„Das Kunstwerk wird weit über die Grenzen von Lohr hinaus für Diskussion sorgen“ – ob diese Prognose von Dierk Berthel, dem Vorsitzenden der Jury des Lohrer Kunstpreises, zum Siegerkunstwerk des heuer erstmals ausgelobten Kunstpreises der Stadt Lohr zutreffend ist, kann man heute noch nicht sagen. Das wird sich erst zeigen, wenn die baumähnliche Bronzeskulptur des Karlstadter Künstlers Peter Wittstadt zum Thema Schneewittchen in der städtischen Anlage aufgestellt werden sollte.
Fest steht hingegen schon jetzt, dass die Skulptur innerhalb Lohrs schon jetzt für reichlich Diskussionen sorgt. Die Reaktionen reichen dabei von blankem Entsetzen über Kritik am Auswahlverfahren des Siegers bis hin zu Anerkennung für eine fraglos mutige Entscheidung der Jury.
Die ganze Bandbreite der Emotionen, die der im Rahmen des Kunstpreises mit 5000 Euro dotierte Entwurf Wittstadts geweckt hat, spiegelt sich derzeit im Internet wieder. Dort gibt es im sozialen Netzwerk facebook die Gruppe „Ob Mopper oder Schnüdel – du bist ein echter Lohrer, wenn ...“. Und in dieser Gruppe wird seit Bekanntwerden des Kunstpreisentscheids vor wenigen Tagen heftig diskutiert. Bei den Wortmeldungen überwiegt zahlenmäßig die Ablehnung der Skulptur, die an einen knorrigen, abgestorbenen Baum erinnert. „Noch hässlicher geht es nicht“, bringt ein Gruppenmitglied in der Diskussion seine Meinung auf den Punkt. Man könne in Wittstadts Skulptur nicht im geringsten einen Bezug zu Schneewittchen erkennen, schimpft ein anderes Mitglied.
Wenn die Stadt einen Kunstpreis zum Thema Schneewittchen auslobe, müsse man doch erwarten können, dass das Ergebnis auch die Zielgruppe, sprich Kinder, anspreche, so ein anderer Beitrag. Dem widerspricht sogleich ein anderes Mitglied: Märchen seien eben nicht nur für Kinder. Das Lohrer Schneewittchen sei ein vielgestaltiges Wesen, das man nicht nur „auf diese Disney-Figur“ reduzieren dürfe.
Recht emotional diskutiert wird in dem Forum auch die Tatsache, dass das Votum der 374 Menschen, die nach dem Besuch der Ausstellung per Stimmzettel ihren Favoriten benannt hatten, auf die Entscheidung der sechsköpfigen Jury keinen Einfluss gehabt hat. Wie berichtet hatten sich die in der Jury sitzenden sechs Vertreter von Kunst und Stadt einstimmig auf Wittstadts Werk geeinigt. Dies sei eine „Watsche für die Lohrer Bürger“, schreibt ein Gruppenmitglied. Wenn man die Menschen schon nach ihrer Meinung frage, solle man sie auch umsetzen. Von Scheinbürgerbeteiligung“ ist die Rede, und davon, dass man die Öffentlichkeit wohl verprellen wolle. Doch es gibt auch Stimmen, die sagen, dass das Verfahren transparent und nachvollziehbar gewesen sei.
Einer davon ist Eberhard Sinner, der ehemalige Landtagsabgeordnete und Staatsminister aus Lohr. Er schreibt in dem Forum, dass die Jury „eigentlich kompetent besetzt“ gewesen sei. Sinner ist der Ansicht, dass eine solche Jury nicht der Meinung der Öffentlichkeit hinterherrennen dürfe, schließlich sei ein „Publikumsvotum häufig ein Zufallsergebnis“. Ein anderes Gruppenmitglied springt Sinner bei: „Mehrheitsmeinung ist immer Durchschnitt.“
Der Hoffnung eines anderen, wonach der Stadtrat die Realisierung der Wittstadt-Skulptur durch ein entsprechendes Votum ja noch stoppen könne, setzt Sinner eine klare Position entgegen: Der Stadtrat sei „gut beraten, sich nicht über die Jury wegzusetzen“. Überdies sei es gut, wenn die Stadt die Fantasie eines Künstlers belohne.
Mit der Fantasie Wittstadts tun sich indes viele andere schwer. Ein Diskutant scherzt gar, dass es sich bei dem baumförmigen Schneewittchen „um die späte Rache“ des Karlstadter Künstlers an der Stadt Lohr handle. Schließlich habe es diese vor über zehn Jahren abgelehnt, die damals schon als Leihgabe in der städtischen Anlage platzierte Sandsteinfigur „Die Kauernde“ zum Preis von 55 000 Euro zu kaufen.
Künstlerin Ruth Borisch, die sich selbst am Kunstpreis beteiligt hatte, schreibt indes in einer Mail an die Redaktion, dass sie das Urteil der Jury „nach langjähriger persönlicher Erfahrung im Kunstbetrieb durchaus respektieren“ könne. Ohnehin gelte: „Was Kunst ist, bestimmen die Werke, nicht die Kritiker!“
In der Diskussion im Internet wird indes deutlich, dass es auch zu den übrigen Entwürfen verschiedener Künstler, die beim Kunstpreis auf den Plätzen landeten, kritische Stimmen gibt. Während ein Diskutant das „Ästhetische“ der Betonzwerge lobt und eine andere Skulptur „mutiger“ gefunden hätte, schreibt ein weiteres Gruppenmitglied: „Von all den Entwürfen will ich eigentlich gar keinen in der Anlage haben.“ Ihr sei der „Schneewittchen-Hype“ in Lohr ohnehin zu viel, so die Frau.
Zufriedene Stiefmutter
Die Siegerfigur des Lohrer Kunstpreises, eine baumförmige Darstellung des Lohrer Schneewittchens, findet nicht nur in der digitalen Welt des Internets Widerhall. Der Lohrer Fabulologenstammtisch, der einst die Lohrer Schneewittchenlegende begründete, spielte der Redaktion jetzt einen von Claudia Elisabeth von Erthal, geb. Reichenstein, verw. von Venningen unterzeichneten Brief zu, der die Gruppe um Karlheinz Bartels per reitendem Boten erreicht habe.
Nachfolgend der Wortlaut des Schriftstücks aus der Feder der Schneewittchen-Stiefmutter: „Ich danke Herrn Wittstadt, dass er endlich die Wahrheit über Schneewittchen ans Tageslicht gebracht hat. Seine Skulptur zeigt eindeutig, dass ich „tausendmal schöner“ bin als meine Stieftochter. Die Brüder Grimm haben uns leider in ihren Kinder- und Hausmärchen verwechselt. Mein Spiegel hatte recht: „Frau Königin, ihr seid die Schönste hier.“