Saupurzel: Das klingt, ehrlich gesagt, nicht nach einer Hochburg des wilden, ausschweifenden Rock'n'Roll. Trotzdem hat sich am Karlstadter Hausberg im vergangenen Vierteljahrhundert ein Livemusikfestival etabliert. 1993 ging's mit einem Ein-Tages-Festival mit vier Bands und einer Handvoll ehrenamtlicher Helfer los, heuer steigt von 21. bis 23. Juli das 25. Umsonst & Draußen mit 25 Bands, 250 Helfern und einem Budget, das 50 000 Euro übersteigt.
Drei, die das Spektakel seit 1993 entscheidend geprägt haben, trafen sich in der Main-Post-Redaktion, um sich an die Anfänge des Festivals sowie Höhe- und Tiefpunkte zu erinnern und einen Ausblick auf die Jubiläumsausgabe zu geben: Michael Kralik (54), Initiator des ersten Festivals, Julian Eichler (37), ab Mitte der 90er bis 2010 Hauptverantwortlicher, und Martin Maier (38), heute Vorsitzender des veranstaltenden Vereins „Troja“. Weil alle drei eher Macher als Chronisten sind, blieben im Gespräch viele Jahreszahlen im Ungefähren.
Einig aber sind sich alle, dass sie nur „kleine Rädchen im Phänomen U&D“ sind, dass es vermessen wäre, sich als aktueller oder früherer „Chef“ zu deklarieren. Michael Kralik sagt: „Interessanterweise ähneln die Strukturen nach 25 Jahren immer noch denen der Anfänge.“ Er meint: Es gibt Organisatoren und viele Helfer – alle arbeiten ehrenamtlich. Aber die Dimensionen haben sich deutlich verändert.
1992 übernahm Michael Kralik den Vorsitz des Vereins für Jugendarbeit „Troja“ bei und veranstaltete einige Konzerte im von der Stadt zur Verfügung gestellten Brückenturm. Die Idee, ein Umsonst & Draußen-Festival in Karlstadt zu veranstalten, stieß bei der Stadt auf Interesse; der Wunsch, dies auf der Karlsburg zu tun, jedoch auf wenig Gegenliebe. Also spielten Else Admire, Schleifstein, The Yours and The Loonatics auf dem nicht lange zuvor errichteten Grillplatz und Naherholungsgebiet am Saupurzel.
„Sowas wie Else Admire hatten viele Karlstadter noch nicht gesehen“, erinnert sich Kralik. Der singende Metzgerssohn aus Breitengüßbach trat mit Bademantel und Gitarre auf die Bühne und spielte Fun-Punk. Wer dabei war, erinnert sich heute noch an Textzeilen wie: „Meine süße Metzgereiverkäuferin – als ich sie gesehen habe, war's um mich geschehen.“ Kralik konstatiert: „Das verstörte einige Gäste.“ Er selbst hielt mit Else Admire noch 20 Jahre lang E-Mail-Kontakt.
„Die Strukturen ähneln nach 25 Jahren immer noch denen der Anfangsjahre.“
Insgesamt war das Festival mit rund 500 Besuchern so erfolgreich, dass es im Jahr darauf eine Neuauflage gab. In den Anfangsjahren wurde viel experimentiert und improvisiert. Die Verstärkeranlage wurde von Bands aus der Umgebung geliehen, Strom kam aus Generatoren und auf dem Gelände standen genau zwei Verkaufsbuden: an der einen gab's Bier und Cola, an der anderen Bratwurst. Der finanzielle Spielraum war klein, die Begeisterung groß. Die ersten Versuche, das Festival auf zwei Tage auszudehnen, schlugen fehl. 1996 und '97 fuhr das U&D jeweils 3000 Euro Verlust ein, die Fortsetzung stand auf der Kippe.
Doch der Enthusiasmus der Troja-Mitglieder und die Unterstützung der Stadt ermöglichten die Fortsetzung. 1999 spielte das Festival ein Plus von 2000 Euro ein. Der Ruf des Spektakels am Saupurzel war trotzdem nicht der beste. „Viele Karlstadter dachten: Da draußen sind die Kiffer und machen Lärm“, erinnert sich Julian Eichler. In einem Jahr habe die Polizei praktisch jeden Besucher und jedes Auto, das in der Nähe war, auf Drogen gefilzt. „Ich musste Benzin für die Generatoren besorgen“, erzählt Eichler. „Als ich zurückkam, haben die Polizisten in jeden Kanister reingeschaut.“ Den U&D-Machern wurde klar, dass sie etwas tun mussten, um die Akzeptanz ihrer Arbeit zu verbessern.
Der damalige Landrat Armin Grein erklärte sich bereit, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Ebenso wie Bayern-3-Wetterfee Ines Maria Weiß schrieb er ein Grußwort fürs Programmheft. Außerdem wurde der Sonntag gezielt zu einem Familientag aufgebaut mit Gottesdienst, Mittagessen, Kinderprogramm und massenverträglicher Musik. So etablierte sich das Karlstadter Umsonst & Draußen.
Mit Verbreitung des Internets bewarben sich auch immer mehr Bands; dank guter Kontakte in die Szene spielten bekannte Künstler zum Freundschaftspreis: Bananafishbones und Die Allergie, der Schweinfurter Ausnahmegitarrist Ron Spielman gleich mehrfach.
