
Was macht Mann montags? Der eine verbringt einen Fernsehabend mit seiner Frau, der andere geht vielleicht zum Kegeln, Kartenspielen oder in die Sauna. Reinhold Weber geht ins Rathaus. Keine Stadtratssitzung lässt der Gemündener aus. Von 18.30 bis zum Ende des öffentlichen Teils spätestens um 22 Uhr folgt er den Beratungen der Politiker als Zuhörer – meist als einziger außer den Presseleuten. Generell und mit Blick auf die Kommunalwahl am 16. März 2014 empfiehlt Reinhold Weber seinen Mitbürgern: „Man sollte öfters mal eine ganze Sitzung erleben.“
Zum treuesten Stadtratszuhörer wurde der 68-Jährige vor drei Jahren; kommunalpolitisch interessiert ist er schon seit Beginn der 1990er Jahre. Durch Betroffenheit: Damals gab es Pläne, in Webers Wohnviertel den Bebauungsplan zu ändern, um dem Hotel „Atlantis“ eine Erweiterung und Tennisplätze zu ermöglichen. Dann vor drei Jahren rückte die Scherenberghalle in Webers direkter Nachbarschaft in den Fokus. Mit der Zeit aber „wurde aus Betroffenheit Interesse“, sagt Reinhold Weber. „Ich lass' kaum eine Sitzung aus.“ Auch keine Ausschusssitzung, denn „da kriegt man mit, welche Fäden gesponnen werden“.
Was kriegt man denn als Zuhörer überhaupt von der Stadtpolitik mit? „Erst war ich neugierig, wie etwas abläuft; jetzt habe ich eine Ahnung davon“, antwortet der 68-Jährige. Am Stammtisch sei es leicht zu sagen, der Stadtrat sollte mal . . ., der Stadtrat müsste nur . . . Die Realität ist komplexer, schwieriger. „Früher dachte ich, der Stadtrat hätte mehr Macht. Heute weiß ich, er muss sich nach dem Bürgermeister richten und nach der Bayerischen Kommunalgesetzgebung. Wenn ein Bürgermeister nicht will, kann ihn der Stadtrat nicht zwingen.“
Weit interessanter aber ist für Reinhold Weber, im 24-köpfigen Stadtrat das Zusammenwirken zu beobachten: „Das ist ein wahnsinniges unheimliches Spannungsfeld!“ In einer Gemeinschaft müsse der Einzelne anders denken und agieren, um alle „einzufangen“. Dazu kommen die jeweiligen Interessen der Ratsmitglieder, die der ständige Beobachter mit der Zeit kennenlernt. Mit Blick auf die Kommunalwahl sagt Weber: „Ich habe durch die Besuche der Sitzungen den großen Vorteil, dass ich die Leute einzuschätzen weiß.“
Eine wesentliche Erkenntnis seiner Montagssitzungen ist: „Wer die Strukturen kennt, weiß, dass man als Bürger in der Stadt nur mit gutem Willen kaum etwas erreichen kann, sondern den dornigen Weg über Anwälte oder Gerichte gehen muss.“ Die Strukturen in einer öffentlichen Verwaltung – sie sind ein Quell steter Verwunderung für den gelernten Maschinenschlosser, der über 40 Jahre bei Bosch-Rexroth in Lohr mit Projekten, zuletzt als Fachreferent, betraut war.
Was er immer wieder im Rathaus vermisst, ist eine Matrix-Organisation, nach der Leute verschiedener Abteilungen mit Zielvorgabe in Projektgruppen unter einer Leitung zusammenarbeiten. Dass Vorhaben wegen Krankheit oder Urlaubs eines einzelnen Mitarbeiters einfach liegen bleiben, könne es dann nicht mehr geben. Desgleichen verwundert Weber das politische Vorgehen: Zunächst fasse der Stadtrat einen Grundsatzbeschluss über eine Maßnahme – danach erst werde beraten, wie sie ausgeführt und finanziert werden soll. „Damit laufen die Stadträte in die eigene Falle, denn es fehlt eine Projektierung der verschiedenen Möglichkeiten, und sie tappen von einem Loch ins nächste.“ Ein aktuelles Beispiel dafür sei die Mainbrücke.
Bei den Beispielen Hallenbad und Fußgängerbrücken fragt sich der Beobachter, warum es in der Stadtverwaltung keinen Verantwortlichen gibt, der darauf achtet, dass der Besitzstand der Stadt in Schuss gehalten wird. „Warum lässt man alles erst verrotten?“ Diese Kritik überschneidet sich mit einer weiteren – der Information des Stadtrats als dem Beschlussorgan. Da der Bayerische Bürgermeister als Chef der Verwaltung einen Informationsvorsprung oder sogar ein Informationsmonopol hat, liegt es an ihm, ob der Stadtrat umfassend informiert ist. Wobei Reinhold Weber einschränkt, es gebe sicher auch Stadtratsmitglieder, die nur bis zur nächsten Wahl denken.
Des Weiteren wäre er dafür, die Bürger in Entscheidungsprozesse einzubinden, auch wenn das nach der Gemeindeordnung nicht vorgesehen ist, beispielsweise bei den Verbesserungsbeiträgen die gleichnamige Bürgerinitiative als Interessenvertretung der Hausbesitzer.
Ein Problem sei menschlich: „Große Beträge werden im Stadtrat durchgewunken“, hat der 68-Jährige festgestellt, „über kleine Beträge wie seinerzeit für die Sonnenrollos im Bürgermeisterzimmer wird gestritten.“ Weil man zu großen Summen wie für die Mainbrücke keinen Bezug habe; „bei einem kleinen Betrag, der überschaubar ist, habe ich Vergleichsmöglichkeiten, ob das teuer ist oder nicht“.
„Besonderen Respekt“ zollt Reinhold Weber den Stadträten nicht. „Ich habe vor jedem Menschen Respekt. Wer sich als Stadtrat zur Verfügung stellt, muss wissen, was auf ihn zukommt. Als Stadtrat muss man auch etwas bringen.“ Deswegen beneide er keinen um dieses Ehrenamt, bedaure aber auch niemanden. Da die Parteien und Wählergruppierungen zurzeit die Kandidatenlisten aufstellen, sagt der Gemündener: „Wenn jemand sein Wissen in die Kommunalpolitik einbringen kann, möge er das bitte tun! Nur: Leute, die nur ihre Hand (zur Abstimmung) heben und sonst ruhig sind, können wir in Gemünden nicht gebrauchen.“
Reinhold Weber wird auch weiterhin die Sitzungen besuchen und empfiehlt dies auch anderen. „Ich finde es schade, dass die Leute nur bei Beratung ihrer eigenen Probleme zu Sitzungen kommen, und finde es fast ungehörig, dass sie nach dem Tagesordnungspunkt gleich gehen.“ Natürlich könnte die Verwaltung es potenziellen Gästen leichter machen, indem die öffentlichen Sitzungsunterlagen, die auch die Presse erhält, beispielsweise auf der städtischen Internetseite vorab veröffentlicht werden.
In der Zeitung informiert sich Weber zusätzlich über den Stadtrat. „Ohne meine Heimatzeitung gibt es kein Frühstück.“ Zwischen den Presseberichten und dem eigenen Erleben gebe es keine Diskrepanzen. Manches Mal können die Berichterstatter einen Sachverhalt besser erklären, als man es in der Sitzung erfahre. Dafür könne die Zeitung „das nicht so rüber bringen“, was Weber an den Gemündener Stadtratssitzungen besonders schätzt: Stimmung und Atmosphäre.