
Eine im Jubiläumsjahr des 90-jährigen Bestehens veröffentlichte Festschrift erlaubt einen Einblick in die Vergangenheit und Gegenwart der Gemeinnützigen Baugenossenschaft „Heimstättenwerk“ in Marktheidenfeld. Der frühere Geschäftsführer Erwin Müller und der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Leonhard Scherg, haben dazu Bilder und Dokumente zusammengetragen und ausgewertet.
Das Genossenschaftswesen entwickelte sich in Deutschland ab Mitte des 19. Jahrhundert. Arbeiter und Handwerker begannen, ihr Erspartes zusammenzulegen, um sich künftig als Wohneigentümer nach dem gemeinsamen Bau von Häusern und Wohnungen sozial sicherer fühlen zu können.
Nach den wirtschaftlich schwierigen Jahrzehnt von 1914 bis 1923 fanden sich in Marktheidenfeld 57 sozial orientierte und engagierte Männer bereit, eine gemeinnützige Baugenossenschaft zu gründen. Dies geschah am 12. März 1924 im Gasthaus „Krone“ unter Leitung des damaligen Bürgermeisters Michael Wehr.
Rechtsanwalt Ludwig Feineis stand nur kurz an der Spitze der am 1. Mai 1924 ins Register eingetragenen Baugenossenschaft Marktheidenfeld. Bis dahin war bereits Oberlehrer Leonhard Vogt als Vorstandsvorsitzender berufen worden. Schon 1925 folgte ihm Bezirksbaumwart Jakob Hettinger, der das Amt bis zu seinem Tod 1945 innehatte.
Ziel der Genossenschaft war die Errichtung einfacher Einfamilienwohnhäuser als Bauträger zur Behebung der Wohnungsnot. So entstanden vor allem in der Kreuzbergstraße und ihren Nebenstraßen 26 Wohnhäuser. Das älteste Mietswohnhaus (Adenauerplatz 6) des heutigen Heimstättenwerks war schon 1922 als „Beamtenwohnhaus“ am damaligen „Viehmarkt“ vom Bezirk (Landkreis) Marktheidenfeld errichtet worden. Dort befindet sich heute die Geschäftsstelle der Baugenossenschaft. Das Gebäude wurde aber erst 1951 vom Heimstättenwerk erworben.
Wenige Dokumente sind aus der Frühzeit erhalten und während der nationalsozialistischen Diktatur war die Handlungsfreiheit der Genossenschaft sicher eingeschränkt, obwohl deren Wohnbauprogramm von den damaligen Machthabern weiterverfolgt wurde. Zu einer 1944 offiziell vorgesehenen Liquidation der Baugenossenschaft kam es aber nicht.
Günstige Mietwohnungen
Mit der Währungsreform im Juni 1948 nahm die Baugenossenschaft unter dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied Valentin Lambinus ihre Tätigkeit wieder auf. Etwa gleichzeitig gründete sich eine „Heimstättensiedlergemeinschaft“ in Marktheidenfeld, die bald schon „Heimstättenwerk“ genannt wurde. Dazu hatte Landrat Leo Baunach aufgerufen. Sofort nahm man die Bautätigkeit auf. Im Hintergrund schwelte offenbar auch ein Streit darüber, ob man genossenschaftlich lieber für günstige Mietwohnungen oder für billiges Wohneigentum sorgen wollte.
Bald schon wuchs wohl die Einsicht, dass zwei Genossenschaften nicht zielführend sein würden, um die große Wohnungsnot, die vor allem durch die Ankunft der Heimatvertriebenen entstanden war, entscheidend zu lindern. Im Oktober des Jahres 1949 erfolgte der Zusammenschluss der alten Baugenossenschaft mit der neuen Heimstättensiedlergemeinschaft zur „Gemeinnützigen Baugenossenschaft Heimstättenwerk e. G.“.
An die Spitze des Vorstands trat mit Dr. Robert von Golitschek ein Mann, der sich bis 1970 im mutigen Zusammenwirken zunächst mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Landrat Leo Baunach, sehr um den Wohnungsbau im Gebiet des damaligen Landkreises Marktheidenfeld verdient machen sollte. 1950 wurden in der Lehmgrubener Straße und in der Ringstraße in Marktheidenfeld die ersten drei Mietshäuser fertiggestellt. Bis 1963 sollten jährlich weitere Wohnungsanlagen in der Stadt und in einigen Gemeinden des Landkreises folgen.
Das Heimstättenwerk wuchs zu einem stattlichen Wohnbauunternehmen und prägt bis heute beispielsweise mit den großen Wohnanlagen am Adenauerplatz (1952), in der Eltertstraße (1953/54) oder in der Gradlstraße (1960-62) das Stadtbild Marktheidenfelds. Aber auch als Bauträger wurde das Heimstättenwerk erneut tätig und betreute von 1952 bis 1970 den Bau von 126 Eigenheimen mit 193 Wohnungen in der Stadt und im damaligen Landkreis.
1968, 1971 und 1982 übernahm man die Verwaltung von drei größeren Wohneigentümergemeinschaften. Vor 25 Jahren sollten die Wende in der DDR und der Zuzug von Spätaussiedlern mit Hilfe staatlicher Fördermittel nochmals zum Neubau von zwei Mietwohnungsanlagen an der Eichholzstraße (1990) und am Geschwister-Scholl-Ring (1997) führen.
Seitdem widmet sich das Heimstättenwerk mit Millioneninvestitionen der Modernisierung und energetischen Sanierung seiner gegenwärtig rund 300 Wohnungen in 48 Häusern. Dazu hat man sich auch von einigen Wohnanlagen in Umlandgemeinden getrennt, die teilweise nicht mehr zum heutigen Landkreis Main-Spessart gehören.
Die Prinzipien des genossenschaftlichen Denkens wie Selbsthilfe, Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Selbstverantwortung bleiben auch nach 90 Jahren eine Verpflichtung für den heutigen Vorstand und Aufsichtsrat des Heimstättenwerks.
Interessierte können sich ein Exemplar der 40-seitigen Festschrift zum 90-jährigen Jubiläum des Heimstättenwerks in der Geschäftsstelle (Adenauerplatz 6) in Marktheidenfeld abholen.


