Mit einer Sonderausstellung noch bis zum 3. Oktober 2020 informiert das Lohrer Schulmuseum seine Besucher über die Schulbildung in der DDR, deren oberstes Ziel „die Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ war.
Auf welche Weise die DDR-Ideologen dieses Ziel erreichen wollten, wird in der Ausstellung dargestellt, wobei vor allem in den Schulbüchern auch deutlich wird, dass in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, also der Zeit allgemeiner Entspannungsbemühungen, der ideologische Druck auf das Schulwesen verstärkt wurde und wesentlicher sowie selbstverständlicher Bestandteil aller Unterrichtsfächer war.
„Gemeinsam stehen sie auf Friedenswacht“
Bei einem Vergleich von DDR-Schulfibeln für das erste Schuljahr aus Jahren 1970 und 1976 kann man nahezu eine Verdoppelung ideologischer Themen feststellen, wobei mehr und mehr der militärische Schutz des Vaterlandes als ein notwendiges Instrument der Friedenssicherung und des Schutzes gegen den kapitalistischen Klassenfeind betont wird. So heißt es zum Beispiel 1986 unter dem Titel „Gemeinsam stehen sie auf Friedenswacht“: "Die Soldaten unserer NVA schützen gemeinsam mit den Soldaten der anderen sozialistischen Länder den Frieden. Sie üben mit den gleichen Waffen und lernen voneinander. Sie sind Waffenbrüder. Die besten Schützen werden ausgezeichnet: Karel, Igor, Klaus. Alle freuen sich darüber. Sie feiern gemeinsam, sie singen, tanzen und musizieren.“
Die Fächer Geographie und Geschichte sollten vor allem die Liebe der Schüler zu ihrem sozialistischen Vaterland festigen und die Freundschaft sowie die internationalistische Verbundenheit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern stärken, zudem noch "die Solidarität mit allen für Frieden und sozialen Fortschritt Kämpfenden“.
Wehrkunde als Pflichtfach für die Klassen 9 und 10
1978 wurde das Fach Wehrkunde als Pflichtfach für die Klassen neun und zehn eingeführt und spätestens mit dem Wehrdienstgesetz vom 25. März 1982 war die Vorbereitung auf den Wehrdienst obligater Bestandteil der zentral organisierten Bildung und Erziehung an den Schulen der DDR.
In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) sollten die Jugendlichen auf die Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes vorbereitet werden. Dazu gehörten auch die wehrsportlichen Veranstaltungen wie der „Touristische Mehrkampf“ oder der „Hans-Beimler-Wettkampf“ mit Disziplinen wie Hindernislauf, Handgranatenwurf, Luftgewehrschießen und Hangeln.
Entsprechend wurde in den Liederbüchern der Schule der DDR-Staat als ein zu beschützendes Vaterland besungen („Ich weiß ein schönes Land“). Andere Lieder betonten den Friedensgedanken und warben unter dem Stichwort „Friedenssicherung“ („Den Krieg zu verhindern sei unser Sieg“) um Sympathie für die NVA-Soldaten, zum Teil allerdings mit Texten, die an andere Zeiten erinnern: „Wer unsern Frieden stört, der wird die Waffen spüren, die uns zum Siege führen.“
Begründung des Mauerbaus 1961 in Schulbüchern
Besonders bemerkenswert ist die Begründung des Mauerbaus 1961 in verschiedenen Schulbüchern, etwa im Lehrbuch Heimatkunde für die vierte Klasse 1987:
