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Thüngen
Schloss Thüngen: Amtszimmer mit prachtvollen Holzintarsien
Aus der Geschichte Main-Spessarts (27): Erstmals 977 erwähnt, im Bauernkrieg zerstört, dann wieder aufgebaut. Karl von Thüngen war am Hitler-Attentat beteiligt.
Die Schlossanlage von Thüngen ist ein markanter Mittelpunkt der Marktgemeinde. Der älteste Teil, der 'Alte Stock', wurde 997 erstmals erwähnt. Die drei anderen Bauten, das Burgschloss, das Spitalschloss und das Burgsinner Schloss sind ebenfalls noch gut erhalten und werden genutzt.
Foto: Günter Roth | Die Schlossanlage von Thüngen ist ein markanter Mittelpunkt der Marktgemeinde. Der älteste Teil, der "Alte Stock", wurde 997 erstmals erwähnt.
Günter Roth
 |  aktualisiert: 08.02.2024 14:29 Uhr

Burgen und Schlösser sind spätestens seit der Romantik von einem Hauch des Geheimnisvollen umgeben. Sie stehen oft als Ruinen oder noch intakte Domizile auf Bergen, in der Nähe von Flussläufen und manchmal auch mitten in Dörfern. Insgesamt aber sind sie Stein gewordene Zeugnisse für die Angst der Menschen, für Machtdemonstrationen und Repräsentation. Nicht umsonst stammt das Wort "Burg" von bergen, also schützen ab. Vor allem aber sind Burgen schon immer Lebensraum für Menschen und Kristallisationspunkt für die Gemeinschaft.

Ein typisches Beispiel für eine trutzige Burg: Der 'Alte Stock' (rechts), das wehrhafte Torhaus, einst mit Zugbrücke  und von Zinnen gekrönt.
Foto: Günter Roth | Ein typisches Beispiel für eine trutzige Burg: Der "Alte Stock" (rechts), das wehrhafte Torhaus, einst mit Zugbrücke  und von Zinnen gekrönt.

Ein dafür typisches Beispiel ist das Schloss oder die Burg in Thüngen. In vielen Bereichen ist sie sogar ein Musterbild für den Aufbau einer mittelalterlichen Burg. Da ist zum ersten der "Alte Stock", eine Mischung aus karolingischem Wehrturm und späterem Bergfried. Er wurde erstmals im Jahr 977 urkundlich erwähnt, ist aber mit Sicherheit noch älter. Seine massiven Grundmauern, bis zu 2,5 Metern Stärke, werden von Steinquadern gebildet.

Hier machte der Gang aufs "Örtchen" gewiss keinen Spaß. Unterhalb des Aborterkers sind noch die Gebrauchsspuren erkennbar.
Foto: Günter Roth | Hier machte der Gang aufs "Örtchen" gewiss keinen Spaß. Unterhalb des Aborterkers sind noch die Gebrauchsspuren erkennbar.

In den unteren Stockwerken waren die Wirtschaftsräume und wahrscheinlich auch das Vieh untergebracht, darüber die Wohneinheiten für die Herrschaft sowie das Gesinde und in die obersten Etagen der Aufbewahrung von Waren und Lebensmitteln. Für ein leichtes Schmunzeln sorgt die Aborterker mit den typischen Spuren an der östlichen Hauswand. An den Mauern sind noch die Einschläge von Kanonen aus dem Bauernkrieg zu sehen. Wie bei anderen Fluchtburgen auch lebten die Menschen wahrscheinlich im Normalfall in Hütten außerhalb des "Alten Stocks".

Ein tiefer Brunnen sicherte die Versorgung der Menschen und des Viehs mit Trinkwasser.
Foto: Günter Roth | Ein tiefer Brunnen sicherte die Versorgung der Menschen und des Viehs mit Trinkwasser.

Der weitere Ausbau der Gesamtburg liegt im Nebel der Geschichte, es ist dazu nichts Konkretes überliefert. Möglicherweise erfolgte dieser aber im Rahmen der Burgeninitiative der Ottonischen Kaiser im zehnten Jahrhundert als Antwort auf den Ungarneinfall. Burgentypisch ist besonders der Zugang mit einem tiefen, breiten Graben, der Zugangsbrücke mit einem eindrucksvollen, wehrhaften Torhaus. Die hohe steinerne Mauer ist mit Zinnen besetzt, im Burghof fehlt natürlich auch der tiefe Brunnen nicht.

Erstaunlich aber ist, dass die Burganlage in Thüngen neben dem "Alten Stock" aus drei weiteren völlig unterschiedlichen Gebäuden besteht. Wolfgang Heß, der zweite Bürgermeister von Thüngen, beschreibt im Internetauftritt seiner Heimatgemeinde das "Burgschloss", dessen zerstörter Altbau aus dem zwölften Jahrhundert stammt. Bei Auseinandersetzungen im Jahre 1438 wurde der Altbau stark beschädigt. Nach dem Bauernkrieg im Jahre 1525 war der Trakt nur noch eine Ruine.

