duo zeichnet die beiden in erster Linie ihr harmonisches Zusammenspiel aus, was sich besonders im „Call and Response“, einer Jazz-Technik, bei der auf den Ruf eines Vorsängers direkt eine Antwort folgt, zeigt.
Verschiedene Elemente, wie die kurzweiligen, sympathischen Zwischenmoderationen, das schaurig wirkende musikalische Spiel auf einer Säge oder spontane Jazz-Improvisationen, zeigten, welches musikalische Verständnis Birgit Süß und Klaus Ratzek mitbringen.
Leider beschränkte sich das Duo überwiegend auf ruhige Melodien mit teils sehr dramatischen Inhalten. In Anbetracht des fast dreistündigen Auftritts hätten mehr schwungvollere und heitere Lieder nicht geschadet, um doch teils recht langatmige Konzertpassagen zu vermeiden.
Den Eindruck, dass man mit dem Duo „Bassion“ neue Akzente setzen wollte, bestätigte Kornelia Winkler, Referentin für Presse, Kultur und Touristik der Stadt Karlstadt und Organisatorin der Veranstaltungsreihe. „Nach über 27 Jahren, in denen ,Musik in historischen Häuern und Höfen' schon stattfindet, versucht man natürlich immer wieder neue Wege einzuschlagen. So wollen wir noch stärker die Ortsteile mit einbinden und neben Klassik auch zunehmend moderne Musik und Jazz anbieten“, erklärt sie.
Auch als Kabarettistin bekannt
Das Konzept scheint aufzugehen: Alle drei Veranstaltungen, das Duo „Bassion“ im Karlstadter Ruder-Club, der Auftritt der zwei Musikstudenten Anton Mangold und Chen Shen am Samstag in Heßlar und das Konzert der Band „Silk Street“ im Karlstadter Anwesen der Familie Kaufmann, waren zum Auftakt beinahe ausverkauft.
Mit Birgit Süß entschied sich die Stadt Karlstadt unter der Federführung von Kornelia Winkler für eine Sängerin, die im Verlauf ihres Musikerlebens schon beinahe jedem musikalischen Genre begegnet ist. „Mit Gospel und Punk-Rock würde ich heute wahrscheinlich nicht mehr auftreten, aber Metal-Musik finde ich immer noch toll“, scherzt Süß. Eine starke Leidenschaft hat sie für den Jazz und französische Chansons entwickelt. Heute ist sie in der Region auch als Kabarettistin bekannt.
Von der Tuba zum Kontrabass
Musikalisch begleitet wird sie von einem Vollblutmusiker und gelerntem Sozialpädagogen. Klaus Ratzek stammt ursprünglich aus einer schwäbischen Musikerfamilie und wurde, wie er selbst auf seiner Website schreibt, „schon als kleines Kind zur Tuba gezwungen“. Sein Faible für den Kontrabass führte ihn schließlich zum Jazz. „Ich bin ein Musiker, der versucht, Grenzen aufzureißen“, betont Ratzek. Tatsächlich hat er in der Vergangenheit viel mit Musik experimentiert, egal ob er als Liedschreiber für Musiktheater tätig war, sich am Free-Jazz oder der teils verstörend wirkenden Zwölftonmusik probierte.
Sein persönlicher Anspruch: „Egal was man macht, der Sound ist entscheidend“, spiegelte sich auch beim Konzert in Karlstadt wider. Der direkte Sound seiner vielen Instrumente in Kombination mit Süß ausdrucksstarker Stimme, der lauen Sommernacht und der entsprechenden Lichttechnik schaffte eine dichte Atmosphäre.