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NEUSTADT
Schützte der Neustadter „Keltenwall“ vor den Ungarn?
Auf dem Gaiberg bei Neustadt finden sich Reste einer Wallanlage. Dieser „Keltenwall“ stammt mutmaßlich aus ur- und frühgeschichtlicher Zeit und diente womöglich später bei den Ungarneinfällen noch einmal als Unterschlupf für Mönche.
Foto: Björn Kohlhepp | Auf dem Gaiberg bei Neustadt finden sich Reste einer Wallanlage. Dieser „Keltenwall“ stammt mutmaßlich aus ur- und frühgeschichtlicher Zeit und diente womöglich später bei den Ungarneinfällen noch einmal ...
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:58 Uhr

Auf dem Gaiberg bei Neustadt am Main finden sich heute noch Reste einer einst gewaltigen Ringwallanlage. „Keltenwall“ oder „Ringmauer“ wird die vermutlich vorgeschichtliche Anlage im Volksmund genannt. Wann genau sie dort, 160 Meter über dem Main, errichtet wurde, ist unklar. Vielleicht tatsächlich schon zur Zeit der Kelten. Das Landesamt für Denkmalpflege geht anhand der Architektur von Bronzezeit oder vorrömischer Eisenzeit aus. Womöglich wurde sie jedoch in späterer Zeit wiederbelebt und diente dem Neustädter Kloster als Zufluchtsort, als – offenbar auch hierzulande – im 10. Jahrhundert die Ungarn einfielen und Angst und Schrecken verbreiteten. Vor allem auf Kirchen und Klöster hatten es die wilden Reiterhorden abgesehen.

„Oben im tiefsten Dickicht haben rüstige Germanen gegen den eroberungslustigen Römer gewaltige Gränzwälle und Ringmauern angelegt, wovon noch heut die Spuren zu sehen sind“, schrieb 1843 Karl Dittmarsch in seinem Werk „Der Main von seinem Ursprung bis zur Mündung“. „Nach diesen zu urtheilen, war diese Befestigung eine der bedeutendsten im ganzen Spessart, in dessen westlichem Gebiet die Römer bereits festen Fuss zu fassen begonnen hatten.“

Anlage rund 600 Meter lang

Gewaltig war die Anlage, mit Germanen hatte sie eher nichts zu tun. Rund 600 Meter lang ist die von einem Wall umschlossene Anlage auf dem südöstlichen spitzen Sporn des bewaldeten Gaibergs zwischen Neustadt und Rothenfels. Der Sporn fällt nach zwei Seiten steil zum Maintal bzw. zur Gaibachtalschlucht ab. Die Wallanlage liegt etwa auf Höhe des Campingplatzes, einen guten Kilometer Meter südlich der Friedhofskirche St. Michael. Das Landesamt für Denkmalpflege sieht die Anlage als vor- und frühgeschichtliche Höhensiedlung.

Allzu viel ist von der Abschnittsbefestigung – zum steilen Maintal hin war sie unbefestigt – jedoch nicht mehr da. Eine Stichstraße führt zur Anlage, deren Überreste man aber erst einmal suchen muss. Zwischen mehr oder weniger dicht stehenden Bäumen finden sich viele moosbewachsene Buntsandsteine, direkt neben der Anlage klafft eine tiefe Lücke im Berg: ein alter Steinbruch. Dass hier oben in der Einsamkeit, wahrscheinlich ohne frisches Wasser, einmal Menschen für längere Zeit gelebt haben, kann man sich schwerlich vorstellen.

Wall wurde abgetragen

Die Steine des Walls wurden – etwa für den Bau der Mauern am Mainufer – einst mit Schlitten hinab ins Tal gebracht. Bodeneingriffe und Forstwirtschaft haben schon seit Jahrhunderten die keilförmige Anlage abgetragen. Heute sieht man auf einer erhaltenen Länge von gut 200 Metern einen sechs Meter breiten und noch bis zu einen Meter hohen aus Steinen errichteten Abschnittswall. Womöglich sind sie Überreste einer einst üblichen Pfostenschlitzmauer, einer Konstruktion aus Holz und Steinen mit einem vorgelagerten Graben. Der Stichweg verläuft entlang der einen Seite der fast dreieckigen Anlage. Am nordöstlichen Ende, diesem Hauptwall vorgelagert, verläuft ein zweiter Steinwall samt Graben, den zu finden es allerdings ein geübtes Auge braucht.