Das 'Spitalschloss' war für viele Jahre an das Juliusspital Würzburg verpfändet.
Foto: Günter Roth | Das "Spitalschloss" war für viele Jahre an das Juliusspital Würzburg verpfändet.

Philipp Jakob von Thüngen begann 1579 mit dem Wiederaufbau des Burgschlosses, das damals "Neuenburg" genannt wurde und vermutlich mit einigen erhaltenen Teilen des Altbaus nahezu die Form des heutigen Burgschlosses hatte. Das Spitalschloss im Osten wurde von 1561 bis 1564 als dreigeschossiger Bau mit Zwiebeltürmen erbaut. Vorher befanden sich in diesem Bereich neben Wohngebäuden auch Ställe, Lager- und Wirtschaftsräume, die 1525 im Bauernkrieg zerstört worden waren.

Das "Burgschloss" wird heute von Hanskarl Freiherr von Thüngen und seiner Familie bewohnt.
Foto: Günter Roth | Das "Burgschloss" wird heute von Hanskarl Freiherr von Thüngen und seiner Familie bewohnt.

Der Name des Schlosses erklärt sich aus der Verpfändung des Bauwerkes an das Würzburger Juliusspital im Jahre 1634. Thüngen musste sich am Bau des Juliusspitals mit Frondiensten und Zahlungen beteiligen. Weil der lebensfrohe Neidhard von Thüngen dem Würzburger Bischof gegenüber in Zahlungsschwierigkeiten geraten war, wurden das Schloss und ein Viertel des damaligen Ortes an das Juliusspital übergeben.

Erst 1854 konnten die Brüder Wolfgang und Wilhelm von Thüngen das Schloss, das sich zu dieser Zeit in einem ruinenhaften Zustand befunden haben soll, wieder in den Familienbesitz zurückführen. Bis zum Ende der 1860er Jahre wurde das Spitalschloss nahezu neu im Neugotischen Stil aufgebaut.

Das 'Burgsinner Schloss' geht auf den Konrad II. von Thüngen zurück, der auch als Fürstbischof über das Bistum Würzburg regierte.
Foto: Günter Roth | Das "Burgsinner Schloss" geht auf den Konrad II. von Thüngen zurück, der auch als Fürstbischof über das Bistum Würzburg regierte.

Etwa 200 Meter von der großen Burganlage entfernt steht noch ein weiteres stattliches Herrenhaus, das "Burgsinner Schloss". Bauherr war der ehemalige Herzog in Franken und Würzburger Fürstbischof Konrad II. von Thüngen. 1524 wurde mit dem Bau begonnen. Fertiggestellt wurde das Schloss, das auch "Hohe Kemenate" genannt wird, 1545 von Andreas VIII. von Thüngen. Er gehörte der in Burgsinn ansässigen Linie der Familie an, daher der Name des Schlosses.

Besonders sehenswert ist das einstige Amtszimmer von Konrad II. von Thüngen (1466 - 1540), dem ehemaligen Herzog in Franken und Würzburger Fürstbischof. Der mit prachtvollen Holzintarsien und reichhaltigem Schnitzwerk ausgestattete Renaissance-Saal wurde in den 1960er Jahren umfangreich renoviert. Auch die Wandgemälde wurden unbeschädigt freigelegt. Die schwere kunstvolle Eichentüre des Zimmers mit antiken Motiven ist ein besonderes Juwel.

Der prächtige Renaissance-Saal  im Burgsinner Schloss diente Fürstbischof Konrad von Thüngen auch als Amtssitz. Heute wird er für Empfänge und zu Trauungen genutzt.
Foto: Günter Roth | Der prächtige Renaissance-Saal im Burgsinner Schloss diente Fürstbischof Konrad von Thüngen auch als Amtssitz. Heute wird er für Empfänge und zu Trauungen genutzt.

Das Leben auf einer Burg hatte gewiss nicht viel mit der heute so oft verbreiteten Romantik zu tun. Im massiven "Alten Stock" von Thüngen ist das heute noch zu erkennen. Heizung für den Winter gab es nicht, nur in wenigen Räumen wie im Herrenzimmer und in der Kemenate wärmte ein offener Kamin mehr schlecht als recht. Verglaste Fenster waren bis zum hohen Mittelalter ebenfalls Fehlanzeige. Besonders im Winter konnte man nur durch geschlossene Läden die Kälte etwas abhalten und saß dafür weitgehend im Dunkeln. Wenig ersprießlich war mit Sicherheit auch der Toilettengang auf den beiden Aborterkern.

Orangerie von Balthasar Neumann

Wie in anderen Burgen war auch im Schloss Thüngen neben der Herrschaft und dem Gesinde das Vieh untergebracht, was wohl des Öfteren Lärm, Dreck und Gestank mit sich brachte. Nicht umsonst ließen sich die Schlossherren im 18. Jahrhundert nach Entwürfen des Würzburger Baumeisters Balthasar Neumann die heutige "Orangerie" südlich der Anlage bauen. Hier konnte man ohne ästhetische Belästigungen Gäste empfangen und Feste feiern.