„(...) Den Feinden unserer Republik war jedes Mittel recht, um den Aufbau eines neuen Lebens in unserem Lande zu verhindern: Bauernhöfe wurden in Brand gesteckt, um wertvolles Erntegut zu vernichten und die Ernährung der Bevölkerung zu gefährden. Im Jahre 1955 erkrankten in unserer Republik etwa 5000 Rinder; eine BRD-Firma hatte vergiftete Erntebindfäden geliefert. Im Februar des gleichen Jahres gingen die neuerbauten Sendesäle des Rundfunks in Flammen auf; der Täter war ein Student aus Westberlin, der sich als Agent gegen die DDR hatte anwerben lassen. (...) Die Imperialisten und von ihnen gekaufte Verbrecher haben unserer Republik großen Schaden zugefügt. Ihr Ziel, unseren sozialistischen Aufbau zu verhindern, haben sie aber nie erreicht. Zu den gemeinsten Verbrechen, die von westdeutschen Regierungen geduldet werden, gehört der Mord an Volkspolizisten und Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren unserer Grenztruppen. (...) 1961 wollten die Imperialisten der BRD ihr Ziel mit Gewalt erreichen. Das friedliche Aufbauwerk unserer Bürger wurde immer mehr bedroht. Westberlin wurde zu einem gefährlichen Herd der Unruhe. Die unverbesserlichen Feinde der DDR träumten von einem Marsch durch das Brandenburger Tor in die Hauptstadt der DDR. Damit sollte unsere Regierung gestürzt werden. Imperialisten und Großgrundbesitzer wollten wieder an die Macht. Die Verwirklichung dieser Pläne wurde verhindert. Am 12. August 1961, um 16 Uhr, unterzeichnete Walter Ulbricht die Befehle für die Sicherung der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik nach Westberlin. (...) In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 wurde die bis dahin offene Grenze nach Westberlin geschlossen. (...) Alles Geschrei nutzte den Feinden unseres Vaterlandes nichts. Sie hatten eine Schlacht verloren. Ihr Marsch in die DDR fand nicht statt.“
Eine Ergänzung der Indoktrination durch die Schulfächer bildete der „Symbolikplatz der Pionierfreundschaft“ in der Aula der Schule, mit Gruppenwimpel, Fanfare, Trommel, Ehrenbuch der Pionierfreundschaft, einer Büste oder einem Bild Ernst Thälmanns, fast wie ein Altar aufgebaut und ein Beispiel für die Allgegenwart der SED in den Schulen.
Die DDR-Schule und die sozialistischen Kinder- und Jugendorganisationen „Pioniere“ und „Freie Deutsche Jugend“ bildeten eine untrennbare Einheit. Zum Aufgabenbereich der Lehrer gehörte daher auch die Betreuung dieser Organisationen mit den verschiedensten Aktionen über das gesamte Schuljahr.
Vom Pionierappell bis zum Thälmann-Gedenken
Nach einer Broschüre, herausgegeben vom Zentralrat der FDJ/Abteilung Schuljugend, waren das im Schuljahr 1978/79 rund 90 Veranstaltungen, von der Eröffnung des Schuljahres mit einem FDJ- und Pionierappell am 1. Sept. 1978 bis hin zum Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns am 18. August 1979.
Für die Lehrerschaft bedeutete die sozialistische Kinder- und Jugendarbeit eine erhebliche zusätzliche Belastung, der sie zu entsprechen hatte. Das Lehrplanwerk 1972 der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR definierte den ideologischen Aufgabenbereich mit zwei grundlegenden Sätzen: „Der Lehrer erzieht die Schüler zu Verhaltensweisen, wie sie der Moral der Arbeiterklasse entsprechen. Er hält sie dazu an, klare Standpunkte zu beziehen, sich mit feindlichen und fehlerhaften Argumenten auseinanderzusetzen und im Unterricht, in der Pionier- und FDJ-Organisation, in Situationen des täglichen Lebens diesem Standpunkt entsprechend parteilich zu handeln.“
„Studium der revolutionären Theorie“ für angehende Lehrer
Ein 300-stündiges „Studium der revolutionären Theorie“ bereitete die Lehramtsstudenten auf diese Aufgaben vor. Darüber hinaus war es auch „für die männlichen Lehramtsstudenten Ehrensache, als Soldat beziehungsweise Unteroffizier auf Zeit zu dienen, über die gesetzliche Wehrpflicht hinaus zum militärischen Schutz unserer Heimat beizutragen“.
Mit Wandbildern, Schulbüchern, Gegenständen ermöglicht die Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum Einblicke in ein sozialistisches Bildungssystem und zeigt die vielfältigen Möglichkeiten politischer Indoktrinationen auf – 30 Jahre nach dem Mauerfall eine interessante Rückschau.