Der Archäologe Dr. Ludwig Wamser befasste sich für das Buch „1250 Jahre Bistum Würzburg. Archäologisch-historische Zeugnisse der Frühzeit“ (1992) mit der Wallanlage. Er schreibt, dass weder eine flüchtige Untersuchung 1914 noch ein amtliches Absuchen des Bergsporns mit Metallsonden 1991 datierbare Funde ergeben habe. Der Form nach, so Wamser, könnte die Anlage am ehesten in der Eisenzeit kurz vor Christi Geburt entstanden sein.

Aber auch rund 1000 Jahre später, in karolingischer und ottonischer Zeit, hätten Anlagen mitunter noch gleichartige Merkmale aufgewiesen, etwa die Form des Zugangs. In die Anlage kam man nicht einfach geradeaus hinein, sondern musste erst durch eine rund 45 Meter schmale, gut zu verteidigende Torgasse zwischen dem Wall und dem Abhang.

Im Mittelalter wiederverwendet?

Der Archäologe findet es nicht unwahrscheinlich, dass die Anlage im frühen Mittelalter, besonders in den Jahrzehnten der Ungarneinfälle, kurzfristig wieder als Zufluchtsort diente. Eine mehrmalige Verwendung alter, oft einfacher Anlagen scheint üblich gewesen zu sein. Dafür sind sie mit vergleichsweise wenig Aufwand verstärkt worden. Wamser sieht die Voraussetzungen – abseitige Lage, gestaffeltes Wall-Graben-System, bewaldetes Vorgelände – einer Schutzfunktion der Anlage gegen Angriffe von mit Reflexbögen und Säbeln bewaffneten östlichen Reiterscharen als gegeben.

Dass Ungarn in der Gegend eingefallen sind, bezeugt laut Wamser eine auf der Wettenburg auf der Urphaer Mainschleife bei Kreuzwertheim gefundene ungarische Dornpfeilspitze. Auch die Wettenburg wurde offenbar bereits in vor- und frühgeschichtlicher Zeit errichtet und bei den Ungarneinfällen wieder verwendet. Hinzu kommt der Befund, dass die erste, frühmittelalterliche Neustädter Kirche offenbar in einer Brandkatastrophe unterging und im Klosterbereich Anzeichen von Schadensfeuern gefunden wurden. Die Überlieferungslücke im zehnten Jahrhundert lasse auf ein ähnliches Schicksal für das gesamte Kloster schließen. Zudem sei die in der Nähe vorbeiführende karolingische Reichsstraße „via publica“ eine mögliche Einfallsroute für Angreifer gewesen.

Mit Geländedenkmälern rund um Marktheidenfeld und damit auch mit der Anlage auf dem Gaiberg hat sich auch der Hobbyarchäologe Rudolf Koller befasst. Er schreibt, dass solche Wehranlagen von Bewohnern umliegender Dörfer und Hofstellen – und womöglich auch Klöster – zur Zeit der Ungarneinfälle oft nur wenige Tage aufgesucht wurden. Die berittenen Ungarn seien auf schnelle Beute und nicht auf Belagerungen und Erstürmungen aus gewesen. Es sei deshalb keine Überraschung, dass man in solchen Wallanlagen wenig Funde mache, da sich dort nur selten jemand aufgehalten habe.

Zweiter Ringwall in Neustadt

Die Neustädter waren doppelt gegen mögliche Angriffe abgesichert: Außer der Wehranlage auf dem Gaiberg wurde im 8. Jahrhundert neben dem Kloster auf dem Michelsberg ein Ringwall angelegt. Dieser frühmittelalterliche Wehrbau, wohl ebenfalls eine Fluchtburg für die lokale Bevölkerung, ist bis heute sichtbar und umschließt unter anderem den Neustädter Friedhof und die St. Michael. Die Anlage auf dem abgelegenen Gaiberg gewährte jedoch sicher besseren Schutz als die niedrige Ringwallanlage rund um den Friedhof im Maintal.

 
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