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Lohr
"Schloßmannblick" in Lohr: Ein Aussichtspunkt wider das Vergessen
Der Schloßmannblick bietet vom Buchenberg aus einen grandiosen Ausblick auf den Lohrer Talkessel.
Foto: Johannes Ungemach | Der Schloßmannblick bietet vom Buchenberg aus einen grandiosen Ausblick auf den Lohrer Talkessel.
Johannes Ungemach
 |  aktualisiert: 26.09.2022 02:34 Uhr

Es ist ein Aussichtspunkt, gleichzeitig aber auch ein Erinnerungspunkt: Am Buchenberg hoch über dem Lohrer Talkessel wurde der "Schloßmannblick" feierlich seiner Bestimmung übergeben. Der Ort bietet nicht nur einen großartigen Ausblick auf das Maintal von Wombach bis Lindig. Er erinnert vor allem auch an den 1930 zum Lohrer Ehrenbürger ernannten Joseph Schloßmann, der 1942 als Jude von den Nazis ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden war, wo er 1943 starb.

"Wir wollen nicht vergessen. Wir wollen keinen Schlussstrich ziehen", sagte Bürgermeister Mario Paul über Schloßmanns Schicksal und das Erinnern daran. Die Stadt Lohr folge mit der Schaffung des Aussichtspunktes weiter ihrer Überzeugung, wonach Gedenkorte wichtig sind, um die Erinnerung an das jüdische Leben im Stadtgebiet sichtbarer zu machen und gegen das Vergessen anzukämpfen.

Nachfahren aus Schweden dabei

Eigens zur Übergabe des Schloßmannblicks hatten Nachfahren von einst in Lohr lebenden Juden die Reise in den Spessart angetreten. Schloßmanns Urenkelin Maude Schloßmann war aus Schweden angereist, ebenso die Ururenkelin Suzanne Sederowsky. Gekommen waren auch die in Tel Aviv beheimateten Raaya Nadel und Roni Fogel, Enkelin beziehungsweise Ururenkelin von Simon Strauß, der von 1926 bis 1940 Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde in Lohr war.

Was den Nachfahren die im neuen Aussichtspunkt manifestierte Erinnerung an Schloßmann und das jüdische Leben in Lohr bedeutet, ließen die Worte von Maude Schloßmann erkennen. Sie sprach in Englisch von einem "big moment", von einem großen Augenblick also, den die Eröffnung des Schloßmannblicks für sie und alle Angehörigen bedeute. Sie sei sich sicher, dass ihr Urgroßvater dies genauso empfunden hätte, so die 73-Jährige aus Stockholm.

Gedenkstein enthüllt

In ihrem Familienbesitz sei ein altes Foto, von dem sie lange nicht gewusst habe, was darauf zu sehen sei, erzählte Maude Schloßmann. Seit drei Jahren wisse sie jedoch, dass das Motiv Lohr zeige. Damals sei sie zum ersten Mal in die Spessartstadt gekommen, da der Lohrer Stadtrat damals beschloss, den Aussichtspunkt am Buchenberg nach Joseph Schloßmann zu benennen. Für diesen symbolischen Akt könne sie ihre Dankbarkeit kaum in Worte fassen, sagte Schloßmann am Dienstag am Rande der Veranstaltung. Für sie sei Lohr "a little bit our home now", also ein Stück weit Heimat geworden.

Gemeinsam mit Bürgermeister Paul hatte Maude Schloßmann zuvor den Gedenkstein enthüllt. An ihm ist eine an Joseph Schloßmann erinnernde Bronzetafel angebracht. In seiner Ansprache dankte Paul den Nachfahren Schloßmanns dafür, dass sie durch ihre Anwesenheit bewusst machten, um wie viel ärmer Lohr durch das Auslöschen jüdischen Lebens in der Stadt geworden sei.