Im Stapel der Bewerbungen gingen allerdings auch einige Perlen unter. „Vor ihrem Durchbruch schickten uns Juli ein Demo mit der Ur-Version des späteren Hits ,Die perfekte Welle'“, erzählt Julian Eichler. „Einige Jahre später versuchte ich, sie zu verpflichten und rief die Nummer an, die auf der alten Bewerbung stand. Es war die Privatnummer der Sängerin. Sie fragte wütend, wo ich die herhätte.“ „Juli“ kamen nicht an den Saupurzel. Aber Boppin' B., die Waikiki Beach Bombers und immer mehr Sponsoren. Das Ganze wurde professioneller. Vorbei waren die Zeiten, als die örtlichen Metzgereien bei der Bestellung von 1000 Bratwürsten um einen Bürgen baten, weil sie einen Streich befürchteten.
Die „5 Bugs“, Glam-Rocker aus München, dachten, wenn sie schon bei einem großen Rockfestival spielen, müssten sie sich auch (un-)anständig daneben benehmen. Sie randalierten in ihrem Zimmer in der „Mainpromenade“ und wurden dort rausgeworfen. Erst nach vielen Jahren traute sich Martin Maier wieder, bei den Hotelbesitzern anzufragen, ob sie eine U&D-Band beherbergen würden.
Auch die Auflage von 2008 zählt nicht zu den Höhepunkten der Festival-Geschichte. Aus verschiedenen Gründen (Sturz der Sängerin von einem Pferd, Stau bei der Anfahrt) sagten acht von zehn Bands ab, viele kurzfristig, wenige Stunden vor dem Auftritt. Die Veranstalter improvisierten und riefen viele, viele Musiker und Bands zwischen Schweinfurt, Würzburg und Aschaffenburg an. Eichler erinnert sich lachend: „In dem Jahr stand jeder auf der Bühne, der ein Instrument halten konnte.“ Zu einem Running Gag im U&D-Team wurde der Ausfall von „Transmitter“. Noch heute amüsieren sich laut Eichler und Maier die Veteranen im Orga-Team mit Funksprüchen wie „Transmitter müssten in zehn Minuten eintreffen.“
Denn, das ist klar, obwohl Organisation und Aufbau des Festivals viel Arbeit machen, bereitet das Erlebnis auch große Freude. „Wenn wir keinen Spaß hätten, wären wir alle nicht Jahr für Jahr dabei“, sagt Maier. „Es gibt schon ein besonderes Gemeinschaftsgefühl, so eine große Veranstaltung gemeinsam zu stemmen.“ Aus aller Welt kommen mittlerweile die Helfer – dank einer „Gesellschaft für internationale Begegnungen“. Gemeinnützige Veranstaltungen können auf der Webseite der Organisation ihr Projekt vorstellen und um Hilfe bitten. Interessierte müssen ihre Anreise selbst zahlen, bekommen aber vor Ort Kost und Logis gestellt und erhalten eine Aufwandsentschädigung. „Da sind schon tolle Freundschaften zu den immer wiederkehrenden internationalen Helfern entstanden“, sagt Maier. Aber Missverständnisse habe es auch gegeben, wirft Eichler ein. Eine Asiatin sei nur mit Kleidchen und Flip-Flops aufgetaucht – nicht die richtige Kleidung für die körperlich anstrengende Arbeit eines Bühnen-Aufbaus bei großer Hitze auf Schotterboden.
Immerhin, die Infrastruktur am Saupurzel hat sich verbessert: Die Stadt hat die nutzbare Fläche erweitert und die Zeit der Generatoren ist vorbei. Für die 14 Tage rund um das Festival legt die Energie eine etwa 400 Meter lange Stromleitung aus einem Wohngebiet, auch Festnetz-Telefon und Wasser gibt's. Zur Jubiläumsauflage soll sogar ein W-Lan-Punkt am Saupurzel eingerichtet werden. Mit J.B.O. haben die U&D-Macher einen Publikumsmagneten für den Freitagabend gewonnen und das Familienprogramm aufgewertet. „Für die Kinder gibt's nun viel Platz und mit Ponyreiten, Karussell, Bungee und mehr eine Reihe von Attraktionen“, sagt Maier.
Obwohl Julian Eichler schon als Zwölfjähriger erstmals beim Karlstadter U&D war, zählt nicht das Karussell zu seinen liebsten Erinnerungen. Sein musikalischer Höhepunkt in 25 Jahren war der Auftritt der deutschen World Music Combo „Embryo“. „Die waren total verstrahlt“, erinnert sich Eichler. „Einige der Musiker mussten während des Konzerts eine, äh, Raucherpause einlegen.“
Zu Michael Kraliks Favoriten der Festivalgeschichte zählt die SHG Crew, eine Drum'n'Bass-Gruppe aus Lohr, die schon häufig auf der Garagenbühne aufgetreten ist. „Da kann man zwei Stunden lang durchtanzen“, so Kralik. Martin Maier erinnert sich gern an den ersten Auftritt der Emil Bulls. „Es war rappelvoll und die haben tierisch gerockt. Ich war damals für die Bierversorgung zuständig und hatte wahnsinnig viel zu tun.“
Die drei freuen sich schon auf die Jubiläumsauflage. Nicht nur wegen der Musik. Auch Backstage sei die Stimmung gut, sagen Maier und Kralik mit einem Grinsen. Doch darüber wird nichts verraten. Eichler sagt nur: „Was am Berg passiert, bleibt am Berg.“