Noch eine Besonderheit der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Burgen waren die Besitzverhältnisse. Die reichsfreien Herren von Thüngen erbten nach der damaligen Realteilung jeweils zu gleichen Anteilen, was – wie bei den einfachen Bauern auch – oft zur Zersplitterung führte. Um 1300 teilten sich sogar sechs Familien das Besitzrecht als "Ganerben", die oftmals auch dort wohnten. Diese bezogen nicht nur Einkünfte aus den Abgaben der Hintersassen, sie hatten auch die Pflicht, zum Erhalt und Ausbau der Burg beizutragen. So musste in Thüngen jeder Ganerbe sechs Kanonen mit Pulver und Blei sowie 18 Armbrüste und 3000 Pfeile bereitstellen und zum Unterhalt zehn Gulden beisteuern. Einer der Ganerben wurde nach Beschluss als "Baumeister" eingesetzt, mit der Aufgabe den gemeinsamen Besitz zu verwalten.

Schwere Zeiten hatte die Burg Thüngen zu überstehen. Im Bauernkrieg wurde sie von auswärtigen Bauern teilweise zerstört und anschließend wieder aufgebaut. Der 30-jährige Krieg stellte die evangelische Herrschaft und ihre Untertanen in der katholischen Umgebung vor besondere Probleme. Sie mussten sich nicht nur nachdrücklich gegen die zwangsweise "Rekatholisierung" wehren, sie wurden auch immer wieder von unterschiedlichen Besatzern heimgesucht und ausgeplündert. Schlimm hauste hier der Kroatengeneral Isolani. Hier taten sich mit Johanna Rosina und Anna Agnes zwei weibliche Familienmitglieder als mutige Verteidigerinnen hervor.

Mit prachtvollen Holzintarsien und reichhaltigem Schnitzwerk ist der Renaissance-Saal ausgestattet. 
Foto: Günter Roth | Mit prachtvollen Holzintarsien und reichhaltigem Schnitzwerk ist der Renaissance-Saal ausgestattet. 

"Thun-geding" ist wahrscheinlich die uralte fränkische Bezeichnung für einen von einem Zaun umschlossenen Raum, in dem Beratungen und Gericht abgehalten wurden. Die Familie von Thüngen ist eng mit dem Ursprungsort an der Wern verbunden, allerdings längst nicht auf das Dorf beschränkt. Hanskarl Freiherr von Thüngen, der jetzige Hausherr des Burgschlosses, spricht von etwa 80 Ortschaften, Schlössern, Burgen und Höfen. Der weit verbreitete und verstreue Besitz umfasste die Kernbereiche mit dem Markt Thüngen, Höllrich-Sodenberg, die "innere Thüngensche Cent" mit dem Markt Zeitlofs und Burgsinn. Um 1100 wurden der Edelfreie Karl und sein Sohn Eilhard de Dungethi urkundlich erwähnt.

Die freien Reichsritter genossen weitgehende Selbstständigkeit, mussten sich aber immer wieder gegen die Ansprüche des Bistums Würzburg und der Grafen von Rieneck zur Wehr setzen. Deshalb stellten sie sich zeitweise unter den Lehensschutz mächtigerer Fürsten wie dem König von Böhmen. Oberster Schutz- und Gerichtsherr war aber bis 1803 der deutsche Kaiser. Dann wurde ganz Franken von Bayern vereinnahmt.

Hitler-Attentat: Karl von Thüngen wurde hingerichtet

Berühmte Mitglieder der Familie von Thüngen waren Konrad II. (Würzburger Fürstbischof von 1519 bis 1540), Neidhard III. (bis 1598 Fürstbischof von Bamberg), hochrangige Offiziere wie Generalleutnant Adam Sigmund von Thüngen (1687 - 1745) und Karl von Thüngen, der 1944 im Zusammenhang mit dem Attentat auf Adolf Hitler hingerichtet wurde.

Zum Autor: Günter Roth war langjähriger Lehrer im Werntal und als solcher mit der Heimatgeschichte vertraut. Er ist zudem stellvertretender Vorsitzender der Geschichtsfreunde Stetten.

Literatur:  "Thüngener Heimatbuch" - Ortschronik Fritz Kugler 1988;  Wolfgang Heß im Internetauftritt der Marktgemeinde Thüngen;  "Das Haus Thüngen" von Hanskarl von Thüngen 1988.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.

 
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    Super informativ gestaltet. Bitte mehr von dieser Art der Berichterstattung.
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    Ich kann Sie nur voll unterstützen!
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  • W. G.
    Wirklich hochinteressant und lehrreich!
    In Thüngen gibt es viel zu bestaunen - auch das Gefallenendenkmal in der Dorfmitte mit dem integrierten Gedenkstein für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus ist sehenswert!
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  • S. C.
    Ein toller Artikel, interessant und aufschlußreich!

    Statt der zahlreichen Belanglosigkeiten würde ich mir mehr solche Berichte wünschen, wenn es in diesen Zeiten nichts zu melden gibt.
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