Mäzen und Impulsgeber

Joseph Schloßmann, den Namensgeber des Aussichtspunktes, würdigte Paul als einen "Menschen im wahrsten Wortsinn". Er habe nicht nur die israelitische Kultusgemeinde sowie die katholische und evangelische Kirchengemeinde Lohrs finanziell unterstützt, sondern sich auch um den Aufbau einer ambulanten Krankenpflege sowie einer freiwilligen Sanitätskolonne verdient gemacht. Schloßmann habe daneben auch armen Menschen geholfen. Als Teilnehmer des Ersten Weltkriegs habe er überdies einen größeren Betrag für das Kriegerdenkmal an der Stadtmauer gespendet, erinnerte Paul.

Dass Schloßmann seine Heimatstadt nie vergessen habe, sei daran zu erkennen, dass er auch nach seinem Wegzug und in Berlin lebend im Jahr 1900 der Turngemeinde 1875 zum 25. Gründungsjubiläum einen silbernen Pokal spendiert und Lohr auch immer wieder besucht habe. "Seine guten Taten für die Stadt und ihre Bürger sind mannigfaltig belegt und zeigen die enge Verbundenheit des weit gereisten Schloßmann mit Lohr", sagte Paul.

Mario Paul und Maude Schloßmann, die Urenkelin Joseph Schloßmanns, enthüllen den  Gedenkstein.
Foto: Johannes Ungemach | Mario Paul und Maude Schloßmann, die Urenkelin Joseph Schloßmanns, enthüllen den Gedenkstein.

1930 sei Schloßmann vom Lohrer Stadtrat daher zum Ehrenbürger ernannt worden. Aus Hass gegen Juden hätten ihm die Nazis 1934 dieses Ehrenbürgerrecht entzogen, blickte Paul zurück. Der Lohrer Stadtrat jedoch habe diesen Schritt nie anerkannt und 1985 die Ehrenbürgerwürde Schloßmanns offiziell bekräftigt. Sichtbarer Ausdruck dafür sei bis heute Schloßmanns Porträt in der Galerie der Ehrenbürger im Lohrer Rathaus.

Joseph Schloßmann starb am 4. Januar 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt, als "Opfer nationalsozialistischer Gewalt", so Paul. Es gebe kein Grab, an dem man um Schloßmann trauern könne. Der Gedenkort hoch über Lohr sei ein Beitrag der Stadt wider das Vergessen. Die Stille und Einsamkeit des Platzes ebenso wie der grandiose Ausblick lüden zum Besinnen ein, so Paul.

Gedenken an ermordete Juden

Die rund 60 Gäste hatten auf Einladung der Stadt und des Lohrer Geschichts- und Museumsvereins den steilen Anstieg zum Schloßmannblick bewältigt. Sie folgten der Aufforderung des Bürgermeisters zu einer Gedenkminute. Dabei wurde nicht nur Schloßmann gedacht, sondern auch jenen 19 jüdischen Patientinnen und Patienten der ehemaligen Lohrer Heil- und Pflegeanstalt, die laut Paul auf den Tag genau vor 82 Jahren in der Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz Opfer der Nazi-Euthanasiemorde geworden seien. Diese Morde hätten den Weg bereitet für die Schoa, den von den Nationalsozialisten zu verantwortenden Völkermord an rund sechs Millionen europäischen Juden – darunter Joseph Schloßmann.

Paul dankte schließlich allen, die beim Schloßmannblick daran mitgewirkt haben, einen Erinnerungsort zu schaffen. Der entscheidende Anstoß sei vor drei Jahren von Wolfgang Vorwerk, dem Vorsitzenden des Lohrer Geschichtsvereins, gekommen, indem dieser auf den durch den Bau des städtischen Hochbehälters neu entstandenen Aussichtspunkt über dem Lohrer Talkessel hingewiesen habe.

Musikalisch begleitet wurde die feierliche Übergabe des Schloßmannblicks von Michael Albert, der, begleitet von Petra an der Gitarre, zwei jüdische Lieder vortrug.

 
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